06.07.2023 „Wie der Zorn Gottes“

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung lud zum Gewerkschaftskongress nach Bochum

Foto: Johannes Scholten
Gewerkschaftstreffen auf der Baustelle: Das Audimax der Ruhr-Universität beherbergte die Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Rauf, runter, links, rechts – wo geht es jetzt lang? Wer Mitte Mai 2023 aus Marburg zum Gewerkschaftskongress nach Bochum anreiste, fühlte sich auf dem dortigen Uni-Campus an zuhause erinnert: Die Hochschulgebäude mit ihren zum Raster gefügten Stützen und Balken aus Sichtbeton stammen aus derselben Architekturperiode wie die Systembauten auf den Lahnbergen; vor allem sind sie ebenso unübersichtlich. Die Ruhr-Universität eignete sich somit bestens, um geradezu körperlich erfahrbar zu machen, wie sich die Gewerkschaften angesichts einer stark veränderten Arbeitswelt zu orientieren versuchen.

Wer am ersten Tag durch die weitläufigen, verschachtelten Gebäude irrte, treppauf, treppab und über scheinbar endlose, menschenleere Gänge, kam zwar unweigerlich zu spät zu seinem ersten Workshop. Alle anderen aber auch, also machte es nichts.

Die diesjährige Konferenz, die fünfte in zehn Jahren, sprengte alle Maßstäbe: Mehr als 1.500 Leute nahmen daran teil. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung als Organisatorin erweiterte kurzentschlossen das Programm, damit ausreichend viele Veranstaltungen für alle angeboten werden konnten. Auffällig viele junge Leute besetzten die Stuhlreihen oder Bänke der Hörsäle und Seminarräume; „der Altersschnitt lag deutlich unter dem von IG Metall-Gewerkschaftstagen und ver.di-Bundeskongressen“, konstatiert die Redaktion des linksgewerkschaftlichen „express“. Es herrschte Aufbruchsstimmung. Ein Schwerpunkt des Programms lag auf dem Austausch über erfolgreiche Aktionen und wirkungsvolle Methoden, mit denen Beschäftigte für Arbeitskämpfe mobilisiert werden können.

Aber welche Ziele verfolgen die Gewerkschaften eigentlich, wie positionieren sie sich in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Zeit? Bei der ersten Plenarveranstaltung zur Eröffnung ging es auch mal um die politische Richtung, ausbuchstabiert am Beispiel Klimaschutz. Wie stellen sich die Gewerkschaften die Versöhnung umweltpolitischer Notwendigkeiten mit sozialen Erfordernissen vor?

Der Soziologe und Marburger Alumnus Klaus Dörre hob hervor, dass die Hauptursache klimaschädlicher Kohlendioxid-Emissionen nicht im Konsum liege, sondern in den Investitionsentscheidungen der wirtschaftlichen Eliten: „Die Reichen haben ihren CO2-Ausstoß nicht gesenkt, sondern erhöht!“ Die Industriebeschäftigten seien jedenfalls nicht die Bremser beim Klimaschutz, sekundierte Metallgewerkschafter Paul Hecker aus betrieblicher Perspektive: „Die Entscheidungen treffen andere. Wir brauchen mehr Mitbestimmung!“

Aber schon bald ging es mehr um das Wie siegreicher Kämpfe als um das Wozu. Die Zuversicht der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wirkte nachgerade ansteckend. Es machte ja auch Laune, etwa dem Bericht über die jüngste Tarifrunde bei der Berliner Stadtreinigung zuzuhören: „Die Leute wollten den Erzwingungsstreik aus prinzipiellen Gründen, die wollten eine rote Linie ziehen. Der Streik sollte wie der Zorn Gottes über die Stadt kommen!“

Freilich, die stolz präsentierten und hoffnungsvoll akklamierten Siege erneuerter Arbeitermacht beruhen auf anspruchsvollen Voraussetzungen. Bei der IG Metall bekam man mitunter den Eindruck, dass ein Betrieb einen Organisationsgrad von mindestens 65 Prozent aufweisen müsse, ehe sich ein Arbeitskampf lohnt.

Dass jede Auseinandersetzung das Risiko des Scheiterns birgt, blieb ein wenig unterbelichtet. „Zu viel Selbstfeier“, konstatierte ein hauptamtlicher Gewerkschafter im Anschluss. Eine Ausnahme bot der Samstag; das Plenum spendete stehend Applaus, als sieben Kolleginnen vom Kampf gegen die Schließungen von Galeria-Kaufhäusern berichteten. Nach der Kündigung, so erzählte eine davon, habe die Geschäftsleitung in einem Briefe bekundet, „man hoffe, uns demnächst als Kunde in einem anderen Haus begrüßen zu dürfen.“

Leider entfaltet so ein linkes Gewerkschaftstreffen, in dem es dauernd um die großen Fragen geht und um nicht weniger als Weltveränderung, praktisch keine Außenwirkung. Am Samstagabend, die Tagungsteilnehmer rüsteten sich zur Konferenzparty, lud nur ein paar Ecken weiter das Schauspielhaus, berühmt als vormalige Wirkungsstätte von Claus Peymann, zu einem Gespräch über die „Arbeitswelt der Zukunft“. Sachkundige Referenten diskutierten über bedingungsloses Grundeinkommen, Faulheit und Chancen der Künstlichen Intelligenz. Von dem dreitägigen Gewerkschaftskongress in ihrer Stadt hatte keiner von ihnen etwas mitbekommen.

Streikkonferenz auf der RLS-Homepage