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Schwerpunkt Umweltanthropologie

Beispielbild Forschungsschwerpunkt Umweltanthropologie
Foto: Michaela Meurer

Beschreibung

Die Umweltanthropologie ist eine Fachrichtung der Sozial- und Kulturanthropologie, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt auseinandersetzt. Sie blickt auf eine lange historische Tradition zurück, in der sowohl die Idee der Determination menschlicher Kultur durch Umwelteinflüsse wie die Transformation der Umwelt durch den Menschen eine zentrale Rolle spielen, aber auch die Frage nach der Klassifikation und Konzeption von Umweltbereichen in anderen Kulturen zunehmend relevant wurde.

Im Kontext des Neoevolutionismus der 1940er Jahre war für Leslie A. White das Ausmaß der technologischen Aneignung der Natur [Energie] der wesentliche Faktor, um den „Grad der kulturellen Entwicklung“ einer Gesellschaft berechnen zu können („White’s Law“). In Weiterentwicklung dieses Gedankens formulierte in den 1960er Jahren der u.s.-amerikanische Anthropologe Julian H. Steward seine Methode der „cultural ecology“. Für die daran anknüpfenden Forschenden kulturmaterialistischer Prägung (z. B. Marvin Harris) stellte die Anpassung an natürliche Bedingungen die „Basis“ der Gesellschaft dar und diente damit als Erklärungsmuster für kulturelle Unterschiede und Wandlungsprozesse. Die Übernahme biologischer Konzepte setzte sich in den Untersuchungen von Roy A. Rappaport fort, der Gesellschaft und Kultur in Begriffen des Ökosystems zu beschreiben versuchte. Auch wenn Stuart den Begriff der „cultural ecology“ einführte, bezieht sich die deutsche Bezeichnung „Kulturökologie“ häufig auf den interdisziplinär ausgerichteten Ökosystem-Ansatz.

Der Strukturalismus, v. a. in Europa, und die Ethnoscience in den USA fragten hingegen, trotz aller Unterschiede zwischen den Ansätzen, vielmehr nach den Klassifikationslogiken und Ethnotaxonomien, auf deren Grundlage Umweltphänomene verstanden und konzipiert werden. Ab den 1980er Jahren setzte eine zunehmend kritische Revision der kulturökologisch ausgerichteten Studien ein. Mit der Betrachtung von dem, was die „Erforschten“ selbst unter Kultur, Sozialität, Umwelt und Natur verstehen, wuchs die Kritik an der unreflektierten Übertragung des modernen westlichen Naturverständnisses auf andere Gesellschaften. Die Dichotomie zwischen Natur und Kultur des westlichen Naturverständnisses existiert in vielen nicht-westlichen Konzeptionen entweder gar nicht oder drückt sich entlang anderer Kategorien und Grenzziehungen aus. Demnach versuchen analytische Konzepte des „ontological turn“, wie beispielsweise der „Multinaturalismus", „Perspektivismus“ (Viveiros de Castro) oder der „(Neo-)Animismus“ (Philippe Descola) sowie die Perspektive des „dwelling“ (Ingold), der Beschreibung von emischen Naturkonzeptionen gerecht zu werden.

Während Arbeiten im Zeichen des „ontological turn“ und der kritischen Auseinandersetzung mit der Kultur-Natur-Dichotomie, vor allem der franko- und hispanophoner Provenienz entstammen, und unter der Bezeichnung der „Anthropologie der Natur“ subsummiert werden können, geht der Begriff der „Umweltanthropologie“ von der „environmental anthropology“ auf die u.s.-amerikanische Tradition zurück. Heute kommt es zu gegenseitigen Befruchtungen dieser Ansätze. Innerhalb der Marburger Kultur- und Sozialanthropologie sind die Lehrschwerpunkte und Forschungsprojekte der Umweltanthropologie/Anthropologie der Natur im Spannungsfeld beider Richtungen angesiedelt. Sie blicken sowohl auf die  Konzeptionen und Ontologien lokaler Akteure als auch im Sinne einer politischen Ökologie auf deren Beziehungen zu den „global players“, seien es Institutionen und Organisationen regionaler, nationaler oder internationaler Einflussnahme (z. B. Nationalstaaten, Staatengemeinschaften, multinationale Konzerne, NGOs, Religionsgemeinschaften etc.), oder natürliche Phänomene globalen Ausmaßes (Ausdünnung der Ozonschicht, Desertifikation, Entwaldung, Klimawandel etc.). 

Mitarbeiter*innen

Forschungsprojekte