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Literatur und Astronomie: Visionen des Extraterrestrischen (1870 - 1970)

Seit Giovanni Schiaparelli 1877 durch die Observation vermeintlicher ›Marskanäle‹ die Idee der Verwandtschaft von Mars und Erde in die Welt setzte, wird der rote Planet in Literatur, Film und populären Serienformaten regelmäßig als ›zweite Erde‹ neu erfunden. In der inzwischen gut 150jährigen Geschichte der Marsvisionen und Marsfiktionen ist er Lebensraum technisch überlegener Spezies (Flammarion, Laßwitz, Wells) wie auch Sozialutopie einer egalitären, oftmals esoterischen Gesellschaft (Tolstoi/Protasanow, Scheerbart, Koehler, Rosny, Burroughs, Le Rouge); entlang der kulturellen Signaturen der Moderne wird er zum post-apokalyptischen Zufluchtsort der Menschheit (Bradbury, Heinlein, Dick) und zum Experimentallabor für Terraforming nach der Klimakatastrophe (Clarke, Asimov, Lovelock/Allaby, Pohl); er dient als Heterotopie einer neuen Sprachästhetik (Robinsons, Banks) und in jüngster Zeit verstärkt als Realisation posthumaner und post-tellurischer Existenz (Klein, Jirgl, Yū Sasuga, Robinson). Das komparatistische Forschungsprojekt, das deutschsprachige mit französischen und angloamerikanischen Imaginationen des Mars verbindet, erschließt die vielfältigen Bilder des roten Planeten zum ersten Mal literatur- und wissensgeschichtlich. Über zentrale erkenntnisleitende Paradigmen der Ähnlichkeit, Bewohnbarkeit und Gestaltbarkeit wird der Mars als epistemisches Objekt der Moderne sichtbar. Zwei historische Schwerpunktsetzungen rahmen die Auseinandersetzungen mit dem auch in medialer Hinsicht heterogenen Material: Der erste Schwerpunkt – ›1870‹ – erschließt die Formationsphase des Mars als gegenwartsbezogenes Laboratorium zwischen 1870 und 1900; der zweite Schwerpunkt – ›1970‹ –untersucht die Codierung des Mars als posthumane und posttellurische Zukunft des späten 20. Jh. bis in die jüngste Gegenwart.