20.04.2020 Nachruf auf Prof. Dr. Bodo Guthmüller

Italien mit der Seele suchend

Wir trauern um unseren Emeritus Bodo Guthmüller, der am 2. April 2020 im Alter von 83 Jahren einem Lungenleiden erlag. Mehr als zwanzig Jahre, von 1980 bis 2002, hat er als Ordinarius der Marburger Romanistik auf seine ruhige und besonnene Art die Geschicke unseres Instituts und des Fachbereichs Fremdsprachliche Philologien der Philipps-Universität entscheidend mitbestimmt.

 Die Marburger Universität war von Anfang bis Ende Zentrum und Angelpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Insgesamt lassen sich in seinem akademischen Werdegang drei große Phasen nachvollziehen. Als Student der Altphilologie schulte Bodo Guthmüller sich in der Auseinandersetzung mit lateinischen Klassikern schon früh in der akribischen Textlektüre, die fortan sein Markenzeichen blieb. Seine Abschlussdissertation war 1964 den Metamorphosen Ovids gewidmet, dem „Grundbuch der europäischen Mythologie“, die als thematische Konstante sein Lebenswerk durchzog. Die zweite große Phase seiner akademischen Vita galt vorwiegend der französischen Literatur. Sie deckt sich weitgehend mit seiner Assistentenzeit bei August Buck und fand 1973 ihren Höhepunkt in der Habilitationsschrift über Die Rezeption Mussets im Second Empire. Im Grunde deutete der Stoff von Mussets Lorenzaccio indirekt bereits die nächste Stufe an; denn in der Folge entwickelte sich Bodo Guthmüller zu dem überzeugten und überzeugenden Italianisten und Renaissancespezialisten, als der er uns vornehmlich im Gedächtnis bleiben wird. Prägend war für ihn in dieser Hinsicht vor allem seine Tätigkeit von 1974 bis 1978 als Leiter des Deutschen Studienzentrums in Venedig. In dieser Zeit vollendete er, aus dem Reichtum der italienischen Bibliotheken und Archive schöpfend, seine Monographie über die volkssprachlichen Ovidbearbeitungen: Ovidio Metamorphoseos vulgare (1981), die seither für alle, die sich mit der Allegorese des antiken Mythos in Mittelalter und Neuzeit befassen, ein unverzichtbares Grundlagenwerk darstellt. Auch der 1986 erschienene Sammelband Studien zur antiken Mythologie in der italienischen Renaissance mit Aufsätzen zum Mythenverständnis von Dante und Boccaccio, zum mythologischen Festspiel an den oberitalienischen Höfen oder etwa zum mythologischen Bildprogramm des Manieristen Giulio Romano im Palazzo del Te in Mantua ging weitgehend auf Studien und Anregungen aus den ertragreichen Jahren in Venedig zurück.

 Mit seinem Forschungsschwerpunkt im italienischen Renaissancehumanismus erwies sich Bodo Guthmüller als prädestinierter Nachfolger seines Mentors August Buck, dessen Lehrstuhl am Marburger Seminar er ab 1980 übernahm. In indirekter Buck-Nachfolge stand ab 1994 auch seine Tätigkeit als Leiter des Arbeitskreises für Renaissanceforschung, die mit der Herausgabe der Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen einherging und mit der Betreuung der internationalen Wolfenbütteler Arbeitsgespräche und ihrer Publikation in den Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung verbunden war: Latein und Nationalsprachen in der Renaissance (1998), Renaissancekultur und antike Mythologie (1999 mit Wilhelm Kühlmann),  Deutschland und Italien in ihren wechselseitigen Beziehungen in der Renaissance (2000), Dialog und Gesprächskultur in der Renaissance (2004 mit Wolfgang Müller) und Künstler und Literat (2007 mit Berndt Hamm und Andreas Tönnesmann).

 Allerdings wäre es eine grobe Vereinfachung, Bodo Guthmüller ausschließlich auf die Themen „antike Mythologie“ und „Renaissancehumanismus“ festlegen zu wollen. Er war in der Theaterwelt Goldonis und Gozzis ebenso zu Hause wie im italienischen Neorealismus, was die zahlreichen Aufsätze aus den 80er und 90er Jahren zu Italo Calvino und Beppe Fenoglio bezeugen. Seine persönliche Verflechtung mit der italienischen Nachkriegsliteratur hat einen direkten Niederschlag in Texten der jüngeren piemontesischen Schriftstellergeneration gefunden: in Nuto Revellis Il disperso di Marburg und Marcello Venturis Il nemico ritrovato erscheint Guthmüller als Romanfigur. Marisa Fenoglio verdankt dem „amico Bodo“ nach eigenen Aussagen ihren ersten Antrieb zum Schreiben.

 Aus seiner Liebe zu Italien bezog Bodo Guthmüller auch wichtige Impulse für seine Aufgaben als Hochschullehrer. 1984 initiierte er einen Studenten- und Dozentenaustausch zwischen den Universitäten Marburg und Venedig, für den ihm viele ehemalige Studierende der Italianistik und Kunstgeschichte bis heute dankbar sind. Die regelmäßig von ihm organisierten italienischen Gastvorträge und Autorenlesungen wurden auch von der Marburger Öffentlichkeit mit Interesse wahrgenommen. Selbst als Emeritus war Bodo Guthmüller noch etliche Jahre auf Fachtagungen präsent. In seiner „zweiten Heimat“ Italien blieb er weiterhin ein willkommener Gastdozent (2002 in Florenz, 2005 in Neapel und 2006 in Bologna). Noch 2009 erschien unter dem Titel Mito e metamorfosi nella letteratura italiana eine Blütenlese späterer Arbeiten über Figuren wie Circe, Venus, Orpheus, Herkules, Psyche oder Europa und ihre Deutungen bei Dante, Boccaccio, Boiardo bis hin zum Zeitgenossen Sergio Rendine.

 Bodo Guthmüller war Chevalier des palmes académiques, Mitglied der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und socio der Accademia Raffaello.

 Im Rückblick besticht im Lebenswerk dieses rigorosen, integren Philologen die Synthese von Vielfalt und Homogenität. Seine Forschungsgegenstände bewegen sich zeitlich von der Antike bis zur Gegenwart durch die römische, italienische und französische Literaturgeschichte, bedienen verschiedenste Gattungen und greifen oft über die Fächergrenzen hinaus in die benachbarte Kunstgeschichte, wobei die Zauberworte „Mythos“ und „Italien“ wie ein roter Faden alles durchziehen und verbinden.

                                                                                                                                                                                                                                                             Heidi Marek