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Vom Marburger Studenten zum…  Schriftsteller

Das Foto zeigt Andreas Steinhöfel.
Foto: Dirk Steinhöfel

Was fällt Ihnen spontan zu Marburg ein?

Kopfsteinpflaster. Das großartige REX-Kino in der Schwanenallee – längst hinüber. Mein sommerstolzes Comingout, schöne Eskapaden mit wunderbaren Menschen. Uni war auch: Ebenfalls schön.

Warum haben Sie gerade an der Philipps-Universität studiert?

Meine Eltern führten, knapp 30 Kilometer entfernt, eine Tankstelle und einen kleinen Taxibetrieb. Marburg lag nah genug, um dort bei Bedarf rasch aushelfen zu können.

Wo haben Sie in Marburg gewohnt?

Anfangs am Ortenberg, dann lange in der Neuen Kasseler Straße. Zuletzt in einem der Hochhäuser in Wehrda. Für den Beton entschädigte der grandiose Blick ins Lahntal.

Warum haben Sie die Fächer Anglistik, Amerikanistik und Medienwissenschaften gewählt?

Bis nach der Zwischenprüfung studierte ich Lehramt, stieg dann aber nach dem langen Schulpraktikum um auf Magister – die Verantwortung den Schülern gegenüber war mir zu groß. Literatur und Film waren die beiden Disziplinen, die mich schon immer am meisten beschäftigt und interessiert hatten; ich war der geborene Eskapist.

Wer hat Sie bei der Studienwahl beraten oder beeinflusst?

Einer meiner Großväter war Lehrer gewesen. Lehramt war zudem der einzige Beruf, von dem ich einigermaßen eine Vorstellung hatte oder wenigstens zu haben glaubte. Der Wechsel auf Magister brachte mich meinem nächsten Berufswunsch näher, denn ich wäre …

Was war ihr damaliger Berufswunsch?

… sehr gern Regisseur geworden. Glücklicherweise hat das nicht geklappt. Ich bin ein unangenehmer Kontrollfreak. Mein Weg wäre gepflastert gewesen von Produzenten-, Redakteurs- und Schauspielerleichen.

Haben Sie einen Ihrer Professorinnen oder Professoren in besonderer Erinnerung?

Nachdrücklich beeindruckt hat mich die Freude und Begeisterungsfähigkeit von Prof. Hans Christian Weber aus der Botanik. Der verwandelte meine Vorliebe für Tierchen in eine (bis heute anhaltende) für Pflanzen.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an die Studienzeit?

Da war ein perfekter Tag im Juni, als ich 25 war. Vor der Mensa saß ich zwischen Freunden, das Gesicht der Sonne zugewandt. Alles war warm und entspannt und gut und unterlegt von einem Gefühl allumfassenden Glücks, wie ich es seither nie wieder verspürt habe.

An was erinnern Sie sich besonders ungern?

An die Störungen der Seminare durch K-Gruppen. Nicht dass ich was gegen das K gehabt hätte. Aber das Ideologische wird rasch und gern ins Religiöse erhoben, und Religionen machen mir Angst.

Was haben Sie in Ihren Studienjahren neben dem fachlichen Wissen gelernt?

Na ja … außerfachliches Wissen. Ich habe immer gern über den Tellerrand geschaut, am liebsten in Richtung Psychologie, Kunst und Kulturgeschichte.

Haben Sie sich neben dem Studium engagiert?

Ein paar Jahre lang als studentischer Vertreter in der Fachschaft Anglistik. Fünf Jahre trat ich außerdem in der englischen Theatergruppe auf. Gastspiel in der AIDS-Hilfe.

Sehen Sie Ihr Studium als notwendige Voraussetzung für Ihren beruflichen Werdegang?

Nicht zwingend. Ein Literaturstudium befähigt nicht automatisch zum Schreiben. Es sorgt allerdings für ein breites Hintergrundwissen. Am hilfreichsten bis heute ist die im Studium erworbene Fähigkeit, Gedanken und Überlegungen klar strukturieren und qualitativ einordnen und bewerten zu können.

Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie noch einmal Studienanfänger wären?

Da ich vor 30 Jahren noch nicht über das Selbstvertrauen von heute verfügte, würde ich vermutlich mehr auf die Tube drücken. Nur deshalb, weil heute alle mehr auf die Tube drücken. Der ganze – mit Verlaub – Bologna-Scheiß macht aus vielen Studenten unpolitische Schmalspurträumer und ambitionierte, aber blinde Wissens-Wiederkäuer. Unser Planet hätte mehr altruistische Intelligenz verdient.

Zu welchem Thema haben Sie Ihre Examensarbeit verfasst? Besitzen Sie diese noch?

'Gothic Novel und Modern English Gothic' war eine Untersuchung der zeitgenössischen Horror-Literatur auf ihre romantischen Wurzeln. Die Arbeit besitze ich noch, inklusive aller darin verbrochenen Zeichensetzungsfehler, denen ich das Minus an der Eins zu verdanken habe. Zeichensetzung war die erste Hausaufgabe, die ich als Autor lernte.

Wann waren Sie zum letzten Mal in einer Universität?

Das ist inzwischen eine ganze Weile her. Damals hielt ich als poet in residence eine Reihe von Vorlesungen an der Uni Bielefeld.

Welchen Wunsch möchten Sie der Philipps-Universität heute mit auf den Weg geben?

Offenheit, Wehrhaftigkeit und die Fähigkeit, zu erkennen und auszusprechen, wenn ein Kaiser keine Kleider trägt. Und immer mal wieder den Mut, die Elfenbeintürme jeglicher Couleur zu verlassen, um in anhaltenden Kontakt mit der Erde zu treten.

 

Andreas Steinhöfel

Andreas Steinhöfel, 1962 in Battenberg geboren, schrieb sein erstes Kinderbuch, Dirk und ich, parallel zu seiner Magisterarbeit, es erschien im Jahr 1991. Viele von Steinhöfels rund 20 Büchern sind beliebte Schullektüre, darunter auch Rico, Oskar und die Tieferschatten, der erste Teil seiner Bestseller-Reihe über den tiefbegabten Rico und seinen hochbegabten Freund Oskar. Steinhöfel arbeitet außerdem als Übersetzer, als Drehbuchautor und Filmproduzent. 2009 wurde er mit dem Erich Kästner Preis für Literatur geehrt und steht damit in einer Reihe mit den Autoren Peter Rühmkorf, Loriot, Robert Gernhardt und Tomi Ungerer. Auf der Frankfurter Buchmesse 2013 erhielt er für sein bisheriges Gesamtwerk der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises.

Text: Ellen Thun

Der Fragebogen ist im Marburger Unijournal Nr. 49 erschienen.