14.11.2021 Die dapffere Thaten deß Capitan Schröcken (1610)

Edition der einzigen vollständig überlieferten deutschsprachigen Commedia dell'arte erschienen

Foto: UB Heidelberg
Das 55. und letzte Gespräch - Der prahlerische Capitan Schröck und sein kluger Diener Trappola haben sich viel zu erzählen

Die italienische Theaterform der Commedia dell'arte gehörte in der frühen Neuzeit zu 'den' Trendsettern der kulturellen Elite. Hier wurden "Unterhaltung und Nutzen, Kluges und Derbes, kurzum: das Profane mit der Hochkultur" verknüpft und in eine Inszenierungsweise überführt, die rasch in ganz Europa Anklang fand. Obwohl die entsprechenden Stücke nachgewiesenermaßen auch in Deutschland außerordentlich populär waren, haben sich als Textzeugen jedoch nahezu ausschließlich kleinere Fragmente erhalten. Wenig verwunderlich, handelte es sich doch zumeist um Aufführungs- und nicht um explizite Lesetexte.

Die erfreuliche Ausnahme bildet eine Handschrift, die vor gut zehn Jahren von Prof. Cristina Fossaluzza (Universität Venedig) in der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek (Bad Arolsen) entdeckt wurde. Bei dem darin enthaltenen Text - "Die dapffere Thaten deß Capitan Schröcken" - handelt es sich um eine 1610 entstandene wortgetreue und teilweise sogar erweiterte Übersetzung von "Le bravure del Capitano Spavento" (1607), dem Hauptwerk des italienischen Schriftstellers und prominenten Schauspielers Francesco Andreini. In insgesamt 55 Gesprächen philosophieren und debattieren hier zwei vollkommen unterschiedliche Charaktere über wortwörtlich Gott und die Welt: der ebenso überhebliche wie feige Capitan Schröck vom Höllthal und sein gewitzter, gebildeter Diener Trappola, der die absurden Prahlereien seines Herrn stets meisterhaft zu parieren versteht.

Gemeinsam mit Prof. Cristina Fossaluzza haben Prof. Jürgen Wolf und Robin Kuhn vom Institut für Deutsche Philologie des Mittelalters diese Handschrift nun in einer kritischen Ausgabe ediert. Die Handschrift - vollständig digital abrufbar auf den Seiten der Universitätsbibliothek Heidelberg - wird dabei in einer nahezu unveränderten Form wiedergegeben, denn der anonyme Übersetzer hat eine herausragende Arbeit geleistet, die nur weniger Eingriffe und Korrekturen bedurfte. Die Edition wird zusätzlich ergänzt durch eine ausführliche Einleitung, die den Text in seinen historisch-kulturellen Kontext einordnet, und zwei kritische Apparate, die einerseits Kommentare zu schwierigen Textstellen sowie andererseits Vergleiche mit dem italienischen Original bringen. Zudem liefert Björn Reich einen spannenden Beitrag zu den verschiedenen im Text auftauchenden Spielen, die fast schon so mannigfaltig sind wie die Gespräche selbst.

Quasi nebenbei eröffnet der Text mit seinen zahlreichen unterschiedlichen Gesprächen nicht weniger als eine Enzyklopädie der (nicht nur) griechisch-römischen Mythologie, der Philosophie und der ganzen bekannten Welt einschließlich Amerikas. Dieses von Andreini akribisch gesammelte zeitgenössische Fachwissen wird in einem umfangreichen Glossar-Register zusätzlich erschlossen und für die Leserinnen und Leser verständlich aufbereitet. Dabei entsteht eine detaillierte Momentaufnahme des frühen 17. Jahrhunderts, die mit ihren minutiös platzierten Verweisen auf die verschiedensten Personen und Ereignisse der Weltgeschichte geradezu zum Stöbern, Entdecken und Verknüpfen einlädt.

Für die Zukunft sind daher auch weitere Forschungen rund um den Text, seine Entstehungsgeschichte und seine Vorlage geplant. Dabei soll unter anderem eine Online-Edition des "Capitan Schröcken" unter der fachkundigen Aufsicht der Universitätsbibliothek Heidelberg entstehen, die das Leseerlebnis auf eine neue technische Ebene heben wird, indem Handschrift, Edition und Kommentar parallel miteinander verglichen werden können - gegebenenfalls sogar mit dem Originaltext.

Link zum Buch: https://www.hirzel.de/titel/62267.html

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