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Einfluss von Umweltstress auf Inzuchtdepression

Dr. Tobias Sandner, Prof. Dr. Diethart Matthies

Es wird oft angenommen, dass Inzuchtdepression grundsätzlich unter Stress höher sei als unter günstigen Bedingungen. Diese Annahme hat wichtige Folgen für die Erhaltung und Wiedereinführung von Arten aus Zoos und Botanischen Gärten in die Natur, aber auch für die Frage, ob kleine Populationen seltener Arten in Zeiten des Klimawandels überleben können. In kontrollierten Experimenten mit Silene vulgaris und Rhinanthus alectorolophus haben wir gezeigt, dass zumindest bei Pflanzen dieser Zusammenhang nicht eindeutig ist (z.B. Sandner & Matthies 2016, Sandner & Matthies 2017a) und testen seitdem weitere Hypothesen, warum einzelne Bedingungen zu einer Erhöhung der Inzuchtdepression führen können. Dazu gehört die Frage, ob ein Stress neu für eine Art ist oder nicht, da rezessive schädliche Allele z.T. nur unter bestimmten Bedingungen exprimiert werden (Rehling, Matthies & Sandner 2019), sowie die Frage, welchen Einfluss konstanter oder fluktuierender Stress hat oder wie komplex die Stressantwort ist (aktuelle Projekte mit Digitalis lutea und Mimulus guttatus, Sandner et al. 2022). Aber auch „neutrale“ Faktoren können die Stärke der Inzuchtdepression beeinflussen – vor allem Umweltfaktoren, welche die Größenhierarchie innerhalb von Pflanzenpopulationen beeinflussen (Sandner & Matthies 2016). Deshalb untersuchen wir, wie sich verschiedene Umwelten auf Größenunterschiede zwischen Pflanzen auswirken, um dies bei der Berechnung der Stärke der Inzuchtdepression zu berücksichtigen. Dazu schlagen wir einen Weg vor, wie man durch Berücksichtigung der anfänglicher Größe fremdbestäubter Pflanzen den direkten Effekt einer Umwelt auf Inzuchtdepression von indirekten Effekten der Umwelt, die über die Pflanzengröße vermittelt werden, trennen kann (Sandner, Matthies & Waller 2021). 

Unterschiedlich große Fingerhut Pflanzen in Töpfen
Foto: Tobias Sandner
Digitalis lutea Pflanzen unter Kontrollbedingungen, Nährstoffmangel, Trockenheit und nach Zurückschneiden (v.l.n.r.)

Bedeutung von Inzucht in der Ex-situ Kultur seltener Pflanzen

Ex-situ Kulturen von Pflanzen in Botanischen Gärten sind häufig sehr klein und Inzucht ist in diesen Populationen sehr häufig. Außerdem passen sich Pflanzen recht schnell an die künstlichen Bedingungen in Botanischen Gärten an (Enßlin, Sandner & Matthies 2011). Um abschätzen zu können, wie sich Umwelt x Inzucht Interaktionen auf den Erfolg der ex-situ Kultivierung seltener Pflanzenarten auswirken, setzen wir unterschiedlich bestäubte Digitalis lutea Pflanzen aus der Natur und aus ex-situ Kultur Stressbedingungen aus, die für die natürlichen Populationen typisch sind, in Botanischen Gärten aber selten auftreten (Kollaboration mit Dr. A. Enßlin, Botanischer Garten Genf). Außerdem interessiert uns, wie sehr sich die Pflanzen an andauernde Inzucht in botanischen Gärten anpassen. Häufige Inzucht kann dazu führen, dass Pflanzen kleinere Blüten kriegen und weniger attraktiv für Bestäuber sind – Änderungen, die nach der Wiederansiedlung von Pflanzen aus botanischen Gärten zum Problem werden können (Sandner et al. 2022).