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Die Sozialräumliche Karte

Über die Sozialräumliche Karte

Die Sozialräumliche Karte geht auf die „Narrative Landkarte“ als Instrument der narrativen und visuellen Sozialforschung (Ethnographie) und Kindheitsforschung zurück (Behnken/Zinnecker 1991; 2010). Als gemeinsame methodologische Basis für die Auswertung wurden die triangulierenden Bestandteile der Narrativen Landkarte (die verbalen und visuellen Teile) in die verbindende Klammer der Dokumentarischen Methode eingeordnet (vgl. Maschke 2019; Maschke/Hentschke 2017). Um die erweiterten Ausdrucksmöglichkeiten, die Interaktivität zwischen beiden Verfahren der Datenerhebung (Interview und Zeichnung/Skizze) und den sozialräumlichen Aspekt der Karte zu betonen, sprechen wir nicht mehr von der Narrativen Landkarte, sondern von der „Sozialräumlichen Karte“.

Die sozialräumliche Perspektive fokussiert auf die soziale Herstellung und die Aneignung von Raum und Habitus. Grundlegend ist zum einen, dass Räume interaktiv hergestellt werden. Sie konstituieren sich „in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen“ (Löw 2017, S. 191). Akteur*innen gestalten Räume und umgekehrt wirkt der Raum auch auf sie (vgl. Hummrich 2011, S. 17). Arndt-Michael Nohl (2016, S. 402) unterscheidet zwischen dem „Transaktionsraum“, dem habituierten, institutionalisierten sozialen Raum, in dem sich Sozialisation „geräuschlos im Modus des Selbstverständlichen und Impliziten“ vollzieht und dem „emergenten“ Transaktionsraum, der mit  Kontinuitäten und Habits bricht. Das Neue, das Transformation bedeutet, kann, so Nohl (2016, S. 403), durch die „Konfrontation mit fremden Transaktionsräumen“ ebenso wie durch eine „nachhaltige Unwucht im eigenen Raum“ auftreten. Deutlich wird, dass Bildung sich nicht im Raum vollzieht, sondern „vielmehr ein Prozess [ist], der selbst Raum – den emergenten Raum – […] konstituiert“ (ebd.). Empirisch aufzuspüren sind solche emergenten Räume und damit Bildungsprozesse in der Identifizierung von bewussten Raumwahrnehmungen, in denen Subjekte „eine Vergangenheit rekonstruieren, die das transformative Ereignis zu erklären versucht, sowie eine Zukunft konstruieren, mit der das Neue unter Kontrolle gebracht werden kann“ (ebd.).

  • Behnken, I. & Zinnecker, J. (2010).  Narrative Landkarten. Ein Verfahren zur Rekonstruktion aktueller und biografisch erinnerter Lebensräume. In S. Maschke & L. Stecher (Hrsg.), Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online. Methoden der empirischen erziehungswissenschaftlichen Forschung. Qualitative Forschungsmethoden. Weinheim/München: Juventa, S. 1-25.
  • Hummrich, M. (2011). Jugend und Raum. Exklusive Zugehörigkeitsordnungen in Familie und Schule. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Löw, M. (2017). Raumsoziologie. 9. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
  • Maschke, S. (2019). Die Sozialräumliche Karte als Verfahren der Dokumentarischen Methode – Interview- und Bildanalyse unter einem Dach. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (ZSE), 39(2), 227–235.
  • Nohl, A.-M. (2016). Pädagogische Prozesse im Raum – pragmatische uns wissenssoziologische Perspektiven auf Sozialisation und Bildung. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 92(3), S. 393-407.

Forschungen mit der Sozialräumlichen Karte

Die Sozialräumliche Karte bietet zur Rekonstruktion von Prozessen der Aneignung und Reflexion vielfältige (sprachlich und visuell verknüpfte) Anhaltspunkte. Bisherige Forschungen haben beispielsweise zum Gegenstand:

  • Der Übergang vom Lehramtsstudium in den Vorbereitungsdienst – aneignende Reflexionen mit der Sozialräumlichen Karte:
    • Maschke,S. (2021). Der Übergang vom Lehramtsstudium in den Vorbereitungsdienst – aneignende Reflexionen mit der Sozialräumlichen Karte. In S. Klomfaß & A. Epp (Hrsg.). Auf neuen Wegen zum Lehrerberuf. Bildungsbiographien nicht-traditioneller Lehramtsstudierender und biographisches Lernen in der Lehrerbildung (S.264–292). Weinheim: Beltz; Beltz Juventa.

  • Die Rekonstruktion transformatorischer Bildungsprozesse in Bildungskontexten:
    • Maschke, S. & Wellnitz, V. (2019). The Method of the Socio-Spatial Map for the Reconstruction of Transformative Educational Processes in Educational Contexts. International Journal for Research on Extended Education, 7(2-2019), 207–215.

  • Die Rekonstruktion von Übergangsprozessen junger Erwachsener in das berufliche Leben:
    • Maschke, S. & Hentschke, A.‑K. (2017). Die Sozialräumliche Karte als triangulierendes Verfahren der Dokumentarischen Methode zur Rekonstruktion von Bildungsprozessen und -strategien in biografischen Übergängen. Zeitschrift für Qualitative Forschung, (1/2017), 117–136.