06.10.2022 Über 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten die DPhG-Jahrestagung in Marburg

„From Behring to Biotechnology – Moving Pharmaceutical Sciences Towards One Health“. Unter diesem Motto stand die diesjährige DPhG-Jahrestagung, die gemeinsam mit dem Fachbereich Pharmazie der Philipps Universität Marburg durchgeführt wurde.

Regina Gerlach-Riehl
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DPhG-Jahrestagung in Marburg

Vom 13. bis 17. September 2022 trafen sich in Marburg PharmazeutInnen aus ganz Deutschland, um sich über aktuelle Forschungsthemen und Entwicklungen in der Pharmazie weiterzubilden und auszutauschen. In Anlehnung an die wissenschaftliche Tradition und die aktuellen Errungenschaften der pharmazeutischen und industriellen Entwicklung am Standort Marburg lautete der Titel der diesjährigen Tagung „From Behring to Biotechnology – Moving Pharmaceutical Sciences Towards One Health“. Eine Vielzahl interdisziplinärer Vortragsreihen aus allen Fachgebieten der Pharmazie gaben den TeilnehmerInnen einen umfassenden und aktuellen Überblick – nach drei Jahren endlich wieder in Präsenz. Wie auf den Jahrestagungen der DPhG üblich, hatten auch in Marburg NachwuchswissenschaftlerInnen ausreichend Gelegenheit ihre Arbeiten vorzustellen und zu diskutieren, sich in Workshops über Karriereperspektiven zu informieren und sich mit anderen ForscherInnen in den ausgedehnten Poster-Sessions direkt auszutauschen. Inhaltliche Schwerpunkte der Tagung waren unter anderem die Themenbereiche der Medizinisch-Pharmazeutischen Chemie, insbesondere im Hinblick auf die antiviralen und entzündungshemmenden Therapien - aber auch die Zukunftsthemen wie Digitalisierung, IT-gestütztes Wirkstoffdesign, Modeling-Strategien und Personalisierte Arzneistofftherapie. Weitere Schwerpunkte bildeten die pharmazeutischen Kernthemen der Pharmakologie und Klinischen Pharmazie und die innovativen technologischen Arzneiformulierungen, hier vor allem die Nanoformulierungen zur zielgerichteten Arzneistoffapplikation.

Die thematischen Schwerpunkte der Jahrestagung wurden durch Plenarvorträge besonders herausgehoben und in weiteren Parallel-Sitzungen in Kurzvorträgen weiter vertieft und diskutiert. Prof. Thomas Mettenleitner, Direktor des Friedrich-Löffler-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Insel Riems, stellte zum Auftakt des Vortragsprogramms das „One-Health“ Konzept vor. „One Health” strebt in einem übergreifenden und integrierenden Ansatz danach, das Gleichgewicht der Gesundheit von Mensch und Tier sowie intakter Ökosysteme zu bewahren bzw. geschädigte oder zerstörte Ökosysteme wiederherzustellen und damit auch positive Effekte für Tier und Mensch zu erreichen. „One Health“ rückt damit von einem anthropozentrischen Weltbild ab und versteht das Ziel der optimalen Lebensbedingungen und der Gesundheit der Menschen als Teil einer Welt, in der Tiere und Ökosysteme gleichermaßen mit betrachtet werden müssen, um Klimawandel, zerstörende Umweltveränderungen und letztlich auch zoonotische Erkrankungen und Pandemien nachhaltig einzudämmen. Hier kann die Pharmazie im Gesundheits-, Forschungs- und Industriesektor einen bedeutenden Beitrag leisten; „One Health“ hängt letztlich von der intrinsischen Motivation und den Beiträgen eines/r jeden Einzelnen ab.

Eindrucksvoll zeigte in einem weiteren Plenarvortrag Prof. Olivia Merkel, LMU München die Möglichkeiten von innovativen RNA-Therapeutika auf, die über die derzeit laufenden Impfkampagnen hinausgehen und mit Hilfe von Nanotechnologie zukünftig auch für Anwendungen bei Tumorerkrankungen, zur gezielten Beeinflussung von Immunzellen sowie bei Infektionserkrankungen weiterentwickelt werden. Prof. Rolf Müller vom Helmholz Institut für Pharmazeutische Forschung im Saarland stellte ganz neue Ansätze zur Entwicklung neuer Anti-Infektiva vor. Er hat sich mit seiner Forschung und in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung der Bekämpfung der weltweit weiter zunehmenden Resistenzlage von Bakterien verschrieben und hier beachtliche Erfolge erzielt. Auf der Tagung stellte er die neuesten Ergebnisse und Technologien zur Identifizierung, Optimierung und Produktion neuer und effektiver Antibiotikaklassen vor, die als Naturstoffe unter anderem aus Myxobakterien stammen und zukünftig für klinische Studien weiterentwickelt werden. Prof. Dietmar Fischer, Direktor des Pharmakologischen Zentrums der Universität zu Köln zeigte auf, wie durch Beharrlichkeit und zielstrebige Weiterentwicklung auch zunächst unerwartete Forschungsergebnisse zu erfolgreichen therapeutischen Ansätzen der Nervenregeneration führen können. Er hat auf der Grundlage seiner Arbeiten zur Regeneration des Sehnervs und von Nervenbahnen im Rückenmark nicht nur das Paradigma der irreversiblen Schädigung von Nervenbahnen im Zentralnervensystem umgestoßen, sondern auch strukturelle und funktionelle Wiederherstellung nach Querschnitts-Schädigung des Rückenmarks bei Mäusen erzielt. Diese im Wortsinn bahnbrechenden Forschungserfolge geben auch für die Behandlung von Nervenschädigungen und Rückenmarksverletzungen beim Menschen ganz neue Hoffnung auf neue Therapieansätze. Weitere Höhepunkte bildeten die Vorträge von Prof. Brian Kobilka von der Stanford Universität in Kalifornien, USA sowie Prof. Gunda Georg, Universität von Minnesota, USA. Der Nobelpreisträger Prof. Kobilka berichtete in einem Online-Vortrag eindrucksvoll von seinen struktur-analytischen Untersuchungen zur Funktion des µ-Opioidrezeptors und zu seinen neuesten Erkenntnissen zur differenzierten Aktivierung von Signalwegen durch unterschiedliche Agonisten an dem G-Protein-gekoppelten Rezeptor. Seine Arbeiten sind wegweisend für das Verständnis der Funktion und der spezifischen pharmakologischen Steuerung von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Prof. Gunda Georg widmete ihren Vortrag ihrem Doktorvater und Mentor Prof. Dr. Manfred Haake, Professor für pharmazeutische Chemie am Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität Marburg, der am 4. August 2022 im Alter von 85 Jahren verstarb. Zum Abschluss der Tagung berichtete Prof. Georg von der Entwicklung der „Pille für den Mann“, eine beeindruckende Reise durch jahrelange Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Pharmazeutischen Chemie und der Medizinalchemie, die letztlich zu ersten klinischen Studien mit wirksamen Substanzen führte. Neben dem pharmazeutisch-medizinischen Fortschritt hin zur pharmakologischen Kontrazeption durch den Mann kann laut Prof. Georg diese Entwicklung auch unser Verständnis der Geschlechterrollen grundlegend beeinflussen und wiederum unter dem Aspekt „One Health“ die Gesellschaft nachhaltig verändern.

Neben den Plenarvorträgen und den weiteren Parallel-Sitzungen mit über 100 weiteren Vorträgen boten vor allem die Poster-Sessions, Poster-Kurzvorträge und die „Young-Investigator“ Sitzungen der nachfolgenden Generation von Forscherinnen und Forschern die Gelegenheit, ihre Arbeiten und Ergebnisse auf der Jahrestagung zu präsentieren.

In bewährter Tradition verlieh die DPhG im Rahmen der Jahrestagung wieder zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen des Jahres 2022.

Frau Prof. Dr. Gabriele König, Professorin für Pharmazeutische Biologie (Universität Bonn), wurde in diesem Jahr für ihre hervorragende Leistung im Bereich der pharmazeutischen Wissenschaften mit der Carl-Mannich-Medaille ausgezeichnet. Die Elsa-Ullmann-Medaille erhielten in diesem Jahr Frau Kerstin Wahlbuhl (Vorsitzende der AG Theoretische und Praktische Ausbildung“) sowie Herr Prof. Dr. Andreas Link, (ehemaliger DPhG-Generalsekretär und DPhG-Vizepräsident und seit 2020 Editor-in-Chief der DPhG-Zeitschrift „Archiv der Pharmazie“).  Fotos
Die DPhG-Präsidentin Prof. Dr. Dagmar Fischer betonte in ihren Laudationen nochmals die besonderen Leistungen der MedaillenträgerInnen sowie ihren Einsatz innerhalb und außerhalb der DPhG für die Weiterentwicklung des pharmazeutischen Berufsstandes.

Den Preis der DPhG-Stiftung (Horst-Böhme-Stiftung) der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e.V. (DPhG), mit dem hervorragende NachwuchswissenschaftlerInnen gefördert werden, erhielten in diesem Jahr Dr. Max Crüsemann (Institut für Pharmazeutische Biologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) und Dr. Anna Junker (European Institute for Molecular Imaging, Westfälische Wilhelms-Universität Münster). (Fotos Fischer/Preisträger beifügen). Mit dem Carl-Wilhelm-Scheele-Preis für Nachwuchswissenschaftler/innen mit überdurchschnittlicher Dissertation im Bereich Pharmazie wurde Dr. Steffen Breinlinger (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) ausgezeichnet. Der Walter Schunack-Preis für herausragende wissenschaftliche Leistungen wurde in diesem Jahr im Bereich der Medizinischen Chemie verliehen und ging an Dr. Fabian Barthels (Universität Mainz).  Der Preis zur Förderung der Arzneimittelqualität, der in diesem Jahr zum zweiten Mal von der Frankfurt Foundation Quality of Medicines (FFQM) in Kooperation mit der DPhG verliehen wird, ging an Frau Dr. Cathrin Evelyn Marie Hauk, Center for Tropical Medicine & Global Health. (Fotos der Preisträger).

Die Posterpreise der Lesmüller-Stiftung wurden in diesem Jahr an Eilika Zorn (Universität Hamburg), Christoph Wilhelmy (Universität Mainz), David Skrabak (Universität Tübingen), Lara Louisa Stock (Universität Halle) und Marleen Meyer (Universität Greifswald) verliehen. Zusätzlich konnten in diesem Jahr noch drei Posterpreise des Verlags Wiley aus Anlass des 200. Geburtstages des Archives der Pharmazie vergeben werden. Preisträger sind Lara Toy (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Daniel Stopper (Universität Bonn) und Marc Wolter (Universität Tübingen).

Das Vorsymposium der Fachgruppe der Geschichte der Pharmazie widmete sich in diesem Jahr dem Thema „Die Pharmazeutische Gesellschaft und ihre Zeitschriften“ anlässlich der Gründung der Zeitschrift „Archiv der Pharmazie“ vor 200 Jahren. Auch das zweite Organ der DPhG „Pharmakon“ feiert in 2022 ein Jubiläum mit 50 Jahren ihres Bestehens. Zahlreiche Vorträge zur Entwicklung der Zeitschriften und wissenschaftliche Aspekte, aber auch viele launige Anekdoten und Erinnerungen hatten die Vortragenden mitgebracht.

Den Abschluss der Haupttagung bildete am 16.09.2022 ein Bürgersymposium zum Thema „Von Emil von Behring zur Biotechnologie“, das den Tagungsteilnehmenden und interessierten Bürgern die Gelegenheit gab, neue Perspektiven der medizinisch-pharmazeutischen Forschung und Impfstoffherstellung in Marburg einzunehmen und zum Teil einzigartige Einblicke in die Geschichte, aber auch in hochaktuelle Entwicklungen am Forschungs- und Industriestandort Marburg zu erhalten. Frau Dr. Ulrike Enke, Emil-von-Behring Bibliothek und Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Pharmazie und Medizin, gab neue Einblicke in die Biographie des Familienvaters und Forschers Emil von Behring. Prof. Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität, erläuterte am Beispiel der Ebola-, SARS- und MERS-Epidemien die Entstehung und den Verlauf von zoonotischen Viruserkrankungen sowie entsprechende (Impf-)Strategien zur Eindämmung solcher Ausbrüche. Der Standortleiter der BioNTech Impfstoff-Produktionsstätte in Marburg, Dr. Karsten Pietron-Kattmann, schilderte anschließend sehr anschaulich den geradezu atemberaubend zügigen Aufbau der Produktionsstätte für die RNA-Impfstoffe gegen das Corona-Virus. Prof. Becker und Dr. Pietron-Kattmann gingen dabei auch auf das beschleunigte und in allen Phasen von den Behörden begleitete Zulassungsverfahren des Impfstoffs ein und auf die besonderen Anstrengungen, die bei dem Aufbau der Produktionsanlagen in kürzester Zeit bewältigt wurden. Abschließend nahm Frau Stichnothe-Botschafter, Leiterin des Erwin-Piscator Hauses, die Anwesenden virtuell noch mit auf die von ihr gestaltete Behringroute, auf der die wichtigen Stationen im Leben und Wirken von Emil von Behring in Marburg dokumentiert sind.

Im nächsten Jahr, im Oktober 2023, wird die DPhG die Teilnehmenden der Jahrestagung an der Universität Tübingen begrüßen.

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