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Die erste in Marburg promovierte Mathematikerin: Jessie Forbes Cameron (1883-1968)

Jessie Forbes Cameron wurde am 8. Januar 1883 in Stanley, Schottland, als eines von acht Kindern von James Cameron und Jessie Forbes geboren. Ihr Vater war Schuldirektor einer Dorfschule in der schottischen Grafschaft Perthshire. Sie absolvierte die Perth Academy, studierte an der Universität Edinburgh Mathematik und schloss dieses Studium 1905 mit dem Magister (M.A.) ab. Unmittelbar im Anschluss ging Cameron ans Newnham College in Cambridge, wo sie 1908 als uniweit zehntbeste ihres Jahrgangs (10. Wrangler) den „Mathematical Tripos“ bestand und zum Bachelor of Arts (B.A.) graduierte.

Newnham College, Cambridge: Graduierung 1908 (3. & 4. Jahr) Jessie Forbes Cameron: 2. Reihe von hinten als 4. von rechts.

Im Sommersemester 1909 und Wintersemester 1909/10 studierte Cameron an der Universität Göttingen. Hier hörte sie insbesondere Vorlesungen bei Felix Bernstein, David Hilbert, Edmund Landau, Karl Schwarzschild und Woldemar Voigt. Zum Sommersemester 1910 wechselte Cameron an die Universität Marburg, wo sie drei Semester unter anderem Vorlesungen bei Wilhelm Feußner, Ernst Hellinger, Kurt Hensel, Paul Natorp, Franz Richarz und Franz Arthur Schulze belegte. Während ihrer Zeit in Marburg hat sie unter der Betreuung von Kurt Hensel auch ihre Disseration „Über die Zerlegung einer Primzahl in einem komponierten Körper“ verfasst. Die Arbeit wurde am 20. November 1911 von der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Marburg als Dissertation angenommen, mit opus valde laudabile als „sehr lobenswertes Werk“ bewertet und 1912 publiziert.

Zur selben Zeit wie Jessie Forbes Cameron weilte offenbar die mit ihr befreundete britische Autorin Francesca M. Wilson (1888-1981) in Marburg. Beide hatten sich bereits am Newnham College kennengelernt und in einem von Wilson verfassten Nachruf auf Cameron heißt es:

„In 1912 she took her doctorate in Mathematics in Marburg, where again we were together, this time with Mary Rees, also a Newnhamite and until her death one of Jessie's closest friends.“1
Nach ihrer Promotion war Cameron von 1912 bis 1913 als „Assistant Lecturer“ wieder am Newnham College in Cambridge tätig. Im August 1912 gehörte sie zu den 30 britischen Mathematikerinnen, die am Fünften Internationalen Mathematikerkongress (ICM) teilnahmen, der in Cambridge stattfand. Dieser Congress ist als

„landmark for the participation of women“2
in die Geschichte des ICM eingegangen. Neben der bis dahin unerreicht hohen Teilnehmerzahl von Mathematikerinnen wurde auf diesem Kongress der erste Sektionsvortrag einer Mathematikerin gehalten. Die Britin Hilda Phoebe Hudson (1881-1965) sprach über „Binodes and Nodal Curves“.


Am 28. September 1912 heiratete Cameron den Juristen Edward Vincent Thompson und ging bald darauf mit ihm nach London, wo er am „Treasury“, dem britischen Finanz- und Wirtschaftsministerium tätig war. Aus der Ehe gingen eine Tochter und zwei Söhne hervor. Während beide Söhne am King's College in Cambridge studierten, besuchte die Tochter Margaret Philothea Thompson ebenfalls das Newnham College, dem ihre Mutter von 1912 bis 1927 als „Associate“ weiter verbunden war. Während des ersten Weltkriegs zog sich die Familie nach Berkhamsted zurück, wo Cameron begann, sich im „National Council of Women“ zu engagieren. Nach einigen späteren Jahren, die sie nach der Pensionierung ihres Mannes noch in Cambridge verbrachte, zogen beide nach Southwold, wo Jessie Forbes Cameron am 27. März 1968 verstarb.

Camerons ältester Bruder, der 1873 geborene John Forbes Cameron war ebenfalls Mathematiker und von 1928 bis 1948 Master am Gonville and Caius College in Cambridge sowie von 1933 bis 1935 Vizekanzler der Universität Cambridge.

Einzelnachweise

[1] Newnham College Roll Letter, Cambridge 1969, Seite 64.
[2] Guillermo P. Curbera: Mathematicians of the World, Unite! Wellesley 2009, Seite 52.

Quellen

  1. Cameron, Jessie Forbes. In: Newnham College Register, Vol. 1, 1905, Seiten 184-185.
  2. Francesca M. Wilson: Jessie Forbes Thompson (née Cameron), 1883-1968 (Newnham 1905-09 and 1912-13). In: Newnham College Roll Letter, Cambridge 1969, Seiten 63-64.
  3. Jessie Forbes Cameron: Über die Zerlegung einer Primzahl in einem komponierten Körper. Marburg 1912, Lebenslauf Seite 39.
  4. Renate Tobies (Hrsg.): »Aller Männerkultur zum Trotz« Frauen in Mathematik und Naturwissenschaften. Frankfurt am Main/New York 1997, Seite 137, Fußnote 19.
  5. Teilnehmerverzeichnis des ICM 1912. In: Proceedings of the Fifth International Congress of Mathematicians. Vol. 1. Cambridge 1913, Seite 13.
  6. Hilda Phoebe Hudson: On Binodes and Nodal Curves. In: Proceedings of the Fifth International Congress of Mathematicians. Vol. 2. Cambridge 1913, Seiten 118-121.

Danksagung/Acknowledgment

I am highly grateful to Anne Thomson, Newnham College Archivist, for providing valuable resources as well as for
granting permission to include this material.

Katharina Habermann, Göttingen