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Sprachliche Ebenen

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  • Lexik

    Text 1

  • Argumentationen

    Verfasst von Valentin Fleck

    Wenn wir im Alltag diskutieren, eine Position vertreten oder andere von etwas überzeugen wollen, nutzen wir Argumentationen. Gleiches gilt für die politische Kommunikation, zu deren primären Eigenschaften die Erzeugung von Zustimmungsbereitschaft durch sprachliches Handeln gehört. Durch Sprache tauschen Menschen Gründe aus, um die Gültigkeit einer strittigen Aussage zu stärken oder anzuzweifeln. Argumentation kann somit allgemein verstanden werden als „die Bearbeitung einer Streitfrage durch das Geben und Nehmen von Gründen“ (Hannken-Illjes 2018: 20).

    Neben der Ausrichtung auf eine strittige Aussage spielt für Argumentationen jedoch auch die Annahme von Übereinstimmung (common ground) eine wichtige Rolle. Beim Argumentieren wird Strittigkeit durch das Anführen von Aussagen ausgehandelt, von denen die Argumentationspartner*innen annehmen, dass diese von den Beteiligten akzeptiert werden (sollten). Somit sind begründende Aussagen für sich selbst genommen nicht strittig, sondern werden als valide angenommen (vgl. Hanken-Illjes: 20.). Die Bedeutung von Strittigkeit einerseits und der Etablierung von Geltung andererseits, fasst auch die einschlägige Definition Wolfgang Kleins prägnant zusammen. Er begreift Argumentation als den Versuch „mit Hilfe des kollektiv Geltenden etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv Geltendes zu überführen“ (Klein 1980: 19). Entscheidend ist dabei nicht notwendigerweise Rationalität und ein logisches Beweisverfahren, wie es beispielswiese in wissenschaftlichen und philosophischen Argumentationen üblich ist. Stattdessen zielt Argumentieren in den meisten Kontexten vielmehr auf die Herstellung von Plausibilität ab, wobei auf bekanntes und gemeinhin akzeptiertes Wissen zurückgegriffen wird. Für dieses gelten andere Standards als die der formalen Logik, weshalb zu ihrer Analyse auch auf andere Instrumente zurückgegriffen werden muss (vgl. Niehr 2014: 152).

    Zur Analyse von Argumentationen hat sich in der Linguistik der Ansatz des Philosophen Stephen Toulmin (Toulmin 22003) durchgesetzt. Er unterscheidet dabei zwischen Konklusion (engl. conclusion), Datum (data), Schlussregel (warrant) und Stützung (backing). Die vollständige Struktur einer Argumentation legt Toulmin anhand dieser Bestandteile, gegebenenfalls ergänzt durch modale Operatoren, in seinem viel rezipierten Modell dar. Darin nimmt die Konklusion eine zentrale Rolle ein. Sie beinhaltet die strittige Aussage, die es durch Daten zu begründen gilt. Der plausibilisierende Übergang von Datum zu Konklusion wird indes durch die Schlussregel vollzogen. Sie liefert die notwenigen Wissensaspekte, die für die Annahme der Gültigkeit der Daten vonnöten ist (Toulmin 22003: 97). [Ein ausführliches Beispiel dazu findest Du hier.] 

    Typisch für Argumentationen ist, dass nicht immer alle dieser Leerstellen tatsächlich besetzt sind. Die fehlenden Positionen, insbesondere die meist implizite Schlussregel, müssen daher durch die Analyse erschlossen werden. Das grundlegende (im Beispiel oben vereinfacht genannte) Schema Toulmins muss für die Komplexität realer Argumentationen daher zuweilen angepasst und erweitert werden (siehe dazu Toulmin 22003: 97).

    Im Rahmen der Argumentationsanalyse gilt es, Argumentationen und Argumente deren Grundeinheiten – Argumente (vgl. dazu Hannken-Illjes 2018: 21f.) – zu identifizieren. Dabei können in geringem Ausmaß Phänomene an der Textoberfläche (z.B. Wörter wie weil oder deshalb) helfen, die als argumentations-indizierend betrachtet werden. Niehr (2017) warnt jedoch davor, das Vorkommen solcher Argumentationsindikatoren als direkten Schluss auf das Vorliegen einer Argumentation zu verstehen. Vielmehr müssten Argumentationen durch ein solides Textverständnis von den Rezipient*innen herausgearbeitet werden (vgl. Niehr 2017: 175-180).

     

    Argumentationsmuster/Topoi

    Ein wichtiger Aspekt der rhetorischen und sprachwissenschaftlichen Forschung ist neben der Analyse einzelner Argumentationen auch die Sammlung und Kategorisierung unterschiedlicher Argumentationsschemata. Diese werden Argumentationsmuster oder in Anlehnung an die antike Rhetorik Topoi (Singular: Topos) genannt. Unter Topos wird dabei „ein vielseitig verwendbarer, für den Argumentierenden bereitliegender Sachzusammenhang, der zur argumentativen Begründung konkreter zur Diskussion stehender Positionen herangezogen wird“ verstanden (Jung/Wengeler 1999: 154). Damit sind Topoi dem Wortsinn nach Orte, an denen Argumente aufgefunden werden können und auf welche alle Menschen gleichermaßen Zugriff haben. Als das „kollektiv Geltende“ (Klein 1980) in einer Gesellschaft sind sie zudem scheinbar neutral und können für jeden Sachzusammenhang eingesetzt werden (vgl. Hannken-Illjes 2018: 101). Hier setzt die linguistische und diskursanalytische Forschung an: Sie betrachtet nicht nur einzelne Argumentationen, sondern untersucht systematisch, welche Topoi in öffentlichen Debatten immer wieder aktiviert und genutzt werden (vgl. dazu Kienpointner 2017: 199-203).

    Um dies zu verdeutlichen, soll noch einmal auf das oben eingeführte Beispiel des Bundespräsidenten eingegangen werden. In der Beispielanalyse wurde gezeigt, welche Schlussregel gelten muss, damit der Übergang von den Daten (Ideologische Verblendung hat zu Verbrechen im Nationalsozialismus geführt) zur Konklusion (Deutschland muss aus der Vergangenheit lernen und an diese erinnert werden) plausibel erscheint. Als Schlussregel wurde dabei wie folgt frei formuliert: Wenn Nationalismus, Imperialismus und Rassismus zu solchen Verbrechen führen, müssen diese Ideologien erkannt und verhindert werden, um zukünftige Verbrechen zu verhindern. Solche Schlussregeln sind jedoch nicht zufällig, sondern folgen wiederkehrenden, in einer Gesellschaft etablierten Mustern:

    Im konkreten Fall des eingeführten Beispiels handelt es sich im Sinne Kientpointners (1992: 246) um ein Argumentationsschema, welches die Schlussregel zur Herstellung einer Kausalbeziehung zwischen Datum und Konklusion verwendet. Genau genommen ist dieser Topos dadurch charakterisiert, dass aus bestimmten Voraussetzungen (Daten) mögliche Folgen abgeleitet werden, die als handlungsleitend dargestellt werden (auch Konsequenzentopos genannt). In der Argumentation wird auf die negativen Konsequenzen verwiesen, die eintreten könnten, wenn eine bestimmte Forderung nicht beachtet wird. Der argumentative Zug des Bundespräsidenten beruht damit auf einem Kausalzusammenhang zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das historische Wissen um die Folgen bestimmter Ideologien wird hier zur Begründung einer gegenwärtigen Handlungsnorm herangezogen.

    Ein weiteres bekanntes Beispiel für den Konsequenzentopos stammt aus dem Diskurs der Coronapandemie. Dort wurden landesweite Lockdowns mehrheitlich ebenfalls mithilfe der negativen Folgen für Teile der Bevölkerung legitimiert. Andere Positionen argumentierten dagegen zuweilen in einer Weise, die eine Normalisierung oder auch Naturalisierung des Virus anstrebte. Der darin aufgerufene Naturtopos setzt das Natürliche stets als normativen Maßstab, weshalb das Virus als unproblematisch, normal oder ‚einfache Grippe‘ dargestellt wurde.

     

    Quellen:

    Hannken-Illjes, Kati (2018): Argumentation. Einführung in die Theorie und Analyse der Argumentation. Tübingen.

    Kienpointner, Manfred (1992): Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern. Stuttgart.

    Kienpointner, Manfred (2017): Topoi. In: Roth, Kersten Sven/Wengeler, Martin/Ziem, Alexander (Hrsg.): Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft, S. 187–211.

    Niehr, Thomas (2014): Einführung in die linguistische Diskursanalyse. Darmstadt.

    Niehr, Thomas (2017): Argumentation in Texten. In: Roth, Kersten Sven/Wengeler, Martin/Ziem, Alexander (Hrsg.): Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft, S. 165–186.

    Jung, Matthias/Wengeler, Martin (1999): Wörter – Argumente – Diskurse. Was die Öffentlichketi bewegt und was die Linguistik dazu sagen kann. In: Gerhard, Stickel (Hrsg.): Sprache – Sprachwissenschaft – Öffentlichkeit, S. 143–171.

    Toulmin, Stephen E. (2003): The Uses of Argument. Cambridge: Cambridge University Press.

     

  • Frames

    Text 3

  • Metaphern

    Text 4

  • Sprachstrategien

    Verfasst von Valentin Fleck

    Ein weiteres Betätigungsfeld im Bereich der Polito- und Diskurslinguistik ist die Beschäftigung mit den politisch-strategischen Absichten in der Kommunikation von Akteur*innen aus Politik und Öffentlichkeit. Sogenannte Sprachstrategien sind in erster Linie darauf ausgerichtet, die Zustimmungsbereitschaft bei den Rezipient*innen zu erhöhen und damit den politischen Erfolg von Personen oder Parteien zu sichern. Als sekundäre Ziele versuchen Kommunikator*innen einerseits das Publikum davon zu überzeugen, dass sie dessen Interessen besser als ihre Konkurrenz vertreten. Andererseits sind sie darum bemüht, ihre Aussagen nach kommunikationsethischen Maximen wie Glaubwürdigkeit, Relevanz, Informativität und Klarheit zu gestalten (siehe dazu Grice: 1975). Sprachstrategien werden zudem eingesetzt, um entweder die eigene Position zu stärken (indem sprachlich z.B. auch ein positives Image erzeugt wird) oder die der Konkurrenz zu schwächen, woraus sich eine starke Ähnlichkeit mit der Werbung ergibt (vgl. Klein 1998: 376).

    Eine grundlegende Beschreibung sprachlicher Basisstrategien in der Politik geht auf Josef Klein (1998) zurück, der zwischen Basisstrategien, Kaschierstrategien und Konkurrenzstrategien unterscheidet. Kleins Analysen von Sprachstrategien operieren primär auf der Ebene der politischen Strategie und der der Orientierung an kommunikativen Normen. Die sprachlichen Äußerungen werden dabei als Resultat eines Abwägungsprozesses zwischen politischen Erfolgsmaximen und normativen Standards betrachtet. Basisstrategien orientieren sich an den Präferenzen der Adressat*innengruppen und dienen der Aufwertung der eigenen Position. Damit geht meistens auch eine Abwertung der gegnerischen Position einher. Auf lexikalischer Ebene bedeutet dies beispielsweise eine Häufung positiv besetzter Schlagwörter (Hochwertwörter) wie etwa Freiheit oder Umweltschutz oder das Signalisieren von Gruppenzugehörigkeit durch das adressaten-einschließende, kollektive Wir. Umgekehrt können politische Gegner*innen mit semantisch negativen Begriffen (Unwert- oder Stigmawörter) oder abwertenden Sprechakten (z.B. Kritisieren, Entlarven oder Beschimpfen) politisch „bekämpft“ werden (Klein 1998: 376-382).

    Die zweite von Klein (1998: 382-389) beschriebene Strategie umfasst sogenannte Kaschierstrategien. Sie verfolgen das Ziel, Verstöße gegen das Interesse relevanter Adressat*innengruppen oder gegen kommunikationsethische Normen (Wahrheit, Relevanz, Informativität und Klarheit) zu verbergen. Dies äußert sich beispielsweise in Strategien wie dem Ausweichmanöver, dem Euphemismus, der Tautologie, Mehrdeutigkeit oder Weitschweifigkeit.

    Unter dem Begriff Konkurrenzstrategien werden schließlich eine Reihe von Vorgängen zusammengefasst, die häufig auch als semantische Kämpfe oder Streit um Worte bezeichnet werden. Diesen Prozessen liegt die Annahme zugrunde, dass Sprache eine wirklichkeitskonstitutive Kraft habe und durch die Dominanz eines parteilich geprägten Ausdrucks im Sprachgebrauch auch die Sichtweise jener Bewegung verbreitet werde (vgl. Wengeler 2017: 29f.). Diese Vorstellung machte der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf 1973 in einer Rede populär, in der er die Metapher vom Besetzen der Begriffe prägte (vgl. Klein 1998: 389). Diese wurde infolgedessen von der Linguistik aufgenommen und weiterentwickelt. Klein (1998: 389-393) versteht unter Konkurrenzstrategien einerseits das Besetzen von Begriffen – beispielsweise durch die Innovation neuer Konzepte (z.B. Soziale Marktwirtschaft statt Sozialismus), die Entwicklung von Konkurrenzbezeichnungen (z.B. Schwangerschaftsabbruch statt Abtreibung) oder Umdeutung von Begriffen (z.B. Nachhaltigkeit in der Klimabewegung vs. Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik). Zum anderen werden dazu Strategien wie die Verteidigung von Begriffen, der Rückzug aus Begriffen, die Demontage von Begriffen und weitere gezählt.

    Einen anderen Fokus setzt Christian Efings Analyse der Wahlkampfrhetorik (Efing 2005). Efing konzentriert sich auf die Rhetorik als ganzheitliches Persuasionssystem in seiner medialen und demokratietheoretischen Einbettung. Seine Analyseebenen sind stärker an der Kommunikationspraxis und den Textsorten orientiert, genau genommen an der Ausrichtung auf den demokratischen Wahlkampf. Er unterscheidet zwischen Strategien der Profilierung, Polarisierung, Diskriminierung/Gegnerabwertung/negative campaigning, Entlarvung, Prolongierung, Personalisierung und Image-Konstruktion. [Mehr dazu kann hier nachgelesen werden.]

     

     

    Quellen:

    Efing, Christian (2005): Rhetorik in der Demokratie. Argumentation und Persuasion in politischer (Wahl-)Werbung. In: Kilian, Jörg (Hrsg.): Sprache und Politik. Deutsch im demokratischen Staat. Mannheim, S. 222–241.

    Grice, Paul (1975): Logic and Conversation. In: Cole, Peter/Morgan, Jerry (Eds.): Syntax and Semantics, Vol. 3: Speech Acts. New York, S. 41–58.

    Klein, Josef (1998): Politische Kommunikation als Sprachstrategie.  In: Jarren, Otfried/Sarcinelli, Ulrich/Saxer, Ulrich (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen/Wiesbaden, S. 376–395.

    Wengeler, Martin (2017): Wortschatz I: Schlagwörter, politische Leitvokabeln und der Streit um Worte. In: Roth, Kersten Sven/Wengeler, Martin/Ziem, Alexander (Hrsg.): Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft. Berlin/Boston, S. 22–46.

  • Positionierung und Stancetaking

    Verfasst von Valentin Fleck

    Die Analyseebene der Positionierung (engl. positioning) bildet einen zentralen Zugang zur Untersuchung von Identitätskonstruktionen in der politischen Kommunikation und Diskurslinguistik. Ursprünglich in der discursive psychology entwickelt, ist das Konzept eng mit den Namen Wendy Hollway (Hollway 1984), Bronwyn Davies und Rom Harré (Davies/Harré 1990) verbunden.

    Die Positionierungstheorie versteht Identität als situativ, interaktiv und sprachlich hervorgebracht. Positionierung beschreibt den „discursive process whereby selves are located in conversations as observably and subjectively coherent participants in jointly produced story lines“ (Davies/Harré 1990: 48). Eine Position wird demnach nicht als vorgegebene Eigenschaft, sondern als Resultat sozialer und sprachlicher Praktiken verstanden.

    Davies und Harré unterscheiden dabei zwischen interaktiven bzw. Fremdpositionierungen, „in which what one person says positions another“, und reflexiven bzw. Selbstpositionierungen, „in which one positions oneself“ (Davies/Harré 1990: 48). Sprecher:innen können sich somit selbst in eine bestimmte soziale oder moralische Rolle einordnen oder von anderen in diese eingeordnet werden. Die Positionierung ist dabei nie statisch, sondern stets verhandelbar – sie entsteht im Zusammenspiel von Selbst- und Fremdwahrnehmung innerhalb der gegebenen Interaktionen.

    Im deutschsprachigen Raum wurde das Konzept insbesondere von Lucius-Hoene und Deppermann (2000, 2004, 2008) aufgegriffen und mit gesprächsanalytischen Ansätzen verbunden. Positionierung bezeichnet hier „jene Aspekte sprachlicher Handlungen, mit denen ein Sprecher sich in einer Interaktion zu einer sozial bestimmbaren Person macht, eben eine bestimmte »Position« im sozialen Raum für sich in Anspruch nimmt“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 168). Solche Positionen können sich auf soziale Identitäten (z. B. Geschlecht, Beruf, politische Zugehörigkeit), moralische Rechte und Pflichten oder epistemische Ansprüche beziehen (ebd.: 171). Im Zentrum steht die lokale Aushandlung von Identität, die sich im konkreten Sprachgebrauch vollzieht und dabei gesellschaftlich verfügbare Kategorien und Diskurse aufgreift.

    Für die Diskurslinguistik ist das Konzept der Positionierung anschlussfähig, weil es die Verbindung herstellt zwischen der mikroanalytischen Ebene, auf der Sprache gebraucht wird, und der makrostrukturellen Ebene gesellschaftlicher Diskurse. Wie Dang-Anh (2023: 16f.) betont, verweisen Positionierungen in öffentlichen Kommunikationsräumen stets auf übergeordnete Diskurse, die den Rahmen für legitime Identitätsentwürfe und kommunikative Strategien bilden. Politische Sprecher:innen nutzen sprachliche Selbst- und Fremdpositionierungen, um ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Werten zu markieren und sich zugleich gegenüber konkurrierenden Positionen abzugrenzen. Die Analyse der Positionierung kann somit dazu dienen zu erklären, wer jemand im Diskurs ist.

     

    Stancetaking

    Eine theoretische und methodische Erweiterung erfährt das Positionierungskonzept durch das eng verwandte Konzept des Stancetaking. Während Positionierung gewissermaßen „den sozialen Ort“ von Sprecher:innen im Diskurs beschreibt, fokussiert Stancetaking die sprachlichen Praktiken, mit denen Bewertungen, Haltungen und Perspektiven realisiert werden. Maßgeblich geprägt wurde dieser Ansatz durch Du Bois (2007), der zur Analyse von Positionierungshandlungen das sogenannte Stance Triangle entwickelt hat. Jeder Stance-Akt umfasst nach Du Bois drei simultan realisierte Teilhandlungen:

    Sprecher:in 1 bewertet ein Objekt oder einen Sachverhalt,
    Sprecher:in 1 positioniert sich selbst in Bezug auf dieses Objekt,
    Sprecher:in 1 richtet sich relational zu Sprecher:in 2 aus.
    In seiner oft zitierten Formel fasst Du Bois (2007: 163) dies zusammen: „I evaluate something, thereby position myself, and thereby align with you.“

    Mit diesem Modell wird deutlich, dass Bewertung, Identität und soziale Relationierung (engl. Alignment) in der sprachlichen Interaktion untrennbar miteinander verknüpft sind. Jaffe (2009) greift diese Perspektive auf und verbindet Stance explizit mit Positionierung und Diskursanalyse. Sie zeigt, dass Stancetaking nicht nur individuelle Haltungen ausdrückt, sondern auch soziale und ideologische Positionen markiert, die in einem Diskursraum ausgehandelt werden. Drei übergeordnete Stance-Typen werden dabei für gewöhnlich unterschieden: affektive Standpunkte, die Gefühle zum Ausdruck bringen; epistemische Haltungen, die Gewissheit und Erkenntnis behandeln sowie evaluative bzw. deontische Standpunkte, bei denen es um Bewertungen, Einschätzungen und Werturteile geht.

    Insgesamt ermöglicht es die Verbindung von Positionierung und Stancetaking, sprachliche Interaktionen als Momente der Identitäts- und Bedeutungsproduktion zu begreifen. So lässt sich zusammenfassend sagen, dass Positionierung das Ergebnis der Identitätsarbeit ist, während Stancetaking die sprachlich manifestierte Haltung ist, die diese Identitäts- und Beziehungsarbeit aktiv leistet. Eine Beispielanalyse dazu findest du hier [PDF].

     

    Quellen:

    Dang-Anh, Mark (2023): Einleitung, In: Ders. (Hrsg.): Politisches Positionieren: Sprachliche und soziale Praktiken. Heidelberg, S. 7–38.

    Davies, Bronwyn/Harré, Rom (1990): Positioning: The Discursive Production of Selves. In Journal for the Theory of Social Behaviour. Vol. 20, Nr. 1, S 43–63.

    Du Bois, John W. (2007): The Stance Triangle. In: Englebretson, Robert (Hrsg.): Stancetaking in discourse: subjectivity, evaluation, interaction. Amsterdam, S. 139–183.

    Hollway, Wendy (1984): Gender difference and the production of subjectivity. In: Henriques, Julian/Hollway, Wendy/Urwin, Cathy/Venn, Couze/Walker, Valerie (Hrsg.): Changing the Subject: Psychology, Social Regulation and Subjectivity. London, S. 227–263.

    Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf (2000): Narrative identity empiricized: A dialogical and positioning approach to autobiographical research interviews. In: Narrative Inquiry, 10(1), S. 199–222.

    Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf (2004): Narrative Identität und Positionierung. In: Gesprächsforschung 5, S. 166–183.

    Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf (2008): Positionierung als Verfahren der Interaktionskontrolle. Thematisierung, De-Thematisierung und symbolische Aufhebung des Abschieds in der letzten Stunde der Therapie »Amalie «. In: Psychotherapie & Sozialwissenschaft 10, S. 7–20.