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Das Sommersemester, das nicht stattfand

Archiv der Philipps-Universität

Für das Sommersemester vor 75 Jahren, das am 16. April 1945 beginnen sollte, hatte die Universität Marburg alle Vorbereitungen getroffen und ein Vorlesungsverzeichnis drucken lassen. Zwar waren sehr viele Studierende mittlerweile zum Kriegsdienst eingezogen und es studierten nur noch, um die Chronik der Universität zu zitieren, „Kriegsversehrte, Kriegswitwen und zum Kriegs- und Arbeitsdienst Untaugliche“, aber der Betrieb lief weiter. Vor dem Kriegsbeginn lag die Zahl der Studierenden bei etwa 4.000, im Sommersemester 1944 waren es noch ungefähr 2.700 Studierende, von denen aber mehr als die Hälfte eingezogen war.

UniA MR 312/6 Nr. 95

UniA MR 312/6 Nr. 95

Am 28. März 1945 marschierten amerikanische Truppen in die Stadt Marburg ein, die sie ohne weitere militärische Auseinandersetzungen besetzten. Die Universität wurde, wie alle Schulen und Erziehungsanstalten, geschlossen. Nach der Besichtigung aller Universitätsgebäude beschlagnahmten die Amerikaner einiger von ihnen, die Universitätsverwaltung begann aber bald wieder zu arbeiten. Der Lehrbetrieb, so vermutete man, würde aber wohl mehrere Jahre ruhen.

Aus verschiedenen Gründen – einer war der Bedarf an ausgebildeten Ärzten, ein anderer die geringen Zerstörungen, die Marburg im Krieg davongetragen hatte – sollte aber doch zum Wintersemester 1945/46 eine begrenzte Zahl von Studierenden in der wieder eröffneten Universität zugelassen werden. Marburg wurde zum Vorbild für die Wiedereröffnung anderer Universitäten in der Amerikanischen Zone. Die Vorgaben dafür kamen von dem amerikanischen Universitätsoffizier Edward Hartshorne. Am 4. Juli bildeten die Amerikaner aus in Hinsicht auf ihre Nähe zur NS-Herrschaft überprüften Personen einen Planungsausschuss, der aus den Professoren Ebbinghaus, Bultmann, Reidemeister, Jost, Kretschmer und von Hippel bestand. Letztlich wurden zum Wintersemester 1945/46 2.500 Studierende zugelassen, davon 1.500 Mediziner. Neben der politischen Unbedenklichkeit mussten die Studierenden auch eine Wohnung in Marburg nachweisen.

UniA MR 312/6 Nr. 96

UniA MR 312/6 Nr. 96

Was bei der Vorbereitung des Wintersemesters jedoch nicht gelang, war der Druck eines Vorlesungsverzeichnisses. So gibt es zwar ein Personal- und Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1945, das nicht stattfand, aber keines für das Wintersemester 1945/46, in dem der Lehrbetrieb wiederaufgenommen wurde. Für das Sommersemester 1946 konnte wieder eines gedruckt werden. Der Vergleich der Eingangsseiten der beiden Vorlesungsverzeichnisse zeigt zudem die völlig veränderten Zulassungsbedingungen für Studierende.

Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1945. UniA MR 312/6 Nr. 95, S. 2-3.

Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1945. UniA MR 312/6 Nr. 95, S. 2-3.

Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1946. UniA MR 312/6 Nr. 96, S. 4-5.

Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1946. UniA MR 312/6 Nr. 96, S. 4-5.

Katharina Schaal

 

Zum Weiterlesen: Ingrid Krüger-Bulcke, Universität im Zwielicht. Der Zustand der Universität Marburg und ihre Erneuerungsbemühungen unter amerikanischem Einfluß 1945/46, in: Kontinuität und Neuanfang in der Hochschulmedizin nach 1945, hg. von Gerhard Aumüller, Hans Lauer und Helmut Remschmidt, Marburg 1997, S. 13-36 (Zitat nach der Chronik: S. 17)