20.10.2022 Interdisziplinäres Literaturwissenschaftliches Kolloquium im WS 2022/23: "Interpretation"

Die von Doktorand:innen der Marburger literaturwissenschaftlichen Fächer organisierte Reihe widmet sich im Wintersemester 2022/23 in öffentlichen Vorträgen und einem Post-/Doc-Workshop dem Rahmenthema "Interpretation".

Vorträge

Montag, 16. Januar 2023, 18 Uhr c.t., Wilhelm-Röpke-Str. 6, 03D09
Florian Gödel (Romanistik, Marburg)
Wer hat Angst vor der „interprétation vague“? Überlegungen zur Lektüre der Tageszeitung

Donnerstag, 26. Januar 2023, 18 Uhr c.t., Deutschhausstr. 3, 00/1020
Dr. Eva Marie Noller (Latinistik, Basel)
Parallelomania – Evidenz und Interpretation

Montag, 6. Februar 2023, 18 Uhr c.t., Deutschhausstr. 3, 00/1020
Jens Krumeich (Germanistik, Heidelberg)
Literaturgeschichte und Interpretation um 1945

Workshop

Freitag, 27. Januar 2023, 14-18 Uhr c.t., Deutschhausstr. 3, +1/1020
Interpretationstheorien

Die Philologien verstehen sich als verstehende, deutende, interpretierende Wissenschaften. Längst aber gilt die Interpretation nicht mehr unangefochten als Königsdisziplin der Literaturwissenschaften, wenn sie denn überhaupt noch als adäquate Form des Umgangs mit Texten erscheint. Prominente jüngere Ansätze stellen dem als „secularized theology“ gescholtenen close reading das distant reading großer Korpora entgegen (Moretti), dem tiefschürfenden Vordringen unter die Textoberflächen das surface reading (Best/Marcus), der von Marx, Nietzsche, Freud geleiteten critique die postcritique (Felski), wenn nicht gar das not reading (Hungerford). Zurück also in die Grabenkämpfe des 20. Jahrhunderts, als Susan Sontag „against interpretation“ aufstand, die Dekonstruktion die Verstehensansprüche der Hermeneutik ins Leere laufen ließ, die Medientheorie die „Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften“ in Gang setzte und Präsenzeffekte ‚diesseits der Hermeneutik‘ in den Blick rückten? Zeit, erneut den Treueschwur zu leisten: für oder gegen die Interpretation?

Vielleicht erst einmal: Zeit zu lesen und darüber ins Gespräch zu treten. Denn auch die Texte gegen die Interpretation wollen gedeutet und verstanden sein. In Ergänzung zu den drei Gastvorträgen des Interdisziplinären Literaturwissenschaftlichen Kolloquiums im Wintersemester, die sich medienpoetischen, methodologischen, wissenschaftsgeschichtlichen Aspekten der ‚Interpretation‘ widmen, möchten wir im Workshop danach fragen, was ‚Interpretieren‘ für die Literaturwissenschaften (auch für unsere ganz eigene literaturwissenschaftliche Arbeit) im Augenblick heißt und heißen kann, welche Alternativen zur Interpretation in jüngerer Zeit diskutiert werden, was an ihren Argumenten, ihren Gegenmodellen dran sein könnte – und ob sich interpretierende und interpretationsskeptische Zugänge möglicherweise produktiv miteinander verknüpfen ließen.

Zum Austausch über diese Fragen am Freitag, 27. Januar 2023 möchten wir Literaturwissenschaftler:innen aller Disziplinen herzlich einladen. Wir bitten um eine Anmeldung bis zum 13. Januar per Mail an david.brehm(at)uni-marburg.de, gern in Verbindung mit einer kurzen Skizze zur Frage, wie ‘Interpretation’ als Problem in der eigenen Forschung auftritt. Textauszüge zur Vorbereitung werden rechtzeitig bereitgestellt.

Auswahlbibliographie: Albrecht, Andrea / Lutz Danneberg / Olav Krämer / Carlos Spoerhase (Hrsg.): Theorien, Methoden und Praktiken des Interpretierens. Berlin/München/Boston: De Gruyter 2015 | Best, Stephen / Sharon Marcus: Surface Reading: An Introduction. In: Representations 108 (2009), H. 1, S. 1-21 | Durdel, Patrick / Florian Gödel / Christian Lamp / Lena Pfeifer / Annika M. Schadewaldt / Julius Thelen / Zoe Zobrist (Hrsg.): Literaturtheorie nach 2001. Berlin: Matthes & Seitz 2020 | Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation. München: dtv Wissenschaft 2004 | Felski, Rita: The Limits of Critique. Chicago: University of Chicago Press 2015 | Hempfer, Klaus W.: Literaturwissenschaft – Grundlagen einer systematischen Theorie. Stuttgart: Metzler 2018 | Hörisch, Jochen: Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988 | Hungerford, Amy: On Not Reading. In: The Chronicle of Higher Education, 11. September 2016 | Kablitz, Andreas: Kunst des Möglichen: Theorie der Literatur. Freiburg i. Br. (u.a.): Rombach 2013 | Kurz, Gerhard: Hermeneutische Künste. Die Praxis der Interpretation. Stuttgart: Metzler 2018 | Moretti, Franco: The Slaughterhouse of Literature. In: Modern Language Quarterly 61 (2000), H. 1, S. 207-227

Organisation: Henrike Arnold (Gräzistik), David Brehm (Neuere deutsche Literatur), Christina Fischer (Keltologie), Florian Gödel (Romanistik)




Gefördert durch die Marburg University Research Academy (MARA).