17.12.2019 Zum Tod von Martin Warnke. Ein Nachruf

Wir betrauern den Tod von Martin Warnke, zwischen 1971 und 1978 Professor am Kunstgeschichtlichen Institut der Philipps-Universität Marburg. Nach Jahren der still ertragenen Krankheit ist er am 11. Dezember in Halle a. d. Saale verstorben.

Martin Warnke hat die Ausrichtung des Marburger Instituts  in den 1970er Jahren maßgeblich geprägt: zum einen durch seine ideologiekritische, dabei aber nie in Dogmatismus verfallende Hinterfragung der Fachgeschichte, ihrer Untersuchungsgegenstände und Publikationsformen seit der NS-Zeit, zum anderen durch seine beharrliche Integration sozialgeschichtlicher Fragestellungen. Bereits in der 1963 an der Freien Universität Berlin vorgelegten Dissertation, die 1965 unter dem lapidaren Titel „Kommentare zu Rubens“ publiziert wurde, ging es um die Kunst der „Dissimulatio“ – der Fähigkeit eines der in der Diplomatie versiertesten Hofkünstler der Frühen Neuzeit, komplexe politische Botschaften und Parteinahmen anzudeuten, ohne sie explizit zu machen. Schließlich widmete sich die 1970 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vorgelegte Habilitationsschrift (1985 in erster Auflage unter dem Titel „Hofkünstler: zur Vorgeschichte des modernen Künstlers“ publiziert und anschließend in zahlreiche Sprachen übersetzt) dem kreativen Freiraum des frühneuzeitlichen Hofkünstlers, der gerade aufgrund seiner Anstellung durch den Fürsten von den Auflagen und Produktionseinschränkungen der städtischen Zünfte entbunden war und daher ungehinderter neue technische Verfahren und Darstellungsmodi entwickeln konnte. Zahlreichen Anfeindungen sah sich Warnke nach der Leitung einer Sektion des Kunsthistoriker-Kongresses 1970 mit dem Titel „Kunstgeschichte zwischen Wissenschaft und Weltanschauung“ ausgesetzt, da er unter anderem die bildimmanenten, latent gewaltverherrlichenden Tendenzen kunsthistorischer Populärliteratur (etwa in den „Blauen Büchern“) offengelegt hatte. Dem Einsatz des bereits auf das Ende seiner kunsthistorischen Universitätslaufbahn zugehenden Karl Hermann Usener – der während der NS-Diktatur Widerstandskreisen nahe gestanden hatte – war es zu danken, dass Warnke 1971 einen Ruf auf eine außerordentliche Professur an die Philipps-Universität Marburg erhielt.

1979 wechselte Warnke von Marburg an die Universität Hamburg, an der er bis zu seiner Emeritierung 2003 lehrte. Dort baute er – unterstützt durch den ihm 1991 verliehenen Leibniz-Preis und das zwischen 1990 und 1999 von der DFG finanzierte Graduiertenkolleg „Politische Ikonographie“ – das Warburg-Haus wieder zu einem führenden Zentrum ikonographisch-ikonologischer Forschung aus. In der Tradition der durch Aby M. Warburg begründeten „Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“, die 1933 nach London überführt worden war, legten Warnke und seine Forschergruppen dort einen über 200.000 Bild- bzw. Zettelkasten umfassenden „Bildindex der Politischen Ikonographie“ an. Nachdem das 2011 publizierte „Handbuch der politischen Ikonographie“ dessen Inhalte exemplarisch erschließt, wird nun in einem DFG-geförderten Kooperationsprojekt der Bildindex digitalisiert, erfasst und online der Forschungsöffentlichkeit zugänglich gemacht. Dieses ambitionierte und zukunftsweisende Projekt wird gemeinsam durch das Warburg-Haus Hamburg, das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg und die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena durchgeführt werden. Bei der Anlage des Bildindexes leitete Warnke die Frage, wie politische Inhalte in Bildern ausgedrückt werden und über Kunst- und Bildwerke der unterschiedlichsten Art Politik gemacht wurde und wird. In seinem Verständnis des Politischen nahm Warnke dabei keine Rücksichten auf Fächerkonventionen und definitorische Eingrenzungen. Vielmehr ging es ihm um das möglichst umfassende Ausloten der Bedeutungs- und Nutzungsmöglichkeiten von Kunst, weit über das Politische im engeren Sinne hinaus. Daher ist zu erwarten, dass von der Onlinestellung des Bildindexes weitere wertvolle Impulse für die politische Bildforschung ausgehen werden.

Ansteckend waren Warnkes Neugier, sein oft verschmitzter Humor und vor allem seine Fähigkeit, die Gegenstände der kunsthistorischen Forschung immer wieder unter einer ganz eigenen, unkonventionellen Perspektive zu betrachten.

Seine Stimme wird uns fehlen!

Hendrik Ziegler, im Namen des Marburger Kollegiums