03.03.2024 „Irgendwann ist immer das erste Mal!“

Wie fühlt es sich an, erstmals zu streiken? Ein Erlebnisbericht

Wir sind bereit zum Arbeitskampf! Hunderte Beschäftigte der Uni Marburg gaben sich gegenseitig Streikversprechen für die Tarifrunde TV-H 2024. Das Foto stammt von einer Kundgebung aus den Vorjahren.
Foto: Corinna Vahrenkamp, Fototeam Hessen
Wir sind bereit zum Arbeitskampf! Hunderte Beschäftigte der Uni Marburg gaben sich gegenseitig Streikversprechen für die Tarifrunde TV-H 2024. Das Foto stammt von einer Kundgebung aus den Vorjahren.

Plötzlich heulen die Motorsägen auf. Zum Glück stehen die Waldarbeiter von Hessen-Forst ein paar Meter entfernt, die mit ihren Arbeitsgeräten einen ohrenbetäubenden Krach erzeugen. Mit einem Mal versteht man kein Wort mehr von dem, was die Rednerin auf dem Podium sagt. Ein paar Sekunden, dann verstummt der Radau und die Rede geht weiter: „…reagieren nur auf Druck, darum ist es gut, wenn Ihr laut seid!“ Applaus, Zurufe, Johlen. Die Arbeitskollegen neben mir klappern mit ihren Ratschen, ich klatsche Beifall. Friederike nickt mir aufmunternd zu. 

Die Waldarbeiter gehören ebenso zu den Landesbeschäftigten wie die Leute aus Straßenmeistereien und Unis. Ein Frühlingstag in Vor-Corona-Zeiten, ich bin schon eine Weile Mitglied bei ver.di, aber einen Warnstreik habe ich noch nie miterlebt. Deshalb suche ich die Nähe zu Kollegen, die sich schon auskennen. „Irgendwann ist immer das erste Mal!“, sagt Friederike, dreht wieder ihre Ratsche und lacht. Neben uns schwenken Markus, Jutta und Claudia ver.di-Fahnen.    

Am Vorabend kam der Warnstreikaufruf. Im ersten Moment fühlte es sich komisch an, als ich morgens eine Nachricht an die Zeiterfassung schickte, in der stand: Ich nehme heute mein Streikrecht in Anspruch. Aber natürlich wussten wir, dass so etwas bevorsteht: Schließlich hat das Land unsere Forderungen abgelehnt, ohne ein eigenes Angebot vorzulegen, hat Markus erklärt: „Wir müssen zeigen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen!“ 

Morgens gegen neun trafen wir uns im Streikcafé. Viele brachten selbst gemalte Schilder mit: „Gutes Geld für gute Arbeit!“ Zahlreiche Grüppchen standen beieinander, in der Hand einen Kaffeebecher und ein Stück Gebäck; einige kenne ich vom Sehen und nicke ihnen zu. Aha, der ist also auch da! Es bleibt ein wenig Zeit, um zu quatschen, dann gehen wir geschlossen raus zur Auftaktkundgebung. Leider nieselt es, aber zwischen den Wolken lugt schon der blaue Himmel hervor.

Den ersten Redner kenne ich vom Sehen. Er spricht über die gestiegene Arbeitslast, berichtet vom Verhandlungsauftakt. „Warme Worte reichen nicht!“, sagt er und erntet Klatschen, Zurufe, Gelächter. Dann geht es los! Die Straße ist voll von Leuten, die Transparente tragen, Gesänge anstimmen, Parolen skandieren. Auch wir rufen jetzt: „Her! Mit! Mehr!“

 Wir sind Hunderte. Die Polizei hat mit ihren quergestellten Autos die Nebenstraßen abgesperrt. Der Regen verzieht sich jetzt, die Sonne ist rausgekommen. Menschen verteilen Flugblätter, Passanten bleiben stehen und kriegen Flyer in die Hand gedrückt. So geht das eine ganze Weile, bis wir die Schlusskundgebung erreichen. 

Die Menschen drängen auf den Versammlungsplatz, vorne schallt Musik aus den Lautsprechern. Friederike zwängt sich durch die Menge, um besser zu sehen. Diesmal kommen Betroffene aus den Betrieben zu Wort: Eine Wissenschaftlerin spricht über Kettenbefristungen, die eine Planung im Privatleben unmöglich machen. Alle beteuern: Wenn sich das Land nicht bewegt, kommen wir wieder. „Wir sehen uns beim nächsten Streik!“, sagt mir Friederike, als wir die Fahnen zusammenrollen und uns auf den Heimweg machen. „Du bist doch dabei?!“

 

"Je mehr, desto besser"

Interview mit ver.di-Gewerkschafterin Claudia Keppler

Claudia Keppler arbeitet als Chemielaborantin in der Marburger Anatomie. Die langjährige Gewerkschafterin gehört der ver.di-Tarifkommission an, die an den derzeitigen Tarifverhandlungen teilnimmt.

Redaktion: Die Hochschulen außerhalb Hessens, in Mainz und Siegen, München und Berlin haben schon einen neuen Tarifvertrag. Warum lässt die Lohnerhöhung für uns in Hessen noch auf sich warten?

Claudia Keppler: Naja, das Land Hessen als Tarifvertragspartner der Gewerkschaften ist vor vielen Jahren aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten. Das war nicht die Entscheidung der Gewerkschaften. In den anderen Ländern wurde schon im Dezember ein Abschluss erzielt – nach zahlreichen Streikaktionen, an denen sich sehr viele Beschäftigte beteiligten.

Wie sind die Forderungen der Gewerkschaften zustande gekommen?

Um die Forderungen aufzustellen, haben wir im Herbst Mitgliederversammlungen abgehalten – auch an der Uni Marburg. Hier gab es zusätzlich sogar ein offenes Treffen, um Kolleginnen und Kollegen zu befragen, die noch nicht bei ver.di organisiert sind. Die Ergebnisse aus den verschiedenen Betrieben wurden dann landesweit zusammengetragen.

Auf welche Kernforderungen hat sich ver.di mit den anderen Gewerkschaften verständigt?

Wir fordern 500 Euro mehr pro Monat, mindestens aber 10,5 Prozent Zuwachs. Das ergäbe ein kräftiges Plus, vor allem für die unteren Lohngruppen. Die Auszubildenden sollen monatlich 260 Euro mehr bekommen.

Im Sommer 2023 sammelte ver.di Unterschriften für einen Inflationsausgleich. In den jetzigen Tarifforderungen sucht man ihn vergebens. Wie kommt das?

Moment! Der Inflationsausgleich wäre zusätzlich zum Tariflohn nötig gewesen, um den bisherigen Lohnverlust auszugleichen. Im Tarifvertrag bringt eine Einmalzahlung den Beschäftigten hingegen nicht viel, denn diese sorgt ja nicht für eine dauerhafte Erhöhung der Löhne.

Die Gewerkschaften haben auch weitergehende Erwartungen für die Hochschulen. Welche sind das?

Ganz wichtig: Weg von der überbordenden Befristungspraxis! Wir verlangen, dass mindestens 35 Prozent der Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau unbefristet sind, in der Verwaltung soll Befristung nur noch für Elternzeitvertretungen und dergleichen möglich sein. Zudem wollen wir, dass die studentischen Hilfskräfte in den Tarifvertrag eingeschlossen werden.

Wie laufen die Verhandlungen über diese Forderungen ab?

Mitte Februar verlief das erste Treffen mit Innenminister Roman Poseck ergebnislos. Das Land lehnte unsere Forderungen ab, legte aber kein eigenes Angebot vor. Für März sind weitere Gespräche verabredet.

Wo kann man sich über den Fortgang der Tarifrunde informieren?

An der Universität haben sich etliche ver.di-Mitglieder als Tarifbotschafterinnen und -botschafter gemeldet, die ihre Kolleginnen und Kollegen auf dem Laufenden halten – auch über anstehende Aktionen. Außerdem unterhält die Betriebsgruppe mehrere Social-Media-Kanäle*, auf denen man Informationen findet.

Wie will ver.di erreichen, dass sich das Land bewegt?

Wir versuchen, Druck aufzubauen, indem wir möglichst viele Kolleginnen und Kollegen auf die Straße bringen. Schließlich geht es um unser aller Arbeitsbedingungen. In bisherigen Tarifrunden hat sich immer wieder gezeigt: Je mehr Leute mitmachen, desto besser das Ergebnis!

*Stets aktualisierte Informationen über den Stand der Verhandlungen und Aktionen von ver.di gibt es auf den Social Media-Kanälen der Betriebsgruppe: Matrix, Whatsapp, Telegram