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Übersetzung und frühe Überlieferung des äthiopischen Synaxars

Bearbeiterin: Dorothea Reule

In meinem Promotionsvorhaben untersuche ich die frühe Überlieferung des äthiopischen Synaxars (Sənkəssār) und seine Beziehung zu seinen arabischen Vorlagen.

Das Synaxar ist ein bis heute verwendetes liturgisches Werk des christlichen Orients, das kalendarisch geordnet ist und für jeden Tag eine oder mehrere Kommemorationen zu Ereignissen und Personen enthält, die für die betreffende Kirche von Bedeutung sind.

Das kopto-arabische Synaxar (as-Sinaksār/as-Sinaksārī) wurde vor dem 14. Jahrhundert auf Arabisch verfasst. Vermutlich Ende des 14. Jahrhunderts übersetzte es der Mönch Səmʿon aus dem Antoniuskloster am Roten Meer ins Altäthiopische (sogenannte erste Rezension A, CAe 4032, bezeugt in drei Handschriften). Wohl etwas später entstand eine zweite, von Səmʿons Arbeit wahrscheinlich unabhängige Übersetzung (sogenannte erste Rezension B, CAe 4033, bezeugt in neun Handschriften).

Zwar existieren eine Edition des äthiopischen und zwei Editionen des kopto-arabischen Synaxars, aber die in den letzten Jahrzehnten neu bekanntgewordenen Handschriftenzeugen machen eine Neubeschäftigung mit diesem wichtigen Werk dringend notwendig.

Die Grundlage meiner Dissertation ist daher die Beschreibung und Untersuchung aller aktuell bekannten Handschriftenzeugen des kopto-arabischen Synaxars und der äthiopischen ersten Rezension A und B. Die Leitfragen der Untersuchung sind: Können arabische Vorlagen der äthiopischen Übersetzungen identifiziert werden? Handelt es sich bei der äthiopischen ersten Rezension A und B um zwei unabhängige Übersetzungen? Wie haben die Übersetzer gearbeitet?

Um diese Fragen zu beantworten, arbeite ich auf mehreren Ebenen:

  • Die Erstellung eines Kommemorationsindexes aller mir zugänglichen Synaxarhandschriften erlaubt einen systematischen Vergleich der kopto-arabischen und frühen äthiopischen Überlieferung.
  • Die textkritische Untersuchung der äthiopischen ersten Rezensionen erlaubt es, mit großer Wahrscheinlichkeit zwei voneinander unabhängige Übersetzungen zu identifizieren. Ein besonderer Fokus der Untersuchung liegt dabei auf der ersten Rezension B, die noch nicht ediert wurde. Für diese wird ein Stemma codicum vorgeschlagen.
  • Im sprachlichen Vergleich sowohl zwischen dem Arabischen und Äthiopischen als auch zwischen der äthiopischen ersten Rezension A und B untereinander sollen charakteristische Merkmale der Übersetzungssprache herausgearbeitet werden. Die Leitfrage dabei ist es, ob im Vergleich zwischen beiden äthiopischen Übersetzungen individuelle Arbeitstechniken und stilistische Merkmale der jeweiligen Übersetzer identifiziert werden können.

Das Hauptziel meines Promotionsvorhaben ist es, zu einem besseren Verständnis der komplexen Überlieferung des Synaxars zu gelangen. Das Synaxar steht dabei beispielshaft für die zahlreichen Werke, die zunächst aus dem Griechischen und dann aus dem Arabischen ins Altäthiopische übersetzt wurden. Das Augenmerk auf die Übersetzung selbst als komplexe Kulturtechnik zu richten, erlaubt es uns, die intellektuelle und kreative Leistung der Übersetzer und ihren prägenden Beitrag zur äthiopischen Literatur und Kultur zu würdigen.