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Vojislav Gregor Avakumovic

Vojislav Gregor Avakumovic 1966-1975
Vojislav Gregor Avakumovic 1966-1975

Professor Avakumovic kam im Jahre 1965 an den Fachbereich Mathematik der Philipps-Universität, im folgenden Jahr wurde ich einer seiner Mitarbeiter. Für mich ein glücklicher Umstand, denn Prof. Avakumovic war ein leidenschaftlicher Mathematiker, und einiges von dieser Leidenschaft für die Mathematik hat er auch an seine Schüler weitergegeben, er war eine beeindruckende Persönlichkeit und ein fast väterlicher Freund seiner Schüler, mit dem man stundenlang über Mathematik, Gott und die Welt diskutieren konnte.

Kam Avak, wie ihn alle nannten, morgens in das Institut, so begann der Arbeitstag mit einem Treffen mit seinen Mitarbeitern, wobei die Gesprächsthemen sehr variabel, der Tee aber eine feste Größe war. Auch andere Institutsmitglieder waren indirekt beteiligt, da die Stimme von Avak über den ganzen Flur zu hören war. Als seine Mitarbeiter hatten wir einen sehr intensiven Anteil an seinen Forschungen, in den Seminaren wurden häufig neue, noch nicht publizierte Resultate von ihm ausgearbeitet und weitergeführt, und er prägte uns mit seiner Überzeugung, dass zur guten Mathematik Tiefe und Schönheit gehören. Diese Auffassung von Mathematik vermittelte er auch in seinen Vorlesungen, die er gründlich vorbereitete. War er vor seiner Vorlesung bereits im Institut und stellte man ihm eine Frage, so war die Antwort nach kurzem Aufblicken häufig. „Herr G.  ich lese heute“.
Ungewöhnlich wie die Persönlichkeit von Avakumovic war auch sein wissenschaftlicher Werdegang. Er studierte zunächst ein Semester in Rom Malerei, bevor er in Belgrad  mit dem Studium der Mathematik und Physik begann, kein Studium in üblicher Weise: er hat nach eigenen Erzählungen keine Vorlesungen gehört, sondern seinem Lehrer Karamata, wie er sagte verständnislos, beim Abfassen mathematischer Arbeiten zugesehen. Dies Unverständnis kann nicht lange gedauert haben, schon als Student publizierte er Arbeiten mit denen er in Konkurrenz zu Größen seiner Zeit, wie z.B. Norbert Wiener trat. Nach Studiensemestern in Berlin setzte er seine wissenschaftliche Laufbahn zunächst in Belgrad fort, bis er 1953 einen Ruf an die Universität Sarajewo annahm. Weitere Stationen waren die Vertretung der Gaußprofessur in Göttingen und Gastprofessuren in Lund und Gießen.  1961 übernahm er die Leitung des Zentralinstituts für Angewandte Mathematik der Kernforschungsanlage Jülich, 1965 folgte er dem Ruf nach Marburg.
Während seiner Gastprofessuren entstehen seine wohl bedeutendsten Arbeiten, in denen er im mathematischen Modell physikalischer Schwingungsvorgänge (wie z.B. einer Trommelmembran) sehr präzise Aussagen über die Eigenschwingungen eines solchen Systems herleitet. Kurioserweise schreibt er  den ersten Artikel hierüber aus der Notwendigkeit, eine Lücke in einem Zeitschriftenband, für dessen Ausgabe er mitverantwortlich war, zu füllen. Diese Publikation umfasst deshalb nur zwei Seiten und ist fast über Nacht entstanden. Eines der wichtigsten Resultate auf dem Gebiet, eine genaue Analyse der Eigenfrequenzen, hat er während einer Vorlesung in Göttingen entwickelt. Publiziert wurde es erst sehr viel später in Arbeiten seiner Schüler. Das wissenschaftliche Arbeitsgebiet von Prof. Avakumovic war die Analysis in ihrer ganzen Breite, er hat -übrigens in fünf Sprachen-  Beiträge zu Taubersätzen, analytischer  Zahlentheorie bis hin zur Theorie gewöhnlicher und partieller Differentialgleichungen publiziert. Trotz seiner bahnbrechenden Publikationen, die ihm hohe internationale Anerkennung und zahlreiche Preise und Ehrungen eingebracht haben, verstand er selbst die Mathematik nicht als das Ergebnis genialer Ideen, sondern als schönes und schwieriges Handwerk.
Das Leben von Avakumovic  war ähnlich bewegt und abwechslungsreich wie seine wissenschaftliche Laufbahn, er war eine Quelle zahlreicher Anekdoten, die er häufig selbst zum Besten gab. Während seiner Studienzeit in Belgrad war er ein erfolgreicher Amateurboxer und ein leidenschaftlicher Bergsteiger. Bei einer Alleinbesteigung des Triglav stürzte er ab und wurde erst so spät gerettet, dass sein gebrochenes Bein amputiert werden musste. Er behielt dennoch seine positive Einstellung und seinen Humor, der auch vor Kollegen nicht halt machte. Mit offensichtlichem Vergnügen zeigte er uns z.B. den kleinen Scherz im Topologiebuch von Kerekjarto. Dort findet sich ein Eintrag zu Bessel-Hagen im Inhaltsverzeichnis, auf der angegebenen Seite taucht der Name aber nicht auf, stattdessen das Bild eines Torus mit zwei großen Henkeln (eine Anspielung auf die „Segelohren“ von Bessel-Hagen). Eine Wette, in einem Vortrag auf einer internationalen Tagung seinen Hund Jacki  zu zitieren, löste er folgendermaßen ein:  „Dies schöne Resultat verdanke ich meinem Freund Jacki Hund.“
Avakumovic war ein passionierter,  sportlicher Autofahrer. Dazu gehörte auch das eigenhändige Waschen des Fahrzeugs, wobei er einmal, nachdem das Werk fast fertig war, feststellte, dass er statt seiner Isabella einen fremden Citroen gesäubert hatte. In seiner Aachener Zeit versuchte er sich mit seinem VW-Käfer als Rennfahrer auf dem Nürburgring und in Marburg berichtete er auf einer der morgendlichen Besprechungen, dass sein DAF doch recht flott liefe, bei der Abfahrt von der Brücke über die Bahngleise an der Kasseler Straße erreichte er 120 km/h. Die Ortsschild 500 Meter vorher hatte er großzügig übersehen. Legendär ist die Geschichte eines Ausflug in Begleitung von Frau B. durch die Eiffel. Er hatte an einer Weggabelung die Mitte gewählt und war im Schilderdreieck gelandet. Sein Kommentar zu dem etwas plötzlichen Ende der Fahrt: „Steigen sie aus Frau B. ,die Reise ist zu Ende“ .
Avakumovic verbrachte die Jahre nach seiner Emeritierung vorwiegend im Kreise seiner Familie. Er  begann wieder zu malen und hielt die Aussichten von seiner Wohnung in Goßfelden in schönen Aquarellen fest. Die Nachmittage die ich dort mit ihm verbringen durfte sind mir in bleibender Erinnerung. Avakumovic war ein hochgebildeter, lebenskluger und humorvoller Mensch, kaum ein Thema, zu dem er nicht den Hintergrund kannte und eine eigene Sicht hatte. Ebenso interessant waren die Erzählungen aus seinem abwechslungsreichen Leben. Dabei war gegen Abend sein Aschenbecher randvoll und das Zimmer in einen dichten Nebel gehüllt. Die  Bücher, die ich aus seinem Handapparat übernommen habe, sind auch heute noch unschwer am Geruch zu erkennen.

 (Wolfgang Gromes)