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Jörg Peters: Regionale Variation der Stimmqualität. Eine Pilotstudie zum Hoch- und Niederdeutschen im Bersenbrücker Land

KURZFASSUNG: Die Untersuchung regionaler Variation der Stimmqualität gehört zu den größten Forschungslücken der Dialektologie des Deutschen. Dies ist umso bedauerlicher, als die internationale Forschung inzwischen zahlreiche Belege für eine sprachliche und dialektale Variation der Stimmqualität gefunden hat. In den meisten dieser Studien bleibt allerdings unklar, ob die beobachtete Variation ein Spracheffekt ist, oder ob sie aus der Zugehörigkeit der Sprecher zu unterschiedlichen Sprechergemeinschaften resultiert. Die vorliegende Studie geht entsprechend zwei Fragen nach: (1) Gibt es im deutschen Sprachgebiet regionale Variation der Stimmqualität, und wenn ja, welche Aspekte der Stimmqualität sind hiervon betroffen? (2) Ist regionale Variation der Stimmqualität ein Spracheffekt, oder resultiert sie aus der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sprecher­gemeinschaften? Zu diesem Zweck wurde die Lesesprache zweisprachiger Sprecher untersucht, die mit zwei benachbarten niederdeutschen Dialekten aufgewachsen sind und das Standard­deutsche als gemeinsame zweite Sprache teilen. Untersucht wird das Bersenbrücker Land im Norden des Landkreises Osnabrück in Niedersachsen, das als dialektales Übergangsgebiet zwischen dem Ostwestfälischen im Süden und dem Nordniedersächsischen im Norden gilt. Bilinguale Sprecher des Hoch- und Niederdeutschen lasen zwei Textpassagen, und es wurden vier akustische Maße erhoben: der Energieabfall zwischen 0–1 kHz und 1–5 kHz, der Energieabfall zwischen 1–5 kHz und 5–8 kHz, die geglättete Cepstral Peak Prominence (CPPS) und der sogenannte Sprecherformant. Diese Maße erlauben die Charakterisierung der Stimmen in Bezug auf die Dimension tense – lax, Behauchtheit und Tragfähigkeit der Stimme. Die Ergebnisse sprechen für weichere und behauchtere Stimmen im Süden und härtere, weniger behauchte Stimmen im Norden. Ferner zeigten sich Einflüsse des Geschlechts, der Sprachversion und des Texttyps. Der regionale Unterschied zeigte sich sowohl im Niederdeutschen als auch im hochdeutschen Standard der untersuchten Sprecher, was eher für einen Einfluss der Zugehörigkeit zu einer regional abgegrenzten Sprechergemeinschaft spricht als für einen Spracheffekt in dem Sinne, dass einzelne Dialekte oder Sprachen mit einer ihr eigentümlichen Stimmqualität ausgestattet sind.

Schlagworte: Stimmqualität, Niederdeutsch, Zweisprachigkeit, spektrale Energieverteilung, Cepstral Peak Prominence, Sprecherformant

 

ABSTRACT: Regional variation of voice quality is one of the most neglected fields of German dialectology. This apparent lack of interest is all the more regrettable as international research has now provided a substantial body of evidence for cross-linguistic and dialectal variation in voice quality. In most of these studies, however, it remains unclear whether the observed variation is a language effect or arises from the affiliation of the speakers to different speaker communities. Accordingly, the present study deals with two questions: (1) Is there regional variation of voice quality in the German language area, and if so, which aspects of the voice quality are affected? (2) Is regional variation of voice quality a language effect or an effect of belonging to different speaker communities? In order to keep both aspects apart, bilingual speakers are examined who have grown up in two neighboring Low German dialect areas and share High German as a standard language. The study focuses on the Bersenbrücker Land in the north of the district of Osnabrück in Lower Saxony, which is a transitional dialect area between East-Westphalian in the south and Northern Low Saxon in the north. Two text passages were read aloud in a Low German and High German version, and four acoustic measures were calculated: the spectral slope between 0–1 kHz and 1–5 kHz, the spectral slope between 1–5 kHz and 5–8 kHz, the smoothed Cepstral Peak Prominence (CPPS), and the speaker’s formant. These measures characterize voice quality along the dimensions tense vs. lax voice, degree of breathiness and voice projection. The results indicate more lax and breathy voices in the south and more tense and less breathy voices in the north. At the same time, effects of gender, language, and reading task were found. As voice quality of both Low German and Standard High German varies between the north and the south, this variation can better be explained by the affiliation to different speaker communities than by a language effect in the sense that individual dialects or languages have their own voice quality.

Keywords: Voice quality, Low German, bilingualism, spectral energy distribution, Cepstral Peak Prominence, speaker’s formant