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Indischer Tempelvorhang

Foto: Georg Dörr Signatur: Lp 240

Dieser mit Farben und Silber bemalte Vorhang aus Baumwolle ist eines der prachtvollsten Objekte der Religionskundlichen Sammlung. Er zeigt die Gopīs, Hirtenmädchen aus dem Lande Braj, die mit Krishna tanzen. Dieser ist dabei neunmal vorhanden: Als Avatara („Herabkunft“) des Gottes Vishnu ist es ihm möglich, in mehreren Körpern gleichzeitig zu leben. Textilien wie dieser Wandbehang hängen in Tempeln der vallabhitischen Hindu-Tradition hinter der besonders verehrten Figur Krishnas, um die in Tages- und Jahreszyklen abgehaltenen Rituale in eine Szenerie einzubetten. Vergegenwärtigt werden soll dabei die idealisierte Landschaft Braj südlich von Delhi.

Kreis der Tanzenden: Das Harivaṃśa und andere Texte erzählen davon, wie sich Krishna vervielfältigt, um alle in ihn verliebten Gopīs zu beglücken. Diese Hirtenmädchen stehen für ein religiöses Streben und Leben voller Erfüllung, aber auch voll unerfüllter Sehnsucht und Tränen. Wie im menschlichen Leben ist der Gott gleichzeitig abwesend und präsent. Seine Erscheinung als Mensch ist für ihn, den Absoluten, nur ein Spiel (līlā). Dennoch streben seine Anhänger mit großem Ernst danach, sich dem mensch– und bildgewordenen Gott Krishna zu nähern und dadurch Erlösung zu erlangen. Zu diesem Zweck kultivieren sie ihre Liebe (rati) zu ihm, in dem sie sich etwa in eine seiner Geliebten einfühlen.

Foto: Georg Dörr Signatur: Lp 240
Mittlere Szene: Die Frau in der Mitte ist vermutlich Krishnas Lieblingsgeliebte Rādhā.  Ihre und Krishnas  Hände zeigen eine Geste, bei der sich Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis schließen. Dabei handelt es sich um die chinmudrā: Eine Fingerstellung, die für das Bewusstsein steht.

Obere Szene: Im Hintergrund fahren vier Boote über den Sternenhimmel auf den Mond zu. Als Gallionsfiguren der Boote dienen die Reittiere(vāhana) vier prominenter Hindu-Götter, die dadurch zu identifizieren sind. So sind etwa Indra und seine Gefährtin Vāc an Airāvata zu erkennen, einem Elefanten mit sieben Rüsseln. Das Boot des vierköpfigen Brahmā und  Sarasvatī ist ein Pfau oder eine Gans. Vishnu thront blau und mit Lakshmī auf bzw. im Raubvogel Garūḍa, während Shiva und Pārvatī mit Nandī, dem Stier, den Himmel befahren.

Exponatinformationen

Signatur: Lp 240
Bezeichnung: indischer Tempelvorhang
Material: gewebte Baumwolle
Maße: 218 x 174 cm
Ort: Indien, verm. aus Rajasthan, Westindien
Erwerb: Durch Prof. Dr. Friedrich Heiler 1959 in New Delhi, Antiquitätenladen Mohenjodaro
Literatur: Lange, Gerrit (2017): Ras Lila, ein Spiel der Leidenschaften. Mytologische Überlegungen zu einem indischen Tempelvorhang mit vielen Krishnas, in: Franke, Edith (Hg.): Objekte erzählen Religionsgeschichte(n). Eine religionswissenschaftliche Spurensuche in der Religionskundlichen Sammlung, Veröffentlichungen der Religionskundlichen Sammlung der Philipps-Universität Marburg, Band 9: Marburg, 31 - 49.