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Projekt B3 - Veränderung von Repräsentationen durch Manipulation von Lernumgebungen (a)
PI und Ko-PI: Prof. Dr. Christina Kauschke, Prof. Dr. Kathrin Siebold, Dr. Anna Rosenkranz
Promovierende: Anne Heinzmann
Forschungskontext
Die übergeordnete Fragestellung von Projekt B3 richtet sich auf die Modifizierbarkeit sprachlicher Repräsentationen. Lassen sich verfestigte, nicht-zielsprachliche bzw. schwer zu erwerbende Formen, die im Rahmen typischer oder untypischer Lernprozesse auftreten, durch Manipulationen der Lernumgebung oder durch spezifische Interventionsmaßnahmen, wie sie aus den Bereichen der Sprachförderung, Sprachtherapie und Sprachdidaktik bekannt sind, verändern? Eine Möglichkeit dazu ist die Erhöhung der Intensität und Qualität des Sprachangebotes (z.B. Inputanreicherung in der Sprachtherapie, Inputfluten oder andere Formen der Inputadaption in der Zweit- und Fremdsprachendidaktik, siehe Kauschke 2022, Madlener-Charpentier 2022). Mit derartigen impliziten Methoden wird optimal strukturierter und erwerbsförderlicher Input angeboten, so dass Lernende relevante Zielstrukturen besser wahrnehmen, verarbeiten und infolgedessen sprachliche Repräsentationen reorganisieren und neu verankern können. Demgegenüber erfordern explizite, metasprachliche Lehr- und Lernmethoden eine bewusste Auseinandersetzung mit sprachlichen Regularitäten. Für die Praxis werden oft Kombinationen von impliziten und expliziten Methoden empfohlen (Siebold 2023). Um diesen Fragen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lernbedingungen, Erwerbstypen und Populationen nachzugehen, umfasst Projekt B3 ab der zweiten Kohorte jeweils zwei Promotionsprojekte: B3a mit Fokus auf dem typischen und gestörten Spracherwerb bei Kindern, B3b mit Fokus auf dem Zweit- bzw. Fremdspracherwerb.
Aktuelles Promotionsprojekte
Arbeitstitel: Wortformverarbeitung bei Kindern mit Aussprachestörungen: Effekte von Intervention auf die Präzision phonologischer Repräsentationen
Ziele
Ziel des Projekts ist es, Einblicke in die Wortformverarbeitung bei kindlicher Aussprachestörung zu erhalten sowie zu erforschen, wie die Sprachwahrnehmung und -produktion von Kindern mit Aussprachestörung verbessert werden kann.
Fragestellungen sind, wie Vorschulkinder mit Aussprachestörung im Vergleich zu Kindern mit typischer Sprachentwicklung auf Manipulationen von Wortformen reagieren und wie sie diese neurologisch verarbeiten. Außerdem wird die Effektivität der therapeutischen Methode der Inputanreicherung erforscht und damit untersucht, ob phonologische Repräsentationen durch gezielten Input präziser werden.
Das Projekt soll dazu beitragen, Prozesse im gestörten Ausspracheerwerb besser zu verstehen und Kinder mit Aussprachestörung bestmöglich zu unterstützen.
Methoden
In Verhaltens- und neurolinguistischen Experimenten (lexikalisches Entscheiden, Wort-Bild-Matching, EEG) wird untersucht, wie Vorschulkinder mit Aussprachestörung im Vergleich zu sprachgesunden Kindern auf Manipulation von Wortformen (z.B. Substitution eines wortfinalen Schwa durch einen Vollvokal: „Biene“ /ˈbiːnə/ → *Biena, /ˈbiːna/) reagieren.
In einer Interventionsstudie in zwei Phasen werden Interventionseffekte auf die experimentell erhobenen Wortformverarbeitungsleistungen und die produktive Symptomatik der Aussprachestörung untersucht. In der ersten Phase erhalten Vorschulkinder mit phonologischer Aussprachestörung und Deutsch als Muttersprache eine reine Inputintervention, d.h. sie hören Geschichten, in denen sich spezifische lautliche Eigenschaften häufen. Hierfür werden die Kinder in zwei Gruppen unterteilt, die sich hinsichtlich der präsentierten phonologischen Zielstruktur unterscheiden.
In der zweiten Interventionsphase wird die Effektivität einer symptomorientierten Therapie nach dem Patholinguistischen Ansatz (Kauschke & Siegmüller 2019), der implizite und explizite Methoden kombiniert, überprüft.
Forschungsstand und Vorarbeiten
Bisherige Studien deuten darauf hin, dass bei Aussprachestörungen eine verringerte Wahrnehmungspräzision vorliegt (Hearnshaw et al. 2019) und dass solche veränderten Verarbeitungsprozesse auch im EEG sichtbar gemacht werden können (Gerwin et al. 2021; Archibald et al. 2012). Am Beispiel der Produktion und Perzeption von Wörtern mit finalen Reduktionsvokalen wurde gezeigt, dass Kinder mit Aussprachestörung hier besondere Schwierigkeiten haben (Domahs & Kauschke 2025) Derartige Wortstrukturen spielen als grundlegendes prosodisches Muster des Deutschen eine zentrale Rolle im kindlichen Spracherwerb (Kauschke 2018) und sollen daher im Promotionsprojekt B3a besondere Aufmerksamkeit erfahren.
Die Methode der Inputspezifizierung, die im Projekt eingesetzt wird, ist eine etablierte Methode in der Sprachtherapie (DGPP 2022) und Teil des patholinguistischen Ansatzes zur Therapie von Sprachentwicklungsstörungen (PLAN, Kauschke & Siegmüller 2019). Während für andere sprachliche Bereiche bereits Studien zur Wirksamkeit der Inputspezifizierung im Deutschen vorliegen (z.B. Kauschke 2022 für Plural und Genus), fehlen bislang noch Nachweise für die Wirksamkeit dieser Methode im Bereich der Aussprache.
Die Wort-Bild-Matching Aufgabe, die als Verhaltensexperiment mit paralleler EEG-Aufzeichnung stattfinden soll, wurde bereits im Rahmen des GRK erprobt. Sie basiert auf Vorarbeiten aus dem ehemaligen Promotionsprojekt B1 der Kohorte I und aus einer Pilotstudie, die während eines Qualifizierungsstipendiums von Anne Heinzmann durchgeführt wurde.
Bezüge zu anderen Projekten
Thematische Überschneidungen bestehen zum einen mit dem Teilprojekt B2 (Kohorte II), in dem ebenfalls der kindliche Spracherwerb untersucht wird. Außerdem bestehen inhaltliche und methodische Anknüpfungen an das Teilprojekt B3(b) (Kohorte II), da sich auch dieses Projekt mit Interventionsmethoden beschäftigt. Überschneidungen und Austausch bezüglich neurolinguistischer Erhebungsmethoden bestehen darüber hinaus mit den Teilprojekten B1 und A1 (Kohorte II).
Literatur
Archibald, Lisa M. D.; Joanisse, Marc F. (2012): Atypical neural responses to phonological detail in children with developmental language impairments. In: Developmental cognitive neuroscience 2 (1), S. 139–151. DOI: 10.1016/j.dcn.2011.07.003.
Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) (Hg.) (2022): S3-Leitlinie Sprachentwicklungsstörungen. AWMF online.
Domahs, U.; Kauschke, C. (2025): Reduktionssilben in der typischen und gestörten Sprachentwicklung – Einsichten in die Repräsentation prosodischer Muster. In: T. Hoffmeister, C. Kauschke, & M. Scharinger (Hg.): Repräsentationen aus linguistischer und interdisziplinärer Perspektive. Themenband Germanistische Linguistik. Nomos.
Gerwin, Katelyn L.; Brosseau-Lapré, Françoise; Weber, Christine (2021): Event-Related Potentials Elicited by Phonetic Errors Differentiate Children With Speech Sound Disorder and Typically Developing Peers. In: Journal of speech, language, and hearing research: JSLHR 64 (12), S. 4614–4630. DOI: 10.1044/2021_JSLHR-21-00203.
Hearnshaw, Stephanie; Baker, Elise; Munro, Natalie (2019): Speech Perception Skills of Children With Speech Sound Disorders: A Systematic Review and Meta-Analysis. In: Journal of speech, language, and hearing research : JSLHR 62 (10), S. 3771–3789. DOI: 10.1044/2019_JSLHR-S-18-0519.
Kauschke, Christina; Siegmüller, Julia (2019): Materialien zur Therapie nach dem Patholinguistischen Ansatz PLAN – Phonologie. Urban & Fischer.
Kauschke, Christina (2018): Wortbetonung als Einstieg in die Therapie von Sprachentwicklungsstörungen. In: logopädieschweiz (3), S. 4–11.
Kauschke, Christina (2022): Inputspezifizierung und Bewusstmachung als Methoden sprachtherapeutischer Intervention. In: Madlener-Charpentier, K. & Pagonis, G (Hg.): Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung. Kognitive und didaktische Perspektiven auf Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache. Tübingen: Narr Francke Attempto, S. 101–127.