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Schwängerungen - Der Kampf der Kindsmütter um Ehre und Recht

Sexualität und (männliche) Macht bestimmten das Verhältnis zwischen den Geschlechtern in der Vormoderne auf eine heute kaum noch nachvollziehbare Weise. Am eigenen Leib mussten das gerade junge Frauen erfahren, die ledig ein Kind zur Welt brachten. Ehrverlust, soziale Ächtung und Armut konnten sehr leicht die Folge sein. In Universitätsstädten zeigte dieses Problem ein spezifisches Gesicht. Die Studenten wohnten meist in Privatquartieren, d.h. in den Wohnhäusern der Bürger und im engen Kontakt mit deren Familien und Hausangestellten. Zwischen Studenten und Bürgerstöchtern oder Mägden kam es dabei auch zu Liebesbeziehungen, die nicht folgenlos blieben. Nicht selten erreichten die Studenten die Befriedigung ihres sexuellen Begehrens, indem sie den Frauen die Ehe und eine gemeinsame Zukunft versprachen. Leider waren solche Versprechungen häufig nur leere Worte. Nicht jeder war so anständig wie der russische Studiosus Michail Lomonossow, der die ledige Mutter seines Kindes – die Tochter seiner Marburger Hauswirtin – heiratete und im Verständnis der Zeit „ehrlich“ machte. So mancher der Kindserzeuger wollte von seinen Versprechen, seiner Vaterschaft und seiner Verantwortung schon bald nichts mehr wissen. Nun wurde eine besonders perfide Strategie verfolgt. Der Ruf der Frau wurde in Zweifel gezogen, Zeugen wurden aufgeboten, die sich plötzlich zu erinnern meinten, das Frauenzimmer sei in der fraglichen Zeit doch auch mit dem Studenten X oder dem Sergeanten Y sehr innig gewesen. Kurzum, sie sei ein liederlich, lüsternes Weib, das kaum besser als eine feile Dirne, jedem zu Willen gewesen sei. Solche Vorwürfe abzuwehren, war für die Betroffene außerordentlich schwierig und gelang nur selten.

Prozessakte über die Klage Charlotte Stegmanns gegen den Studenten Ullmann wegen Schwängerung. Aufgeschlagen ist hier die Beauftragung des Frankfurter Anwalts Johann Anselm Feuerbach durch Charlotte Stegmann mit Siegeln und Unterschriften. UniA Marburg 305n Nr. 758
Prozessakte über die Klage Charlotte Stegmanns gegen den Studenten Ullmann wegen Schwängerung. Aufgeschlagen ist hier die Beauftragung des Frankfurter Anwalts Johann Anselm Feuerbach durch Charlotte Stegmann mit Siegeln und Unterschriften UniA Marburg 305n Nr. 758

Charlotte Stegmann, Tochter des Mathematikprofessors Johann Gottlieb Stegmann (*1725 †1795), kämpfte deshalb mit allen juristischen Mitteln von 1792 bis 1794 um die Wiederherstellung ihrer Ehre und die Alimentierung ihres unehelichen Kindes. Aber selbst ihr war es nicht möglich gegen den Erzeuger des Kindes, einen Studenten und Sohn eines Rates aus der Marburger Oberschicht, ihr Recht durchzusetzen. Der als Gerichtsstand des Studenten angerufene Rektor der Universität glaubte eher dem die Vaterschaft leugnenden Studenten als der Tochter des Kollegen. Auch das Oberappellationsgericht in Kassel wischte die Revision Charlotte Stegmanns schlankerhand vom Tisch. Der Vater des Studenten zahlte schließlich doch, aber unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, es handele sich nicht um ein Schuldanerkenntnis. Glücklicherweise wurde die Angelegenheit nicht zur sozialen Katastrophe für Charlotte Stegmann. Eine amtliche Ermittlung der Kinder des Professors Stegmann, die 1817 vermutlich in einer Erbschaftssache durchgeführt wurde und ihren Weg in die Stellenakte Stegmanns fand, verrät, dass Henriette Charlotte Sophia Maria Stegmann später einen Beamten namens Küster aus Vilbel in der Wetterau heiratete. Man liest den Vermerk mit Erleichterung.

Abweisung eines Einspruchs des Kandidaten Bachoven gegen das wider ihn ergangene Urteil der Universität durch das Kasseler Oberappellationsgericht imJahr 1775.UniA Marburg 305n Nr. 793
Abweisung eines Einspruchs des Kandidaten Bachoven gegen das wi-der ihn ergangene Urteil der Universität durch das Kasseler Oberappellationsgericht im Jahr 1775. UniA Marburg 305n Nr. 793

Im Jahr 1773 strengte die Tochter des Marburger Pfeifenmachers Johann Heinrich Caesar, Amalie Hedwig, gegen den Kandidaten der Theologie Johann Hermann Christian Bachoven aus Neuwied einen Prozess wegen Schwängerung und Bruch des Eheversprechens an. Bachoven hatte offenbar die Kunst der Homiletik darauf verwandt, Amalie Caesar in üblicher Weise zu beschwatzen, um sich Zugang zum Sanktuarium ihres Leibes zu verschaffen. „Unglücklicherweise“ hatte er bei den Eltern der Kindsmutter ebenfalls den Eindruck erweckt – bis hin zur Paraphierung eines Ehevertrages –, seine Absichten seien der lautersten Art. Vielleicht hatte er phasenweise sogar tatsächlich eine Heirat erwogen, aber Marburg im Rücken und die rheinische Heimat voraus, kam ihm die geschwängerte Pfeifenmacherstochter zunehmend aus dem Sinn. Sie wurde nun gar zum lästigen Mühlstein für den Gottesmann in spe, der wohl die Chance sah, in der Heimat eine Pfarre zu „erheiraten“. Seine Versuche, den guten Leumund der Amalie Caesar zu erschüttern, blieben aber ohne Erfolg. Das Oberappellationsgericht in Kassel wies seine Einsprüche ab und er musste für die Zahlung der Alimente einstehen.

Anschreiben der kurfürstlichen Regierung in Marburg an die Universität vom 28. Februar 1820.UniA Marburg 305n Nr. 837
Anschreiben der kurfürstlichen Regierung in Marburg an die Universität vom 28. Februar 1820. UniA Marburg 305n Nr. 837

Unglücklicher erging es der Magd Gertraud Rommel aus Rauschenberg, die ein uneheliches Kind zur Welt brachte, dessen Vater nach ihrer Angabe der ebenfalls aus Rauschenberg stammende Student Ferdinand Soldan war. Sie war wegen ihrer außerehelichen Schwangerschaft mit Gefängnis bestraft worden.

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