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Das (auto-)ethnografische Potential von Entnetzungspraktiken zur Erforschung digitaler Alltage

Die "unauffällige Omnipräsenz des Technischen" wusste Hermann Bausinger schon 1984 (S. 63) zu beobachten. Heute – über 40 Jahre später – gilt diese Dauerpräsenz umso mehr, da beinahe alle digitalen Kommunikationsmedien vereint im Smartphone im handlichen Format in fast jede Tasche passen. Aber noch häufiger sind sie in den Händen ihrer Nutzer*innen zu finden. Laut statista überholte Ende 2024 die Zahl der weltweiten Mobilfunkanschlüsse die der Weltbevölkerung. Das stellt uns bei der Erforschung digitaler Alltage vor eine Herausforderung, denn natürlich sind auch unsere Alltage – mal mehr, mal weniger offensichtlich – digital durchzogen. Als Empirische Kulturwissenschaftler*innen kennen wir die Problematik gut, die es mit sich bringt, selbst Teil des zu beforschenden Feldes zu sein. Zeit also, den Methodenkoffer zu erweitern, sich den eigenen (positiven wie negativen) Abhängigkeiten von digitalen Kommunikationsmedien zu stellen und ihnen temporär zu entsagen, um den Blick auf das Digitale in den Alltagen zu schärfen.

Im Juni 2025 brach eine Gruppe Masterstudierende unter der Leitung von Antje van Elsbergen, Felix Ruppert und Andrey Trofimov für eine fünftägige Exkursion nach Pilsen auf. Bedingung: keine digitalen Kommunikationsgeräte. Zudem wurde den Studierenden das Reiseziel erst unmittelbar vor dem Einstieg in den Reisebus mitgeteilt. Hierdurch sollte gewährleistet werden, dass sich die Studierenden erst vor Ort mit diesem im Kontext ihrer selbstgewählten Forschungsschwerpunkte auseinandersetzen. Die spannenden Ergebnisse der Exkursion sind aktuell in Form einer Ausstellung im Flur des Instituts für Empirische Kulturwissenschaft einsehbar.

Schwerpunkte

  • Entwicklung und Erprobung von ‚Praktiken der Entnetzung‘, als (auto-)ethnografische Methoden
  • Einbindung derselben in Lehrveranstaltungen und Exkursionen des Instituts für Empirische Kulturwissenschaft
  • Sensibilisierung von Studierenden für Mensch-Technik-Beziehungen durch Selbsterfahrungen
  • Erprobung öffentlicher Evaluationsstrategien der Ergebnisse

Möchten Sie mehr erfahren und sich zu Entnetzungspraktiken als (auto-)ethnografischen Methoden vernetzen? Treten Sie gerne mit Antje van Elsbergen und/oder Felix Ruppert in Kontakt.

  • "Digital Detox" vs. "Entnetzungspraktiken"

    Wie die empirische Kulturwissenschaftlerin Hannah Kanz in ihrer Dissertation („Offline-Sein. Eine Ethnographie von Praktiken der Entnetzung.“ Waxmann 2025) feststellt, eignet sich der Begriff „Digital Detox“ nicht als analytische Kategorie. Die wertende Semantik, die sich im Dualismus von Nutzung (= schlecht, toxisch, ablenkend etc.) und Nicht-Nutzung (= gut, entgiftend, achtsamkeitsfördernd) zeigt, wird einer nüchternen wissenschaftlichen Betrachtung nicht gerecht. Zugleich stellt uns die zunehmende Kommodifizierung und Kommerzialisierung des Lifestyle-Trends „Digital Detox“ vor weitere Herausforderungen.

    Mit Bezug auf den Medienwissenschaftler Guido Zurstiege (2019) und den Sozialwissenschaftler Urs Stäheli (2021) schlägt Kanz hingegen auch für die empirisch kulturwissenschaftliche Forschung den Begriff „Entnetzung“ vor, dem wir uns ebenfalls anschließen möchten. (vgl. Kanz 2025: 11-15; 48-53) Nicht nur umgehen wir hiermit die verkürzte Darstellung auf ein Phänomen (neben „Digital Detox“ untersucht Kanz in ihrer Studie auch die Nutzung von „Tastenhandys“ – also Mobiltelefonen mit Tasten statt Touchdisplays, die i.d.R. ohne ‚smarte‘ Funktionen und häufig ohne oder nur mit eingeschränktem Internetzugang ausgestattet sind – und die taktile (Nicht-)Nutzung von Smartphones als Beispiele für ‚Praktiken der Entnetzung’). Sondern unterstreicht der Begriff „Entnetzung“ als substantiviertes Verb auch seinen prozessualen Charakter und bietet sich somit der praxisorientierten Epistemologie der Empirischen Kulturwissenschaft besser an.

    Diente der Begriff „Digital Detox“ also bislang durch seinen Lifestyle-Charakter als ‚catchy Titel’ im Vorlesungsverzeichnis (siehe „Lehrveranstaltungen und Exkursionen“), greifen wir zukünftig zugunsten terminologischer Klarheit und Brauchbarkeit auf „Entnetzungspraktiken“ zurück.

  • Aktivitäten und Ankündigungen

    Informieren Sie sich hier regelmäßig über neue Ankündigungen und Aktivitäten rund um die Forschung an Praktiken der Entnetzung im Institut für EKW.
    Folgen Sie außerdem gerne dem Instagram-Kanal des Instituts, um über sämtliche Aktivitäten informiert zu bleiben.

    2025
    16. Juli: Eröffnung der studentischen Ausstellung zur Exkursion in Pilsen im Flur des Instituts für Empirische Kulturwissenschaft, Deutschhausstr. 3.
    09.-13. Juni: Exkursion mit Studierenden des M.A. Empirische Kulturwissenschaft nach Pilsen, Tschechien (Leitung: Antje van Elsbergen unter Mitarbeit von Felix Ruppert und Andrey Trofimov)

  • Lehrveranstaltungen und Exkursionen

    2025
    SoSe: Digital Detox (Leitung: Antje van Elsbergen, unter Mitarbeit von Felix Ruppert und Andrey Trofimov)
    9.-13. Juni: Exkursion nach Pilsen, Tschechien.

    2022
    SoSe: Digital Detox, (Leitung: Antje van Elsbergen und Andrey Trofimov)
    (Die Exkursion konnte aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht stattfinden)

    2020/21
    WiSe: Exkursion: Analog oder Digital? (Leitung: Antje van Elsbergen und Andrey Trofimov)
    (Die Exkursion konnte aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht stattfinden)