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Agency und Ethik – Sensible Objekte in Hochschulsammlungen (AESOH)

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Förderprojekt zur Erschließung und Erforschung von Marburger Beständen

In den zahlreichen wissenschaftlichen Sammlungen der Philipps-Universität befinden sich Objekte, die ethische Fragestellungen aufwerfen: Menschliche Überreste und religiöse Objekte werden von einer fächerübergreifenden Projektgruppe um Prof. Dr. Tanja Pommerening, Prof. Dr. Edith Franke und Prof. Dr. Ernst Halbmayer in den nächsten vier Jahren wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Vorhaben mit 1 Million Euro im Rahmen der Förderrichtlinie „Allianz für Hochschulsammlungen II“. Förderziel ist die Vernetzung, Erschließung und Erforschung der wissenschaftlichen Sammlungen an deutschen Hochschulen.

„Die wissenschaftlichen Sammlungen der Philipps-Universität sind ein reichhaltiger und wichtiger Fundus für Forschung und Lehre. Sie zu erschließen, über die Grenzen Marburgs hinaus zugänglich zu machen und Fragen nach dem ethischen Umgang mit den Objekten zu beantworten ist ein wichtiger Impuls zur Verbesserung der Forschungsinfrastruktur“, betont Prof. Dr. Gert Bange, Vizepräsident für Forschung an der Philipps-Universität Marburg.

Das Marburger Verbundprojekt „Agency und Ethik – Sensible Objekte in Hochschulsammlungen (AESOH)“ verfolgt das Ziel, sensible Objekte in den wissenschaftlichen Sammlungen der Philipps-Universität zu identifizieren und sich umfassend mit den Herausforderungen ihrer Erfassung, Digitalisierung, Erforschung und möglichen Zugänglichmachung auseinanderzusetzen. Dies geschieht im Austausch mit den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, dem Übersee-Museum in Bremen, dem Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt und dem Museum für Sepulkralkultur in Kassel. Darüber hinaus soll ein Diskurs mit der Öffentlichkeit und der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft die Thematik befördern. Das Vorhaben ist eines von sechs geförderten Projekten in ganz Deutschland und wird durch die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Sammlungen in Deutschland unterstützt.

Im Auge hat das Projekt-Team vor allem menschliche Überreste und religiöse Objekte, sodass sich die Teilprojekte überwiegend auf Bestände der Religionskundlichen, Ethnographischen und Medizinhistorisch-Anatomischen Sammlung stützen. Ein weiteres Teilprojekt erarbeitet Netzwerke der Beschaffung von ägyptischen Mumien und ihren Teilen sowohl zwischen Marburger Sammlungen als auch im Weiteren deutschsprachigen Raum, um die lokalen Fallstudien in einen breiteren Kontext einzuordnen.

Die Leiterin des Verbundprojekts, Prof. Dr. Tanja Pommerening, betont: „Das Innovative des AESOH-Projekts ist die Zusammenführung, Betrachtung und Diskussion sensibler Objekte unter der Perspektive ihrer Agency, das heißt ihrer Wirkung. Der Marburger Standort ist aufgrund seiner großen Zahl humaner und religiöser Bestände für unsere Untersuchungen besonders prädestiniert, gerade wegen der Fragen nach einem respektvollen und ethisch angemessenen Umgang.“

Die Sozial- und Kulturanthropologie und die an das Fach angeschlossene Ethnographische Sammlung ist in diesem Verbundprojekt mit dem Teilprojekt
 „Umgang mit human remains, Ahnen und Göttern afro-amerikanischer Altäre in Sammlungen und Ausstellungen“ beteiligt. Das Teilprojekt untersucht den Umgang mit human remains und sacred objects an Hand einer Sammlung fünf ausgewählter afro-amerikanischer Altäre der ES (Tchaba-Altar [Voodoo], Ghana, etwa 150 Objekte; Palo Monte Altar, Kuba, etwa 250 Objekte; Candomblé-Altar Brasilien, an die 1000 Objekte; Pomba Gira Altar, Brasilien, etwa 50 Objekte; Vodoo-Altar Haiti, (nicht gezählt) und der durch sie materialisierten Ahnen, Göttern und Kosmologien und deren Agency. Die Altäre haben 2012 als Schenkung der Kunsthalle Düsseldorf Eingang in die Ethnographische Sammlung gefunden und konnten bislang nicht oder nur als Konvolute inventarisiert werden. Die Objekte sind auf verschiedenen Ebenen als sensibel zu bezeichnen: zum einen enthalten sie Bestandteile aus Knochen, bei denen es sich mit begründetem Verdacht in Teilen um human remains handeln dürfte, zum anderen sind einige Objekte aus Perspektive der Akteure Ahnen oder Gottheiten und daher ebenfalls sensibel bzw. sensitiv. Auch wenn die Provenienz der Altäre bekannt ist, sind die Umstände des Erwerbs der Altäre für die Ausstellung Gegenstand der Untersuchung im Projekt. Im Zentrum der Analyse stehen die dynamischen Praktiken und Prozesse der Materialisierung, d. h. es wird nach unterschiedlichen Arten von Beziehungen zwischen Objekten und Personen gefragt. Wie werden diese umgesetzt und transformiert? Materialisierungen kommen somit im Kontakt, aber auch der Kommunikation zwischen Dingen und Personen zum Ausdruck. Welche Konzepte und Formen von Agency liegen diesen zu Grunde? Die den Altären zugehörigen Dinge werden aus Sicht der religiösen Praxis in Bezug auf ihre Bedeutungen, Beziehungen, Funktionen und Agency untersucht, sowie nach den daraus resultierenden ethischen Anforderungen im Umgang mit diesen gefragt.

Leitung des BMBF Verbundprojektes: Prof. Dr. Tanja Pommerening, Prof. Dr. Edith Franke und Prof. Dr. Ernst Halbmayer
Leitung des Teilprojektes: Prof. Dr. Ernst Halbmayer
Laufzeit: 1.7.2023 - 30.06.2027
Finanzierung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF); Förderlinie „Vernetzen – Erschließen – Forschen. Allianz für Hochschulsammlungen II“