13.04.2023 „Nature“-Publikation: Wie sich Elektronen mit Licht einkleiden

Licht – das Fünfte Element der Materialwissenschaften?

Der Marburger Physiker Dr. Suguru Ito führte an einer Ultrahochvakuum-Apparatur die Messungen durch, die den schnellen Aufbau exotischer Quantenzustände nachwiesen. Rechts im Bild sieht man den Elektronenanlysator.
Foto: Dr. Jens Güdde
Der Marburger Physiker Dr. Suguru Ito führte an einer Ultrahochvakuum-Apparatur die Messungen durch, die den schnellen Aufbau exotischer Quantenzustände nachwiesen. Rechts im Bild sieht man den Elektronenanlysator.

Gemeinsame Pressemitteilung der Philipps-Universität Marburg und der Universität Regensburg

Neue Materialeigenschaften, blitzschnell und nach Wunsch – diese Vision wird durch jüngste Erkenntnisse einer europaweiten Forschungsgruppe aus der Physik genährt. Das Team nutzt ultrakurze und starke Lichtfelder, um direkt zu beobachten, wie in einem Kristall exotische energetische Zustände entstehen, so genannte Floquet-Bänder. Die Wissenschaftler berichten im Forschungsmagazin „Nature“ über ihre Ergebnisse.

„Die Entdeckung neuer Materialeigenschaften hängt üblicherweise von unserer Fähigkeit ab, die chemische Zusammensetzung des Materials zu kontrollieren“, sagt der Marburger Physiker Professor Dr. Ulrich Höfer, ein Leitautor des Fachaufsatzes, der seit 2022 auch Adjunct Professor an der Universität Regensburg ist. „Die rein optische Beeinflussung von Materialeigenschaften hingegen könnte die Physik in eine neue Ära führen, indem sie neue Funktionen nach Bedarf ermöglicht.“

Regt man Elektronen periodisch mit starkem Licht an, so führt dies zu exotischen Quanteneffekten: Die periodischen Störungen durch das starke Lichtfeld bewirken, dass die Elektronen nicht nur einen feststehenden Energiezustand besitzen, sondern viele Energiezustände in gleichmäßigem Abstand. „Der ursprüngliche Energiezustand umgibt sich gewissermaßen mit mehreren Hüllen aus Licht“, erklärt der Regensburger Physiker Professor Dr. Rupert Huber, ein weiterer Leitautor. Fachleute sprechen hierbei von Floquetbändern. „Die dynamischen Eigenschaften solcher Zustände – also zum Beispiel die Frage, wie lange Elektronen brauchen, um sich mit Licht ‚einzukleiden‘ – blieben bislang jedoch unbekannt“, führt Huber aus.

Die Sonderforschungsbereiche „Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen“ sowie „Emergente relativistische Effekte in kondensierter Materie“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft an den Universitäten Marburg und Regensburg bieten beste Voraussetzungen, um derartige Forschungslücken zu schließen. Das Team nutzte die Methode der Photoelektronenspektroskopie, mit der es die Oberfläche eines Kristalls untersuchte.

Die Kegel der Modelldarstellung repräsentieren Energiezustände von Elektronen, die hier als Kugeln dargestellt sind. Periodische Störungen durch ein starkes Lichtfeld bewirken, dass die Elektronen nicht nur einen feststehenden Energiezustand besitzen, sondern viele Energiezustände in gleichmäßigem Abstand.  (Abbildung: Brad Baxley, parttowhole.com)
Abbildung: Brad Baxley, parttowhole.com
Die Kegel der Modelldarstellung repräsentieren Energiezustände von Elektronen, die hier als Kugeln dargestellt sind. Periodische Störungen durch ein starkes Lichtfeld bewirken, dass die Elektronen nicht nur einen feststehenden Energiezustand besitzen, sondern viele Energiezustände in gleichmäßigem Abstand.

„Wir gingen mit unseren Messungen über die Grenze dessen hinaus, was sich bis dato mit dieser Spektroskopie an Zeitauflösung bei starken Lichtfeldern realisieren ließ“, hebt Dr. Suguru Ito hervor, der Erstautor der Fachpublikation. Dadurch gelang dem Team eine unvorhergesehene Entdeckung: „Überraschender Weise bilden sich die Floquetbänder schon nach einem einzigen optischen Zyklus aus, also in sehr kurzer Zeit“, legt der Physiker dar.

„Die Gutachter konnten das zunächst kaum glauben!“, erzählt Höfer. Doch die eindeutigen experimentellen Resultate werden durch theoretische Modellierungen gestützt, die Dr. Michael Schüler vom Paul-Scherrer-Institut in Villigen in der Schweiz und Professor Dr. Michael Sentef vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg beisteuerten.

„Unser Experiment eröffnet die Möglichkeit, eine Vielzahl von vorübergehenden Quantenzuständen sichtbar zu machen“, ergänzt Huber „Dies ebnet den Weg zu maßgeschneiderten Quantenfunktionen und zu ultraschneller Elektronik.“

Ulrich Höfer lehrt Experimentalphysik an der Philipps-Universität Marburg. Rupert Huber hat eine Professur für Experimentelle und Angewandte Physik an der Universität Regensburg inne. Beide erhielten kürzlich gemeinsam einen ERC Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats für ihr Forschungsprojekt „Orbitalkino“ zugesprochen.

Neben den Arbeitsgruppen aus Marburg und Regensburg beteiligten sich Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg, vom Paul-Scherrer-Institut in Villigen, Schweiz, und vom A. V. Rzhanov-Institut in Novosibirsk, Russland an der Veröffentlichung. Die Kooperation mit dem russischen Kollegen fand noch vor dem Ukrainekrieg statt.Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte beteiligte Wissenschaftler durch Sonderforschungsbereiche in Marburg und Regensburg sowie durch das Emmy-Noether-Programm. Mehrere internationale Förderorganisationen gewährten weitere finanzielle Unterstützung.

Originalveröffentlichung:

Suguru Ito, Michael Schüler & al.: Buildup and dephasing of Floquet-Bloch bands on subcycle time scales, Nature 2023
DOI 10.1038/s41586-023-05850-x

englischsprachige Pressemitteilung des Max Planck Instituts für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg

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