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Literatur und Recht in der Frühen Neuzeit

»Vom Belman of London über die Causes célèbres zum Verbrecher aus verlorener Ehre«

Obgleich einzelne Forschungsbeiträge die Vorstellung, die Kriminalliteratur sei ein Produkt der Moderne, in Frage gestellt haben, fristet die Frühe Neuzeit in der Forschung zu Literatur und Recht nach wie vor ein eklatantes Schattendasein. Diese Leerstelle wird in einem dezidiert komparatistischen Zugriff durch die Erfassung der Verarbeitung von Rechtswissen und Rechtspraktiken in den europäischen Literaturen der Frühen Neuzeit geschlossen. Der fokussierte Untersuchungszeitraum 1570 bis 1770 verdankt sich der Besonderheit der Frühen Neuzeit einerseits als juridische Formationsperiode, die vom mittelalterlichen und römischen Recht herkommend moderne Rechtsvorstellungen vorbereitete, und andererseits als Beginn der literarischen Aufbereitung von Rechtsfällen und Rechtsvorstellungen, in deren Zuge sich im 17. Jh. die Erzählliteratur als wichtigster literarischer Katalysator von Rechtswissen und Rechtspraktiken etabliert.

Hiervon ausgehend bündelt das Projekt vier Erkenntnisinteressen, wenn es (1) nach den Formen und Verfahren der literarischen Aufbereitungen von Rechtswissen einschließlich der Zirkulation von Rechtswissen und Rechtsfällen; (2) nach der Verschränkung von sprachlicher und bildlicher Rechtsdarstellung in unterschiedlichen Medien vom Einblattdruck über Exemplum und Falldarstellung bis zur Erzählung; (3) nach den Produktions- und Rezeptionsbedingungen literarischer Rechtsdarstellungen sowie (4) nach der Entstehung literarischer Rechtsfiguren und ihrer Fortschreibung in die frühe Moderne fragt. Untersucht und größtenteils zum ersten Mal systematisch erfasst werden literarische und paraliterarische Bearbeitungen von Recht in unterschiedlichen Medienformaten, die sich heuristisch in mehrere literarhistorisch stratifizierte Genera unterteilen: Flugblätter und Einblattdrucke (ab 1530); frühe Sammlungen, Schauplatz- bzw. Theatrum-Literatur (ab 1580); Zeitungen (ab 1620); juridisch-literarische Pitavaldarstellungen (ab 1730) bis hin zur moralisch-psychologischen Kriminalerzählung (ab 1770).

Innerhalb der frühneuzeitlichen Forschung zu Literatur und Recht setzt das Projekt auf mehreren Ebenen innovative Impulse: historisch, indem der Zusammenhang von Literatur und Recht anhand von literarischen und paraliterarischen Rechtsdarstellungen erstmals systematisch für die Frühe Neuzeit analysiert wird; medial, indem der vorherrschende Blick auf die Textualität von Recht und Literatur durch die Analyse ihrer Bildlichkeit und der Übergängigkeit von Text und Bild ergänzt wird; materiell, indem vergessene und schwer zugängliche literarische Quellen verzeichnet und erschlossen werden.