10.12.2021 Dehnung von Halbleitern steuert Lichtaussendung

Team aus der Physik findet unerwartetes Verhalten von Quasiteilchen in ultradünnen Halbleiterschichten

Sichtbare und dunkle Exzitonen verhalten sich gegensätzlich gegenüber Materialdehnung: Wo die einen sich hinbewegen, entfernen sich die anderen. Dunkle Exzitonen können durch Anregung sichtbar gemacht werden. (Abbildung: Alexander Ericson
Abbildung: Alexander Ericson
Sichtbare und dunkle Exzitonen verhalten sich gegensätzlich gegenüber Materialdehnung: Wo die einen sich hinbewegen, entfernen sich die anderen. Dunkle Exzitonen können durch Anregung sichtbar gemacht werden.

Die optischen und elektrischen Eigenschaften hauchdünner Halbleiter lassen sich in unerwarteter Weise steuern, indem man die mechanische Dehnung des Materials kontrolliert. Das hat eine Forschungsgruppe aus Marburg und Münster herausgefunden, indem sie untersuchte, wie sich sichtbare und unsichtbare Quasiteilchen in Halbleiter-Dünnschichten bewegen. Das Team berichtet in der Wissenschaftszeitschrift „Nature Communications“ über seine Ergebnisse.

Die Forschungsgruppe analysierte ein spezielles neuartiges Halbleitermaterial, nämlich Übergangsmetall-Dichalkogenid-Monolagen, kurz TMD nach der englischen Bezeichnung transition metal dichalcogenide. Dabei handelt es sich um hauchdünne Kristalle, die aus einer einzigen atomaren Schicht bestehen. „Weil sie extrem biegsam und absorptionsstark sind, gelten sie als vielversprechende Kandidaten für opto-elektronische Anwendungen, zum Beispiel Lichtquellen oder Detektoren der nächsten Generation“, erklärt der Physiker Professor Dr. Ermin Malic von der Philipps-Universität Marburg, der die theoretischen Arbeiten leitete.

„In ultradünnen TMDs können negative und positive Ladungen erzeugt werden, die in einem stark gebundenen Zustand vorliegen – als Paar aus Elektron und Leerstelle“, sagt Physikprofessor Dr. Rudolf Bratschitsch von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der für die experimentellen Beiträge verantwortlich war. Fachleute bezeichnen ein solches gebundenes Elektron-Loch-Paar als Exziton. „Wenn Exzitonen zerfallen, emittieren sie ein Photon“, führt Bratschitsch aus: Die atomar dünne Schicht leuchtet. Es gibt aber auch Elektron-Loch-Paare, die nicht zu Licht werden, also nicht sichtbar sind; daher nennt man sie dunkle Exzitonen. „Obwohl man dunkle Exzitonen nicht sehen kann, beeinflussen sie die Lichtemission von Halbleitern“, legt Malic dar.

„TMDs sind bemerkenswert empfindlich gegenüber mechanischer Spannung“, ergänzt Malics Mitarbeiter Dr. Roberto Rosati, einer der beiden Leitautoren des Fachaufsatzes. Die Dehnung des Materials wirkt sich insbesondere auf das Verhalten der Exzitonen aus, wie Bratschitschs Mitarbeiter Dr. Robert Schmidt erläutert, ein weiterer Leitautor: „Durch Dehnung wird ihre Energie abgesenkt. Da diese Quasiteilchen beweglich sind, erwartet man, dass sie sich zur Stelle mit der stärksten Dehnung bewegen, um ihre Energie zu minimieren. In unserer Studie haben wir in TMDs verfolgt, welchen Weg die Exzitonen in Zeit, Raum und Energie zurücklegen“.

Die Forschungsgruppe verwendete eine regelmäßige Anordnung von Mikrosäulen aus Kunststoff, auf die sie die Halbleiter-Monolage übertrugen. „Das Aufstempeln der Dünnschicht auf die Mikrosäulen erzeugt eine ungleichmäßige Dehnung, die direkt zwischen zwei Säulen am stärksten ausfällt“, berichtet Schmidt.

„Überraschenderweise bewegt sich die Lichtemission der Exzitonen von Regionen großer Dehnung weg“, stellt Bratschitsch fest. Dies lasse sich auf die dominierende Rolle der sich ausbreitenden dunklen Exzitonen zurückführen: Sie versammeln sich nicht im Bereich mit starker Dehnung, wie in einem Trichter, sondern entfernen sich davon, wie von der Spitze eines Berges.

„Der Transport der Exzitonen, den wir festgestellt haben, verläuft ganz anders, als man es bisher erwartet hatte“, resümiert Malic.  „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sich die optischen und elektronischen Eigenschaften von technologisch vielversprechenden atomdünnen Halbleitern kontrollieren lassen, indem man ihren Dehnungszustand ändert.“

Professor Dr. Ermin Malic leitet die Arbeitsgruppe „Ultraschnelle Quantendynamik“ an der Philipps-Universität Marburg. Professor Dr. Rudolf Bratschitsch steht der Abteilung „Ultraschnelle Quantenoptik und Nanophotonik in Festkörpern“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vor. Neben den Universitäten in Münster und Marburg beteiligte sich die Technische Hochschule Chalmers in Schweden an der Forschungsarbeit.  Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte die wissenschaftliche Arbeit über ihren Sonderforschungsbereich 1083, die Europäische Union aus ihrer Förderlinie „Graphene Flagship“ und die schwedische Innivationsagentur Vinnova durch „2D TECH“.

Originalveröffentlichung: Roberto Rosati, Robert Schmidt & al.: Dark exciton anti-funneling in atomically thin semiconductors, Nature Communications 2021, DOI: 10.1038/s41467-021-27425-y