25.11.2025 Nachruf auf Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Siegfried Großmann

Der Fachbereich Physik trauert um Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Siegfried Großmann, der am 21.11.2025 im Alter von 95 Jahren verstorben ist.

Prof. Dr. Siegfried Großmann schloss zunächst eine Lehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule Berlin ab und studierte im Anschluss Physik, Mathematik und Chemie an der Freien Universität Berlin. Nach dem 2. Staatsexamen unterrichtete er an einem Gymnasium in Berlin-Tempelhof und war danach von 1959 bis 1962 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin tätig. Dort promovierte er 1960 bei Prof. Dr. Günther Ludwig und wurde zwei Jahre später habilitiert. 1963 ging er nach München, wo er als Konservator an der Technischen Universität tätig war. Von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1998 hatte er zunächst eine außerordentliche Professur für Mathematische Physik und ab 1966 eine ordentliche Professur für Theoretische Physik an der Philipps-Universität Marburg inne, wo er die Arbeitsgruppe Statistische Physik leitete. In dieser Zeit lieferte er wertvolle und richtungsweisende Beiträge zu einer Vielzahl von Forschungsgebieten im Umfeld der Statistischen Physik: Phasenübergänge und Transportphänomene in Gasen und Flüssigkeiten, Schwerionenphysik und Kernspaltung, Fluktuationen in Supraleitern, Quantenoptik und Laserphysik, Instabilitäten in Flüssigkeitsströmungen und verschiedene Mechanismen des Übergangs zur Turbulenz bis hin zu Strukturfunktionen vollentwickelter Turbulenz in thermisch angeregten Fluiden und deren Randschichten. Aufgrund seiner Arbeiten zu Bifurkationen, Spektren und Korrelationen in nichtlinearen dynamischen Systemen gilt er als Mitbegründer der Chaostheorie, die unser Verständnis komplexer Vorgänge, wie zum Beispiel der genauen Wettervorhersage, verfeinert.

Prof. Großmann war infolge seiner wissenschaftlichen Leistungen hoch angesehen und gehörte im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere zahlreichen Gremien an, u. a. von 1968 bis 1990 dem Auswahlausschuss der Studienstiftung des Deutschen Volkes und von 1990 bis 1992 der Kommission Grundlagenforschung des Bundesministers für Forschung und Technologie, deren Vorsitz er in dieser Zeit innehatte. Auch zahlreiche Auszeichnungen sind Beweis der Anerkennung und Wertschätzung seines Schaffens. U. a. erhielt er 1995 die Max-Planck-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 1996 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und wurde 2017 zum Ehrenmitglied der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ernannt. 

Lange Jahre war er Mitherausgeber der Physikalischen Blätter und des Physik Journals, der Zeitschrift für Physik B und ihrer Nachfolgerin, dem European Physical Journal B, sowie der Zeitschrift für Naturforschung A.

Er war nicht nur in seinem jeweils aktuellen Forschungsumfeld außerordentlich kundig, sondern vielseitig interessiert und von unermüdlicher Neugier getrieben. Er suchte die fachliche Auseinandersetzung und das gemeinsame Denken – oft an der Tafel mit Kreide in der Hand, ein Bild, das uns in warmer Erinnerung bleibt. Hinter technischen Formalismen erkannte er die tieferen Zusammenhänge; seine außergewöhnliche physikalische Intuition, seine Begeisterung für die Physik und die seltene Gabe, auch komplizierte Zusammenhänge in Vorlesungen, Seminaren und Gesprächen klar zu vermitteln, rissen seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit.

Auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und insbesondere der Lehrkräfte war ihm ein wichtiges Anliegen. Neben einer Vielzahl wissenschaftlicher Artikel verfasste er zwei Lehrbücher über mathematische Grundlagen der klassischen Physik und der Quantenmechanik: „Einführungskurs für die Physik“, das 1974 erschien, und „Funktionsanalysis im Hinblick auf die Anwendung in der Physik“, das in zwei Bänden 1969 bis 1970 veröffentlicht wurde; beide Werke wurden mehrfach neu aufgelegt. 

Siegfried Großmann war ein feinsinniger und integrer Mensch, bedächtig, aber klar im Urteil. So wurde er 1999 - 2005 zum Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft berufen, danach von 2005 - 2008 zum Ombudsmann an der Philipps-Universität Marburg.

Wir werden uns mit großer Anerkennung an ihn als einen stets offenen, scharfsinnigen und humorvollen Kollegen erinnern, der den Fachbereich Physik in seiner aktiven Zeit geprägt hat, so als Dekan des Fachbereichs in der Zeit vom 01.08.1977 bis zum 31.07.1978.

Unser tiefes Mitgefühl und unsere Anteilnahme gelten seinen drei Kindern. 

Die Beisetzung und Trauerfeier finden am 13.12.25 um 11:00 Uhr in der Friedhofskapelle an der Ockershäuser Allee statt. 

 Der Dekan des Fachbereichs Physik 
Reinhard Noack