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Durch die rosarote Brille gesehen: Die neuronale Verarbeitung sprachlicher Ausdrücke für innerpsychische Zustände mit figurativen und nicht-figurativen Mitteln

Eine rosarote Brille ist abgebildet.
Foto: Colourbox.de

(For an English version, please see below)
Die Verbalisierung von Emotionen und anderen inneren Zuständen verläuft häufig über figurative sprachliche Mittel, z.B. über Metaphern wie „durch eine rosarote Brille sehen“. Die Anbindung des figurativen Elements an eine körperliche bzw. sinnliche Erfahrung führt zu einer Konkretisierung und Intensivierung des abstrakten Inhalts. Die zentrale Frage des Projekts ist, wie Menschen figurative Mittel zur Versprachlichung von inneren Zuständen verarbeiten, welche neuronalen Prozesse dabei involviert sind und inwieweit Störungen des affektiven Verhaltens und Erlebens die Verarbeitung beeinflussen. Dabei sind klinische Gruppen besonders interessant, bei denen aufgrund von Besonderheiten ihrer Emotionsverarbeitung Unterschiede zu gesunden Proband/innen zu erwarten sind. Im Projekt stehen daher Patient/innen mit einer klinischen Depression sowie die Verwendung und Verarbeitung von Metaphern für Emotionen und anderen inneren Zuständen im Vordergrund. 

Foto: Colourbox.de

Zunächst wurden im Rahmen des Projekts Verhaltensstudien mit Patient/innen mit Depression im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen durchgeführt. In Tests zum Verständnis von Metaphern und Idiomen zeigte sich, dass die Patient/innengruppe deutlich schlechter abschnitt als die Kontrollgruppe. Im Gebrauch von Metaphern ließen sich keine großen Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen. In einer Satzergänzungsaufgabe fanden wir heraus, dass sowohl Menschen mit Depression als auch Gesunde wörtliche Ausdrücke gegenüber Metaphern zur Vervollständigung von Sätzen bevorzugen. Die Teilnehmer/innen zeigten jedoch eine große individuelle Varianz in der Präferenz für metaphorische bzw. wörtliche Ausdrücke. Bei einer Bildbeschreibungsaufgabe zeigten beide Gruppen einen ähnlichen Gebrauch von Metaphern, wobei innerhalb der Patientengruppe weniger positives Sprechen über innere Zustände festgestellt wurde.

Zur Erstellung kontrollierter Stimuli für unsere Studien wurden mehrere groß angelegte Ratingstudien durchgeführt, aus denen die MIST-Datenbank (Metaphors for Internal State Terms) hervorging. Insgesamt 1318 erwachsene Teilnehmer/innen bewerteten 336 metaphorische Ausdrücke und ihre wörtlichen Äquivalente (z.B. sauer – wütend) auf die Übereinstimmung zwischen Metapher und wörtlichem Ausdruck, ihre Familiarität, Valenz (positiv/negativ) und Intensität (Arousal). Es zeigte sich, dass wörtliche Ausdrücke als vertrauter eingeschätzt werden als Metaphern. Mit Blick auf die Valenz und Intensität schnitten Metaphern und wörtliche Ausdrücke gleich ab. Hier konnte ein quadratischer Zusammenhang zwischen Valenz und Intensität erkannt werden: Je positiver/negativer ein Ausdruck ist, desto intensiver wird er wahrgenommen. Die Werte zu den Kontrollparametern der Stimuluspaare sind in der Datenbank zu finden. Die gut kontrollierten Stimuli der MIST-Datenbank können somit in der experimentellen Metaphernforschung genutzt werden. Mehr Informationen zur Datenbank finden Sie auf der Webseite der Datenbank.

Für die Studie zur neuronalen Verarbeitung metaphorischer Ausdrücke wurden Stimuli der Metapherndatenbank in zwei experimentelle Paradigmen eingebettet (Satz- und Textverständnis), deren Bearbeitung in vivo mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) erfasst wird. Damit kann Einsicht in die neuronalen Korrelate während der Sprachverarbeitung gewonnen werden, wobei von besonderem Interesse ist, ob sich bei Vorliegen einer Depression veränderte Verarbeitungsmuster zeigen. Derzeit sind wir inmitten der Datenerhebung.

Die zu erwartenden Erträge des Projekts liegen in einem Zugewinn an Informationen über den Gebrauch und die Repräsentation figurativer Sprache im Gehirn und an Informationen über die neurobiologischen Grundlagen der veränderten Emotions- und Sprachverarbeitung bei den jeweiligen Untersuchungsgruppen. Perspektivisch können die Ergebnisse auch klinisch nutzbar gemacht werden, z.B. durch den gezielten Einsatz von metaphorischen Elementen in der Therapie oder für eine zielgruppengerechte Aufklärungsarbeit.

Dieses DFG-geförderte Projekt startete im Dezember 2017 und läuft in Kooperation mit der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im März 2021 wurde das Projekt um weitere 18 Monate bis September 2022 verlängert.

Projektbezogene Veröffentlichungen:

Kauschke, C. (angenommen). Language and Emotion in Clinical Populations. In Schiewer, G. (Hrsg.). Language and Emotion. An International Handbook. Handbooks of Linguistics and Communication. Berlin: Mouton de Gruyter.

Mueller, N., Nagels, A., & Kauschke, C. (2021). Metaphoric Expressions Originating from Human Senses – Psycholinguistic and Affective Norms for German Metaphors for Internal State Terms (MIST). Behavior research methods. published online, doi: https://doi.org/10.3758/s13428-021-01639-w 

Kauschke, C. (2019). Linguistische Perspektiven auf Emotion und Sprache. In Kappelhoff, H., Bakels, J.H., Lehmann, H.& Schmitt, C. (Hrsg.) Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler. 262-271.

Kauschke C, Mueller N, Kircher T and Nagels A (2018) Do Patients With Depression Prefer Literal or Metaphorical Expressions for Internal States? Evidence From Sentence Completion and Elicited Production. Front. Psychol. 9:1326. doi: 10.3389/fpsyg.2018.01326

Projektbezogene Präsentationen und Vorträge:

Christina Kauschke: „Die Versprachlichung von Emotionen im Spracherwerb und bei klinischen Populationen“: eingeladener Vortrag im Rahmen der „Brain Language Talks“ an der Freien Universität Berlin, Juni 2018

Nadine Müller: "Metaphoric Expressions Originating from Human Senses: Psycholinguistic Norms for German Metaphors." Vortrag im Rahmen der Konferenz "Researching Metaphor: Cognitive and Other" an der Università di Genova, Mai 2019

Christina Kauschke: "The use of metaphorical expressions for internal states in patients with depression." Vortrag im Rahmen der Konferenz "Researching Metaphor: Cognitive and Other" an der Università di Genova, Mai 2019

Leitung:

Christina Kauschke (Marburg)

Arne Nagels (Mainz)

Wissenschaftliche Mitarbeiterin:

Nadine Müller (Hier finden Sie weitere Informationen zum Promotionsprojekt von Nadine Müller im Rahmen des DFG-Projektes – for more information on the dissertation project within this project click here)

English version:

Looking through rose-colored glasses: neural processing of figurative and literal expressions for internal states

Foto: Colourbox.de

The verbalization of emotions and other inner states often happens through figurative linguistic means, for example through metaphors like “to see things through rose-colored glasses“. Through the link to sensory perception, the figurative element leads to a concretization and intensification of the abstract content. The central questions of the project are as follows: How do people use and process figurative language verbalizing inner states? Which neural mechanisms are involved? And finally, how is such processing influenced by dysfunctions of affective behavior? Here, clinical populations are of particular interest, as we expect to find differences in such individuals due to their emotional processing particularities. Thus, the project investigates the verbalization and processing of metaphors for emotions and other internal states by patients with clinical depression in comparison to healthy controls.

Since the beginning of the project, we have run several behavioral studies with patients with depression and healthy control groups. Tests on metaphor and idiom processing revealed deficits in the patient group. Studies on metaphor usage and preferences revealed no significant differences between the groups. In a sentence completion experiment, patients as well as healthy controls favored literal over metaphorical language. Within-group analyses, however, showed strong individual variation. In a picture description task, patients and healthy controls revealed similar usage of metaphors but patients used fewer positive expressions when talking about internal states.

The stimuli for our studies were created and controlled for in several comprehensive rating studies that resulted in the MIST database (Metaphors for Internal State Terms). In all, 1318 adult participants rated 336 metaphorical expressions plus their literal equivalents (e.g., blue – sad) on their similarity, familiarity, valence (positive/negative), and intensity (arousal). Metaphors were found to be less familiar than literal expressions whereas valence and arousal did not differ much between these two categories. We observed a quadratic relationship between valence and arousal, i.e., the more positive/negative an expression the more intense it is. The stimuli pairs including the values of the controlled parameters can be found in the database and can be used as well-controlled stimuli in experimental metaphor research. For more information on the database, please visit the website of the MIST database.

Stimuli from the database are used in two functional magnetic resonance imaging (fMRI) paradigms (sentence comprehension and auditory processing of naturally spoken language) to measure in vivo effects during online processing. With this we aim to gain insight into the neural correlates of figurative language processing, focusing on the differences in neural activation patterns among the two groups. We are currently in the data acquisition phase.

The awaited findings will shed further light on the usage as well as the neural representation of figurative language in the brain and will provide specific information on the neurobiological basis of altered emotion and language processing. Study results may also prove useful in clinical contexts, such as through the targeted use of metaphorical language elements during therapeutic sessions or for the purpose of awareness campaigns for depressive disorders.

Funded by the German Research Foundation (DFG), this project started in December 2017 in cooperation with the Johannes Gutenberg-Universität Mainz. A second funding phase was approved of, extending the project until September 2022.

Project-relevant publications:

Kauschke, C. (accepted). Language and Emotion in Clinical Populations. In Schiewer, G. (Hrsg.). Language and Emotion. An International Handbook. Handbooks of Linguistics and Communication. Berlin: Mouton de Gruyter.

Mueller, N., Nagels, A., & Kauschke, C. (2021). Metaphoric Expressions Originating from Human Senses – Psycholinguistic and Affective Norms for German Metaphors for Internal State Terms (MIST). Behavior research methods. published online, doi: https://doi.org/10.3758/s13428-021-01639-w  

Kauschke C, Mueller N, Kircher T and Nagels A (2018). Do Patients With Depression Prefer Literal or Metaphorical Expressions for Internal States? Evidence From Sentence Completion and Elicited Production. Front. Psychol. 9:1326. doi: 10.3389/fpsyg.2018.01326

Project-relevant presentations and talks:

Christina Kauschke: „Die Versprachlichung von Emotionen im Spracherwerb und bei klinischen Populationen“: invited talk within the „Brain Language Talks“ at the Freie Universität Berlin, June 2018

Nadine Müller: "Metaphoric Expressions Originating from Human Senses: Psycholinguistic Norms for German Metaphors." Talk at the conference "Researching Metaphor: Cognitive and Other" at the University of Genoa, May 2019

Christina Kauschke: "The use of metaphorical expressions for internal states in patients with depression." Talk at the conference "Researching Metaphor: Cognitive and Other" at the University of Genoa, May 2019