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Gekränkte Freiheit

Vortrag von Oliver Nachtwey im Rahmen der Vortragsreihe "Konflikte in Gegenwart und Zukunft"

Veranstaltungsdaten

10. Juni 2024 18:30
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Historischer Ratshaussaal am Markt, Marburg

Ein freies Individuum zu sein – das ist das Versprechen moderner Gesellschaften. Und ihr Fluch - heute darf man nicht mehr individuell sein, man muss es sein. Wir müssen uns selbstverwirklichen und beständig optimieren. Die Gegenwartsgesellschaft erlaubt zwar tatsächlich einen bisher nicht gekannten Grad an Selbstbestimmung. Aber die Erwartungen an die Selbstverwirklichung werden dennoch immer wieder enttäuscht. Denn häufig ist die Einsicht verloren gegangen, dass Freiheit und Individualität sozial bedingt sind. Sie sind gesellschaftlich abhängig. Abhängig von Arbeitsmärkten, Bildungsinstitutionen, Infrastrukturen uvm. Wenn diese Abhängigkeiten vergessen oder sogar geleugnet werden, entsteht zuweilen eine radikalisierte Vorstellung einer verdinglichten Freiheit. Freiheit ist in diesem Verständnis keine soziale Beziehung, sondern ein Besitzstand. Die verdinglichte Freiheit verneint vehement, sich in sozialen Beziehungen mit anderen abgleichen oder gar einschränken wollen. In enger Beziehung zur verdinglichten Freiheit steht auch der libertäre Autoritarismus. Auch hier werden soziale Abhängigkeiten und Normen abgewehrt. Anders als der autoritäre Charakter, wie er von Theodor W. Adorno u.a. analysiert werden, ordnet sich dieser jedoch keinen Führungsfiguren oder starren Konventionen unter. Es ist eine demonstrative Beziehungslosigkeit, die feindselig und abwertend allen gegenübersteht, die ihre absolute Freiheit bedrohen, reagieren mit Abwertung, Ressentiment, Destruktivität und Machtdenken.

Foto: Privat

Prof. Dr. Oliver Nachtwey

Professor für Soziologie an der Universität Basel. Studium an der Universität Hamburg in Volkswirtschaftslehre. Promotion 2008 an der Universität Göttingen mit einer Arbeit in politischer Soziologie. Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Jena, Trier und Darmstadt. Fellow am Hamburger Institut für Sozialforschung, dem Kolleg Postwachstum in Jena sowie am Institut für Sozialforschung Frankfurt.

Forschung zum Wandel der Arbeit und der gesellschaftlichen Modernisierung, Individualisierung und Sozialstruktur. Beschäftigung mit dem Wandel politischer Repräsentation, Protesten und sozialen Bewegungen. Jüngste Forschung mit Fokus auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung.

Buch „Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne“ erhielt mehrere Preise. Monographie „Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus“ (zusammen mit Carolin Amlinger) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Texte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und erscheinen in international renommierten Fachzeitschriften und Periodika. Über Forschungen wurde u.a. in der NZZ, im Guardian, SPIEGEL, El Pais, Le Monde, Profil wie auch in der BBC berichtet.

 

Seit über zwanzig Jahren organisiert das Zentrum für Konfliktforschung der Philipps Universität Marburg die Vortragsreihe „Konflikte in Gegend und Zukunft“. Die Vorträge behandeln Themen wie Krieg und Frieden, Gewalt und Rassismus, soziale Bewegungen und Klimakrise oder Ungleichheit und Armut. In diesem Wintersemester geht es wieder los.

Die Vortragsreihe richtet sich an die Marburger Öffentlichkeit. Aktuelle und auch für Marburg relevante Themen stehen im Vordergrund. Das Zentrum für Konfliktforschung und die Universitätsstadt Marburg haben dafür eine Zusammenarbeit vereinbart. Das Programm in diesem Sommersemester 2024 wurde von Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel organisiert.

Das Thema im Sommersemester ist Freiheit: Das Wissenschaftsjahr Freiheit ist eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Es wurde ins Leben gerufen, um die Bedeutung von Freiheit in verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten zu erforschen und zu betonen. Im Mittelpunkt stehen dabei Themen wie Meinungsfreiheit, wissenschaftliche Freiheit, historische Perspektiven auf Freiheit und eingeschränkte Freiheit wie durch Gewalt, Migrationsregime oder gesellschaftliche Zwänge. Durch Veranstaltungen sollen Bürgerinnen und Bürger für wissenschaftliche Fragestellungen sensibilisiert und zum Dialog über Freiheit in der Wissenschaft angeregt werden. Das Wissenschaftsjahr Freiheit zielt darauf ab, das Verständnis für die Bedeutung von Freiheit in der Forschung und Gesellschaft zu vertiefen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu fördern.

Referierende

Prof. Dr. Oliver Nachtwey

Veranstalter

Zentrum für Konfliktforschung und Universitätsstadt Marburg im Rahmen des "Marburger Stadtgesprächs"

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