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Projekt B3 - Veränderung von Repräsentationen durch Manipulation von Lernumgebungen (b)
PI und Ko-PI: Prof. Dr. Christina Kauschke, Prof. Dr. Kathrin Siebold, Dr. Anna Rosenkranz
Promovierende: Martina Franz dos Santos
Forschungskontext
Gering literalisierte Deutsch als Zweitsprache-Lernende stehen vor der doppelten Herausforderung, eine neue Sprache und gleichzeitig grundlegende schriftsprachliche Kompetenzen zu entwickeln. Studien zeigen, dass der Erwerb einer ersten Schriftsprache die kognitiven Verarbeitungsprozesse und das Sprachbewusstsein entscheidend prägt (Lemke-Ghafir et al. 2021). In der Folge erreichen gering literalisierte Lernende meist ein niedrigeres Sprachniveau als bereits literalisierte Zweitsprachenlernende (Peyton & Young-Scholten 2020).
In einer Gesellschaft, in der Schriftlichkeit eine zentrale Voraussetzung für Teilhabe ist, rückt der Erwerb funktionaler Literalität in den Fokus. Diese beschreibt die Fähigkeit, schriftsprachliche Handlungen im Alltag kompetent zu bewältigen (UNESCO 2021; Levine 1986). Aus Sicht der New Literacy Studies (vgl. Street 2003, 2008; Barton & Hamilton 2003) ist Literalität nicht allein eine kognitive Fähigkeit, sondern immer auch sozial und kulturell verankert. Der Europarat greift diese doppelte Verankerung im Referenzrahmen LASLLIAM auf, in dem Literalität sowohl als kognitive als auch als sozial-kommunikative Fähigkeit verstanden wird (Minuz et al. 2022).
Trotz wachsender Forschungstätigkeit bleibt unklar, wie ein solches erweitertes Verständnis von Literalität in didaktische Praxis und Testverfahren überführt werden kann. Bestehende Studien konzentrieren sich zumeist auf die Wirksamkeit einzelner Methoden zur Förderung kognitiver Teilkompetenzen (z. B. Pracht 2010; Scheithauer 2010; Feldmeier 2010; Heyn 2013). Auch große Studien wie Alphamar oder die internationale What Works-Studie (Condelli et al. 2002) lassen die tatsächliche Nutzung von Schrift in realen Kontexten oft unberücksichtigt.
Aktuelles Promotionsprojekte
Arbeitstitel: Messung und Förderung funktionaler literaler Kompetenzen bei gering literalisierten Deutsch-als-Zweitsprache-Lernenden
Ziele
Die geplante Dissertation greift dieses Forschungsdesiderat auf und untersucht, ob ein methodisch-didaktischer Zugang auf Basis soziokultureller Lerntheorien, insbesondere das Konzept der Communities of Practice (Lave & Wenger [1991] 2020), den Erwerb funktionaler Literalität wirksamer unterstützt. In einer Interventionsstudie nehmen Lernende über einen längeren Zeitraum an einer Community of Practice teil, in der sie an für sie relevanten schriftsprachlichen Praktiken partizipieren. Der Lernerfolg wird mit zwei Kontrollgruppen verglichen: einer ohne Intervention und einer mit der Lernberatung nach Markov, Scheithauer & Schramm (2015).
Ziel des Dissertationsprojekts ist es, zu untersuchen, wie sich mentale Repräsentationen schriftsprachlicher Einheiten und funktionale literale Kompetenzen durch unterschiedliche didaktische Settings verändern – und in welchem Verhältnis diese Veränderungen zueinander stehen.
Methoden
Die Studie ist als kursbegleitende, quasi-experimentelle Interventionsstudie angelegt. Zwei Interventionsgruppen und eine Kontrollgruppe werden über mehrere Monate begleitet. Erhoben werden sowohl technische als auch funktionale schriftsprachliche Kompetenzen. Dazu wurde ein Performanztest entwickelt, der sich an den LASLLIAM-Skalen orientiert und alltagsnahe Aufgabenstellungen wie das Ausfüllen von Formularen oder das Lesen öffentlicher Texte beinhaltet. Ergänzt wird das quantitative Design durch semi-strukturierte Leitfadeninterviews mit den Teilnehmenden an den beiden Interventionen.
Forschungsstand und Vorarbeiten
Als Grundlage für die empirische Erhebung wurde ein Testinstrument zur Messung funktionaler Literalität konzipiert und in mehreren Pilotierungen (n = 30) auf psychometrische Güte überprüft. Zusätzlich wurde ein systematischer Überblick zur internationalen Forschung im LESLLA-Bereich erarbeitet. Erste Ergebnisse wurden bereits veröffentlicht:
Franz dos Santos, Martina (i.V.): Test for the Assessment of Emerging Literacy Skills in German as a Second Language. https://www.coe.int/de/web/lang-migrants. |
Franz dos Santos, Martina (i.D.): Assessing LESLLA learners’ functional literacy competences. In: Czinglar, Christine; Perry, Kristen & Schramm, Karen (Hrsg.): Adult Migrants Acquiring Oral and Basic Literacy Skills in a Second Language: Literacy Events, Language Learning and Formative Assessment. Berlin: De Gruyter. |
Franz dos Santos, Martina (2023): Messung schriftsprachlicher Kompetenzen unterhalb des A1-Niveaus – Ein Testentwicklungsprojekt anhand der LASLLIAM-Skalen. In Sylwia Adamczak-Krysztofowicz, Luiza Ciepielewska-Kaczmarek, Sabine Jentges, Eva Knopp, Milica Lazovic, Kathrin Siebold (eds.), Empirische Unterrichtsforschung in DaFZ - Gegenstände und methodische Zugänge. Interdisziplinäre Verortungen der Angewandten Linguistik, 61–76. Göttingen: V&R unipress. |
Franz dos Santos, Martina (2023): „Sprachlernberatung – Ein Beitrag zur Befähigung zum schriftsprachlichen Handeln für gering-literalisierte DaZ-Lernende?“ in: Boeckmann, Klaus-Börge; Schweiger, Hannes; Reitbrecht, Sandra & Sorger, Brigitte: „Band 1: Mit Sprache handeln. Partizipativ Deutsch lernen und lehren“. Berlin: Erich Schmidt Verlag. |
Bezüge zu anderen Projekten
Thematische Überschneidungen bestehen insbesondere mit den anderen Teilprojekten im Forschungsbereich B, die sich ebenfalls mit Spracherwerb beschäftigen. Hierbei gibt es die größten Überschneidungen mit Teilprojekt B3a, da in diesem Projekt ebenfalls eine Interventionsstudie geplant ist. Zudem spielt der Zweitspracherwerb auch in Teilprojekt B1 eine Rolle, so dass es auch hier thematische Überschneidungen gibt.
Literaturangaben (Auswahl)
Albert, Ruth; Heyn, Anne; Rokitzki, Christiane; Teepker, Frauke (2015): Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch. Lehrmethoden auf dem Prüfstand. Marburg: Tectum Verlag.
Barton, David & Mary Hamilton (2003): Local Literacies. Reading and Writing in one Community. London: Routledge.
Condelli, Larry; Spruck Wrigley, Heide; Yoon, Kwang; Cronen, Stephanie; Seburn, Mary (2002): “What Works” Study for Adult ESL Literacy Students: American Institutes for Research.
Feldmeier, Alexis (2010b): Alphabetisierung von Erwachsenen nicht deutscher Muttersprache. Leseprozesse und Anwendung von Strategien beim Erlesen isoliert dargestellter Wörter unter besonderer Berücksichtigung der farblichen und typographischen Markierung von Buchstabengruppen. Dissertation. Universität Bielefeld, Bielefeld. Online verfügbar unter https://pub.uni-bielefeld.de/record/2301752, zuletzt geprüft am 08.07.2025.
Heyn, Anne (2013): Sprachen lernen mit Methode: Der Rückgriff auf die Muttersprache im Sprachunterricht. Marburg: Tectum Verlag.
Lave, Jean & Étienne Wenger (2020 [1991]): Situated Learning. Legitimate Peripheral Participation, 31st edn. Cambridge: Cambridge University Press.
Lemke-Ghafir, Cosima; Rezzani, Miguel; Schroeder, Christoph; Steinbock, Dorotheé (2021): Erste Schrift und zweite Sprache. Migrant_innen ohne oder mit geringer formaler Bildung in Alphabetisierungskursen. Osnabrück.
Levine, Kenneth (1986): The Social Context of Literacy. London: Routledge & Kegan Paul.
Markov, Stefan; Scheithauer, Christiane; Schramm, Karen (2015): Lernberatung für Teilnehmende in DaZ-Alphabetisierungskursen – Handreichungen für Lernberatende und Lehrkräfte. Münster / New York: Waxmann.
Minuz, Fernanda, Jeanne Kurvers, Karen Schramm, Lorenzo Rocca & Rola Naeb (2022): Literacy and Second Language Learning for the Linguistic Integration of Adult Migrants. Reference guide. Strasbourg: Council of Europe.
Peyton, Joy Kreeft; Young-Scholten, Martha (2020): Introduction: Understanding Adults Learning to Read for the First Time in a New Language: Multiple Perspectives. In: Joy Kreeft Peyton (Hg.): Teaching Adult Immigrants with Limited Formal Education. Theory, Research and Practice. 1st ed. Bristol: Channel View Publications, S. 1-10.
Pracht, Henrike (2010): Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch als Schemabildungsprozess. Bedingungsfaktoren der Schemaetablierung und -verwendung auf der Grundlage der „usage-based theory“. Dissertation. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann (Alphabetisierung und Grundbildung, Band 4).
Scheithauer, Christiane (2010): Diagnose phonologischer Bewusstheit in der Zweitsprache – Erprobung im Integrationskurs mit Alphabetisierung. In: Bolte, Henning; Roll, Heike; Schramm, Karen (Hg.): Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch. Duisburg: Redaktion Obst, S. 75–90.
Street, Brian (2003): What’s “new” in New Literacy Studies? Critical approaches to literacy in theory and practice. Current Issues in Comparative Education 5(2). 77–91.
Street, Brian (2008): Ethnography of writing and reading. In David R. Olson & Nancy Torrance (eds.), The Cambridge Handbook of Literacy, 329–345. Cambridge/NY: Cambridge University Press.
UNESCO Institute of Statistics (2021): SDG indicator metadata. https://tcg.uis.unesco.org/wp-content/uploads/sites/4/2020/08/Metadata-4.6.1.pdf (accessed 23 July 2024).