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Altorientalistik

Wer den Schwerpunkt Altorientalistik wählt, begibt sich in den Vorderen Orient. Diese Region war für mehr als drei Jahrtausende das geistige und kulturelle Zentrum der Alten Welt und hat bahnbrechende Entdeckungen hervorgebracht, die unser Leben bis heute prägen.

Der Schlüssel zu den Sprachen und Kulturen des Alten Orients ist die Keilschrift. Sie wurde mittels eines Rohrgriffels in Täfelchen aus Ton eingedrückt. Ton ist ein geradezu ideales Schreibmaterial – es ist in unbegrenzter Menge leicht zu gewinnen und praktisch unverwüstlich. Bis jetzt sind etwa 550.000 Tontafeln bekannt, die die Jahrtausende überdauert haben. Der größte Teil dieser Texte liegt allerdings noch unpubliziert in zahlreichen Museen und Privatsammlungen der Welt; archäologische Ausgrabungen bringen zudem jährlich neue Tafeln zum Vorschein, so dass die Zahl immer weiter wächst. Die Keilschrift wurde erst in nachchristlicher Zeit von der aramäischen und griechischen Alphabetschrift endgültig verdrängt und geriet dann in Vergessenheit. Diese Keilschrifttexte stellen das älteste Textkorpus des gesamten Altertums dar. Es ist ungefähr 50 Mal umfangreicher als das Alte Testament, übersteigt selbst die gesamte lateinische Überlieferung der Antike und wird nur noch vom Altgriechischen übertroffen.

Die Keilschrift wurde in den 3500 Jahren von ihrer Erfindung am Ende des 4. Jahrtausends in Sumer im Südirak bis zum Untergang zur Aufzeichnung einer breiten Palette unterschiedlichster Sprachen eingesetzt. Am Anfang steht das isolierte Sumerisch, das mit seiner komplexen synthetischen Verbalstruktur typologisch auffällige Merkmale aufweist. Die wichtigste Sprache ist das semitische Akkadisch (mit den Dialekten Babylonisch und Assyrisch). Auch das indogermanische Hethitisch stellt eine zentrale Domäne der Keilschriftsprachen dar. Im Studium der Altorientalistik sind diese drei Sprachen fest im Lehrprogramm verankert, während seltenere wie Eblaitisch (Syrien), Ugaritisch (Levante), Elamisch und Altpersisch (Iran) oder die altanatolischen Sprachen nur ergänzend angeboten werden.

Altorientalische Keilschrifttexte sind aus allen Bereichen des Lebens erhalten. Neben einer nahezu unüberschaubaren Menge von Wirtschafts-, Rechts- und Verwaltungstexten sowie Briefen aus dem Alltagsleben gibt es unter anderem Mythen und Epen, Hymnen und Gebete, Weisheitstexte und theologische Abhandlungen, Wörterbücher und Grammatiken, Zeichenlisten, Gesetze und Staatsverträge, Königsinschriften und historische Texte, Omina, Rituale und Beschwörungen, medizinische, mathematische, geographische, botanische, geologische, chemische, astrologische und astronomische Texte. Dieser Reichtum an Quellen zeichnet die Altorientalistik unter den altertumswissenschaftlichen Philologien aus und macht sie zu einem Fach von schier unbegrenzter Breite.

Die altorientalischen Kulturen gingen im hellenistischen Orient auf. Sie haben jedoch großen Einfluss auf die griechisch-römische und christlich-jüdische Kultur ausgeübt und dadurch Weltbild, Religionen und Wissenschaften nachhaltig bis in die Gegenwart mitgeprägt. So entspricht unsere Zeitrechnung mit Einheiten von 6, 12, 24, 30, 60 usw. immer noch der alten Einteilung der Sumerer auf der Basis des Mondkalenders, und wir verwenden weiterhin die altorientalischen Bezeichnungen der Sternbilder. Dieses Wissen vermittelt den Zugang zu unseren Wurzeln; das Schlagwort „ex oriente lux“ („aus dem Osten kommt das Licht“) trifft auch auf die kulturellen Errungenschaften des Alten Orients zu.

Die Altorientalistik bietet die Möglichkeit, sich neben rein philologischen Analysen auch mit der inhaltlichen Deutung der vielfältigen, ständig anwachsenden Textgattungen zu befassen. Neben der Freude an fremden Sprachen und Kulturen ist für das Studium deshalb ebenso Interesse an historischen Fragestellungen und Begeisterung für unerschlossene Forschungsbereiche wichtig.

Hier geht es zum Webauftritt der Altorientalistik.