07.02.2022 Das Institut für Politikwissenschaft trauert um Prof. Dr. Thomas Noetzel

Foto: Thomas Noetzel
„Ich sitze gern, und denke nach“ aus Interview (Ärztezeitung, 17.10.2011)

Das Institut für Politikwissenschaft trauert um Prof. Dr. Thomas Noetzel, der am 3. Februar 2022 im Alter von 64 Jahren viel zu früh verstorben ist. Er war mit der Philipps-Universität Marburg und dem Institut für Politikwissenschaft eng verbunden.

Zu den letzten Veröffentlichungen von Prof. Thomas Noetzel

Seit Juni 2002 hatte er die ordentliche Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Philipps-Universität Marburg inne. 1977 nahm er sein Studium am Marburger Institut für Politikwissenschaft auf und promovierte ebendort 1989 mit einer Arbeit mit dem Titel „Die Faszination des Verrats. Eine Studie zur Dekadenz im Ost-West-Konflikt“. Von 1986 bis 1997 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und wissenschaftlicher Assistent am Institut. 1998 habilitierte er sich mit einer Schrift zur "Authentizität als politisches Problem. Ein Beitrag zur Theoriegeschichte der Legitimation politischer Herrschaft". In den Jahren 1998 bis 2002 war er Hochschuldozent für Politische Theorie der Gegenwart und Vergleich Politischer Systeme in Marburg.

Trotz seiner schweren Behinderung brachte er sich bis zuletzt mit unermüdlichem Engagement am Institut und Fachbereich ein. Als geschäftsführender Direktor leitete er viele Jahre das Institut. Auch als Dekan und Prodekan diente er dem Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften und Philosophie.

Thomas Noetzel war ein wissenschaftlich ausgesprochen vielseitig interessierter Mensch. Als Leiter des Portals Ideengeschichte hat er ab 2010 eine interdisziplinäre Plattform entwickelt, auf der die Kunstgeschichte, Kulturwissenschaft, Neuere Geschichte und Religionswissenschaft ebenso vertreten sind wie die Medienwissenschaft, Soziologie und Philosophie. In seiner wissenschaftlichen Arbeit bewegte ihn die Frage, wie die Legitimation politischer Herrschaft und von Ordnungsvorstellungen hergestellt werden kann, und wie diese Prozesse aus Sicht der politischen Theorie, etwa der Systemtheorie, eingeordnet und ideengeschichtlich verankert werden können. In den letzten Jahren hat er sich besonders intensiv mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und politischer Religion beschäftigt. Seine Bereitschaft, politikwissenschaftliche Themen auf originelle Weise mit theoretischen Ansätzen und Methoden der Ideengeschichte anzugehen, inspirierte Studierende, Mitarbeiter und Fachkolleg*innen.

Er liebte den wissenschaftlichen und auch den politischen Disput. Als argumentationsstarker und wortgewaltiger Gesprächspartner begegnete er seinem Gegenüber immer mit Respekt. Was er nicht ertrug, war Dogmatismus. Das Institut verliert mit Thomas Noetzel einen äußerst kreativen und eigenständigen Kopf, einen warmherzigen Menschen mit feinem Humor.

Die Lehre war für den Hochschullehrer Thomas Noetzel ein Kernanliegen seiner Tätigkeit. Die Arbeit mit den Studierenden bereitete ihm Freude, und die Studierenden mochten seine – oft humorvoll – vorgetragenen Vorlesungen. Die Lehre war für ihn deshalb so wichtig, weil er der politischen Bildung eine existenzielle Bedeutung für die Demokratie zuschrieb.

Thomas Noetzel war ein politischer Politikwissenschaftler, der sich in der SPD engagierte, seit 2015 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Stadtallendorf war und nach der Kommunalwahl 2021 ehrenamtlich in den Magistrat wechselte. Durch seine Erfahrungen konnte er Studierenden vermitteln, dass „Theorie und Praxis“ in der Politik nicht immer deckungsgleich sind und wieso dies der Fall ist.

Wir verlieren einen hochgeschätzten Kollegen, Vorgesetzten und Lehrenden. Wir denken an seine Frau, seine Freundinnen und Freunde, seine engen Weggefährten in der Nachbarschaft in Stadtallendorf, in der Politik und Wissenschaft.

Er wird uns fehlen.