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Christentum im Irak. Reiches Erbe und bedrohte Gegenwart

Prof. Dr. Karl Pinggéra (Marburg)

Das Jahr 2017 hält für religionswissenschaftlich Interessierte eine Vielzahl von Jubiläen bereit: Zu nennen ist hier nicht nur das 500-jährige Jubiläum der Reformation, sondern auch das 90-jährige Bestehen der Religionskundlichen Sammlung und der 100. Geburtstag des Klassikers „Das Heilige“ des Marburger Religionswissenschaftlers Rudolf Otto. Auch unsere beliebte Vortragsreihe „ Religion am Mittwoch“ kann in diesem Jahr auf eine 10-jährige Tradition zurückblicken. Aus diesem Anlass präsentiert sie sich in diesem Semester in neuem Design, aber mit gewohnt spannenden Vorträgen.
Den Anfang machte am 19. April Prof. Dr. Karl Pinggéra aus Marburg. Er referierte über das Thema „Christentum im Irak: Reiches Erbe und bedrohte Gegenwart“. Das Objekt, das die BesucherInnen thematisch in den Vortrag einleitete, stammte diesmal nicht aus der Religionskundlichen Sammlung, sondern wurde von Prof. Pinggéra selbst mitgebracht. Es handelte sich um ein im Irak gedrucktes Buch mit evangelischen Losungen, das auf Sûret, einem von irakischen ChristInnen gesprochenen Dialekt, verfasst wurde.
Der Vortragende verwies auf die lange Tradition des Christentums im Irak, dessen Zukunft aber aufgrund der politischen Lage derzeit fraglich ist. Heutige irakische ChristInnen können auf zahlreiche materielle Zeugnisse dieser jahrhundertelangen Geschichte zurückgreifen. Zu nennen sind beispielsweise das Grab des Gelehrten Gregorius Bar-Hebraeus aus dem 13. Jhd. oder das Kloster Mor Behnam, das allerdings durch die Gräueltaten des IS zerstört wurde. Dies deutet bereits auf die schwierige gegenwärtige Situation der Christen im Irak hin. Aufgrund der unsicheren politischen Lage sank die Zahl der mehrheitlich zur chaldäischen Kirche gehörenden Christen seit den 1980er Jahren beständig. Nach aktuellen Schätzungen beläuft sie sich heute auf nur noch ca. 100.000 Personen.
Prof. Pinggéra berichtete darüber hinaus auch von den Identifikationskonzepten irakischer Christen, die sich häufig als TrägerInnen des altorientalischen Erbes sehen und darstellen. Dies wurde am Beispiel einer Kirche in der Stadt Ainkawa deutlich, die klare  architektonische Anklänge an einen Zikkurat, den altorientalischen Stufenturm, aufweist. Auch zahlreiche christliche Kulturvereine nutzen eine altorientalische Ikonographie oder beziehen sich durch ihre Benennung auf diese prestigeträchtige Epoche der Geschichte Mesopotamiens. Die Verbindung von irakischem Christentum und altorientalischem Erbe wurde erstmals von europäischen Archäologen hergestellt, die um 1800 die These aufstellten, dass die ChristenInnen der Ninive-Ebene die Nachfahren der alten Assyrer seien. Diese Fremdzuschreibung wurde später von der christlichen Bevölkerung übernommen. Bemerkenswert ist, dass das Christentum dadurch als eine ethnische Dimension erscheint und der Rekurs auf die altorientalischen Wurzeln auch als Selbstlegitimation in aktuellen religionspolitischen Debatten genutzt wird.
Im Anschluss an den Vortrag zeigte Prof. Pinggéra noch einige Impressionen seiner Irakreise, die die Zerstörung durch den IS, aber auch den beginnenden Wiederaufbau des Landes eindrücklich darstellten.

Paulina Rinne und Alisha Meininghaus