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Johannes Dams

Doktorand

Porträtbild von Johannes Dams vor der Ischtar-Tor in Berlin

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Das Kapitel ubānu der Opferschau-Serie bārûtu: Edition, Kommentar und Auswertung

Der Alte Orient ist von der Überzeugung der Zeichenhaftigkeit der Welt geprägt. In dem von Menschen Beobachtbaren – sei es auf der Erde oder am Himmel – zeichnen sich die Ratschlüsse und Ordnungen der Götter ab. Dieses „Band zwischen allen Dingen“ ermöglicht es den mesopotamischen Gelehrten, den Willen der Götter mittels Divination, deren Kunst den Menschen zu Anbeginn der Welt von den Göttern gegeben wurde, zu ergründen und mit angemessenen Ritualen darauf zu reagieren. Bereits seit dem 3. Jt. v. Chr. gibt es erste indirekte Hinweise auf divinatorische Praktiken, jedoch werden diese in technischen Texten erst ab Beginn des 2. Jt. v. Chr. greifbar. Schon seit dieser Zeit spielt vor allem die Opferschau eine bedeutende Rolle. Im Laufe der Zeit entsteht um die Jahrtausendwende vom 2. ins 1. Jt. v. Chr. die standardisierte Opferschauserie bārûtu, die eine Sammlung von Opferschauomina in 10 Kapitel auf 100 Tafeln umfasst. Die Anordnung der Kapitel orientiert sich an der Abfolge der Untersuchung im Verlauf der Opferschau. Sie beginnt mit dem Knochengerüst (Kapitel 1) gefolgt von der Untersuchung des Dickdarms (Kapitel 2). Die Kapitel 3-7 befassen sich mit besonderen Kennzeichen des für die Opferschau wichtigsten Organs: der Leber. So werden die „Präsenz“, der „Pfad“ und verschiedene weitere Merkmale, so wie die Gallenblase und der „Finger“ untersucht. In Kapitel 8 geht es dann um die „Keule(nmarkierung)“, ein Kennzeichen, welches nur ab und zu auf Leber oder Lunge auftaucht und hier gesondert in einem eigenen Kapitel behandelt wird. Das neunte Kapitel befasst sich mit der Lunge und das zehnte hat divinatorische Deutungsprinzipien zum Inhalt. Von dem gesamten Text kann bislang nur etwa ein Drittel rekonstruiert werden. Die meisten Dokumente stammen aus Assurbanipals Universalbibliothek in Ninive. Weitere Textzeugen kommen aus den assyrischen Städten Kalḫu, Dūr-Šarrukīn und Ḫuzirīna sowie Uruk, Borsippa, Babylon, Sippar, Nippur und Kiš in Babylonien. Bisher sind nur die Kapitel 3, 4, 5 und 10 ediert worden. Die anderen Kapitel sind somit noch unveröffentlicht. Dazu gehört auch das 7. Kapitel šumma ubānu „Wenn der Finger“. Bei dem „Finger“ handelt es sich anatomisch um den processus caudatus, der von dem lobus caudatus gebildet wird und ein besonders auffälliges Merkmal auf der Schafsleber bildet. Er hat drei Kanten, drei Oberflächen und läuft spitz zu. Das Kapitel ubānu besteht aus 11 Tafeln, von denen nur die 6. Tafel vollständig in einer Abschrift aus der seleukidischen Zeit erhalten ist. Alle anderen Tafeln sind bislang entweder fragmentarisch oder gar nicht erhalten. Von den nicht erhaltenen Tafeln sind jedoch in einigen Fällen die Incipits bekannt.

Neben seiner ausführlichen Behandlung im siebten Kapitel der Opferschau-Serie bārûtu wird der Finger auch häufig in neuassyrischen Opferschauberichten erwähnt. Eine weitere Textgattung, die „dub ḫa.la“-Texte, beschäftigt sich mit dem adannu, dem festgelegten Zeitraum der Gültigkeit der Omina. Dieser Zeitraum kann 7 bis etwa 100 Tage umfassen und wurde bereits in altbabylonischer Zeit in Mari kalkuliert, auch wenn zu dieser Zeit der Begriff adannu noch nicht in Gebrauch war. Der Berechnung dieses Zeitraumes werden ebenfalls Markierungen am Finger zugrunde gelegt. Zu diesem Zweck werden die drei bedeutsamsten Markierungen an der Spitze, Mitte oder Basis der rechten oder linken Fläche des Fingers ausgewertet: die Kerbe (piṭru), das Loch (šīlu) und das „Keulenmarkierung“ (kakku). Die Berechnung geschieht in zwei Schritten: zuerst wird die Basis des Gültigkeitszeitraums rēš adanni berechnet, indem der Zeitraum, für den die Opferschau durchgeführt wird, mit dem konstanten Koeffizienten uddazallû, „Korrektur“ sowie einer weiteren Zahl multipliziert wird. Im zweiten Schritt werden die Markierungen auf dem Finger genauer untersucht. Aus der Anzahl und Lage dieser Markierungen auf der rechten oder linken Seite des Fingers wird ein weiterer Koeffizient berechnet und so der Gültigkeitszeitraum der Opferschau ermittelt. Innerhalb dieses Zeitraumes erfüllt sich dann auch die Vorhersage, die sich aus der Opferschau ergeben hat. Eine Opferschau wird also nur für begrenzte Zeiträume vorgenommen. Ihr Ziel ist es nicht, die Zukunft im Allgemeinen vorherzusagen, sondern Prognosen über den Ausgang aktueller Ereignisse zu machen. Ob die Berechnungen in den „dub ḫa-la“-Texte allerdings in der Praxis tatsächlich angewandt wurden, lässt sich bisher nicht mit Sicherheit sagen.

Im Rahmen der geplanten Dissertation soll das Kapitel 7 ubānu der Opferschau-Serie bārûtu nun erstmals ediert werden. Dazu werden im ersten Schritt die bereits bekannten Texte gesammelt, kopiert, transliteriert und wo nötig und möglich kollationiert. Im nächsten Schritt wird versucht werden, weitere bislang unidentifizierte Texte ausfindig zu machen und ebenfalls in der oben genannten Weise zu bearbeiten. Nachdem der verfügbare Textbestand erfasst und aufgearbeitet ist, wird dieser in Form einer Partitur ediert, übersetzt und mit einem philologischen Kommentar versehen. Auf die Fertigstellung der Textedition folgt die inhaltliche Auswertung. Dabei wird untersucht, welcher Struktur die Anordnung der Omina folgt, welche Deutungsprinzipien sich aus den Aussagen der Omina ableiten lassen und welche Bedeutung dem Finger als solches zugeschrieben wurde. Der inhaltlichen Auswertung folgt die Kontextualisierung des Textes auf der synchronen und diachronen Ebene. Auf der synchronen Ebene stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Finger in anderen Textgattungen spielt und welche Praxisrelevanz diese möglicherwiese hatte. Bezüglich der praktischen Anwendung sind die Opferschauberichte interessant. Außerdem wird die Berechnung des Gültigkeitszeitraumes adannu in „dub ḫa.la“-Texten eine besondere Rolle spielen. Auf der diachronen Ebene geht es hingegen um den Entstehungsprozess der Serialisierung von Omina, die den Finger betreffen, vor dem Hintergrund des Prozesses der Serialisierung in Mesopotamien im Allgemeinen. Für diese Zwecke werden Vorläufer aus der zweiten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. verglichen, um nach Hinweisen auf den Serialisierungsprozess zu suchen. Betreut wird das Dissertationsprojekt von Prof. Heeßel.