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Projekt C2 - Gewinner- und Verliererformen morpho-syntaktischen Sprachwandels

PI und Ko-PI: Prof. Dr. Cysouw, Prof. Dr. Fischer, Prof. Dr. Fleischer
Promovierende: Maria Luisa Krapp

Forschungskontext

Morpho-syntaktische Variations- und Sprachwandelphänomene sind in der Grammatikalisierungsforschung der letzten Jahrzehnte intensiv bearbeitet worden. Dabei wurden sowohl historische, dialektologische als auch typologische Studien vorgenommen. Die Verbindung dieser drei Forschungsansätze sowie eine Fokussierung auf sprachinterne und -externe Faktoren von Abbauprozessen stellen den neuen und innovativen Zugang dieses Projektes dar.

Aktuelles Promotionsprojekt

Ziele

Im Promotionsprojekt wird die Dynamik des Modusausdrucks im Konjunktiv in den regionalen Varietäten des Deutschen untersucht. Vor diesem Hintergrund lassen sich die synthetischen Konjunktivformen als Verlierer- und analytische Konjunktivumschreibungen als Gewinnerformen morpho-syntaktischen Sprachwandels interpretieren. Eine umfassende Beschreibung dieses Phänomens auf der Sprachsystemebene lässt dabei auch Rückschlüsse auf zugrundeliegende sprachliche Repräsentationen zu.

Die Konjunktivparadigmen der neuhochdeutschen Standardsprache sind mit zahlreichen Synkretismen zum Indikativ durchsetzt, was häufig als eine Erklärung für den Schwund des synthetischen Konjunktivs wie auch für das Ausweichen auf funktional äquivalente analytische Umschreibungen (Standarddeutsch würde + Infinitiv) angesehen wird. Allerdings zeigt sich mit Blick auf die Dialekte des Deutschen, dass eine Präferenz analytischer Konjunktivbildung auch in Varietäten zu beobachten ist, deren Konjunktivparadigmen frei von Synkretismen zum Indikativ sind (vgl. schwache -at-Konjunktive im Bairischen), während der Modus etwa in niederdeutschen Varietäten durch vollständigen Formenzusammenfall mit dem Indikativ restlos geschwunden ist.

 Das Promotionsprojekt soll eine multidimensionale Beschreibung dieser Variations- und Wandelphänomene auf formaler und funktionaler Ebene liefern. Ein Teilziel liegt dabei in der Abbildung der diachronen Entwicklung des Konjunktivs im Deutschen (historische Variationsdimension), die eine Auswertung der bisherigen Forschungsliteratur und der Sprachstufengrammatiken des Deutschen unter besonderer Berücksichtigung regionaler Differenzen umfasst. Ein weiteres Teilziel liegt in der Erarbeitung eines Überblicks zu Formen und Funktionen des Konjunktivs in den Dialekten des Deutschen (horizontale Variationsdimension). Hierfür werden Dialektgrammatiken aus verschiedenen ober-, mittel- und niederdeutschen Dialekträumen ausgewertet. Schließlich soll der Gebrauch des Konjunktivs in den modernen Regionalsprachen erschlossen werden (vertikale Variationsdimension), wobei eigene empirische Untersuchungen im Fokus stehen. Es wird ein multimethodischer Ansatz verfolgt, welcher Korpusanalysen (insbesondere gesprochener Sprache) und indirekte Erhebungen kombiniert. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, durch welche (sprachlichen und nicht-sprachlichen) Faktoren der Gebrauch des Konjunktivs und dessen Abbau im Deutschen gesteuert werden.

 Methoden

Mixed Methods Approach: korpuslinguistisch, dialektologisch, sprachstatistisch, kontrastiv und/oder typologisch

Vorarbeiten

Für die Dynamik im Tempus- und Aspektsystem hat Hanna Fischer (PI) den Ausdruckswandel grammatischer Kategorien im Deutschen in der horizontalen Variationsdimension (verschiedene Dialekträume) und in der vertikalen Variationsdimension (Standard-Dialekt-Achse) erarbeitet (Fischer 2018, 2020). Neben der Auswertung zentraler dialektgeographischer Dokumentationen und indirekter sowie direkter Erhebungen kommen hier auch korpuslinguistische und -statistische Methoden zum Einsatz. Außerdem erfolgte eine erste Bestimmung und Hierarchisierung relevanter Faktoren von Sprachwandelprozessen. Verschiedene Studien von Michael Cysouw (PI) zeigen, wie statistische Auswertungen von Variationsdaten erfolgen können. Anhand von variationslinguistischen Daten wird z. B. Sprachwandel rekonstruiert (Cysouw & Forker 2009), werden semantische Repräsentationen begründet (Cysouw 2014) und wird die statistische Relevanz unterschiedlicher Erklärungsfaktoren bewertet (Fleischer et al. 2018).

  • Cysouw, M. & Forker, D. (2009). Reconstruction of morphosyntactic function: Nonspatial usage of spatial case marking in Tsezic. Language, 85(3), 588–617.

  • Cysouw, M. (2014). Inducing semantic roles. Silvia Luraghi & Heiko Narrog (eds.) Perspectives on Semantic Roles, 23-68. Amsterdam: Benjamins.

  • Fischer, H. (2018). Präteritumschwund im Deutschen. Dokumentation und Erklärung eines Verdrängungsprozesses. Berlin/Boston: De Gruyter.

  • Fischer, H. (2020). Gesprochene Sprache im Fokus: Eine gebrauchslinguistische Studie zum Ausdruckswandel grammatischer Kategorien im Deutschen. Philipps-Universität Marburg.

  • Fleischer, J., Cysouw, M., Speyer, A. & Wiese, R. (2018). Variation and its determinants: a corpusbased study of german schwa in the letters of Goethe. Zeitschrift für Sprachwissenschaft, 37(1), 55–81.

Bezüge zu anderen Projekten

Das Projekt ermöglicht Verknüpfungen zu Projekt C3, in dem ebenfalls morpho-syntaktische Wandelprozesse im Vordergrund stehen. Auch zu Projekt C1 lassen sich Verknüpfungen herstellen. Morpho-syntaktische Variationsphänomene weisen eine großräumige areale Verbreitung auf. Unbeantwortet ist dabei die Frage, welche Rolle die Grenzen der modernen Regionalsprachen für die Akzeptanz und die Verwendung von morpho-syntaktischen Varianten spielen. Diese Frage kann durch die Verknüpfung beider Projekte in den Fokus genommen werden. Schließlich besteht eine direkte Verknüpfung zu Projekt A4 (Diminutiva).