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1. Sprachdynamische Regionalsprachenforschung (Proff. Schmidt, Girnth, Herrgen, Kehrein, Lameli, Fleischer):

Am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas wird seit 2001 ein hinsichtlich des Sprachdatenvolumens und der Datenqualität weltweit einmaliges „Testlabor für die Sprach(wandel)theorie“ aufgebaut. Darin werden alle greifbaren, relevanten Sprachdaten für die natürliche Entwicklung einer großen Kultursprache mit dem Schwerpunkt auf regional geprägtes Sprechen über einen Zeitraum von 130 Jahren erschlossen. Diese werden im Rahmen des Akademieprojekts „Regionalsprache.de (REDE)“ (2008-2027) der internationalen Forschung in einem internetbasierten sprachgeographischen Informationssystem (REDE SprachGIS) zur Verfügung gestellt. Dass das Deutsche hiermit zur sprach(wandel)theoretischen „Referenzsprache“ werden kann, hat vor allem forschungshistorische Gründe: Nur für das Deutsche liegen für eine bestimmte Varietät, den Basisdialekt, von inzwischen sechs Generationen von Wissenschaftler/innen erhobene Sprachdaten vor, die es erlauben, die Entwicklung dieser Varietät in Raum und Zeit exakt zu verfolgen. Eine der wichtigsten Datenbestände stellt der Marburger „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ (1880ff.) von Georg Wenker dar, der im Rahmen des DFG-Großprojekts „Digitaler Wenker-Atlas (DiWA)“ (2001-2009) digitalisiert wurde und vollständig in das SprachGIS des REDE-Projektes überführt wurde. Der außerordentlich große Datenumfang eröffnet der sprachdynamischen Regionalsprachenforschung umfangreiche Erkenntnismöglichkeiten und verändert die Sicht auf ungelöste theoretische Probleme: So stellen z. B. die klassischen Theoreme des phonologischen Wandels keine Alternativen dar, sondern gelten jeweils für exakt bestimmbare phonologische und morphologische Konstellationen. Ähnliches gilt für das Verhältnis externer und interner Faktoren. Die Einführung von modernen neurolinguistischen Methoden zur Erforschung der regionalsprachlichen Sprecherkompetenzen – die weltweit ein absolutes Novum darstellt – kann den Ablauf von Sprachwandelprozessen in der Kognition der Sprecher belegen und erstmals neurolinguistische Evidenzen für Prozesse liefern, die seit über 130 Jahren im Interesse der dialektologischen Forschung stehen. Auch die aktuellen Entwicklungstendenzen im Spannungsfeld zwischen Dialekt und Standardsprache werden in den Projekten des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas durch Neuerhebungen dokumentiert und die Struktur und Dynamik der deutschen Regionalsprachen vollständig analysiert.

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