09.04.2024 Böhler & Orendt’s „Memory Movers“
Eine Ausstellung des Neuen Museum Nürnberg in Kollaboration mit dem Institut für Moderne Kunst und über 50 Kulturarchiven, 26. April – 6. Oktober 2024
Eröffnung: 25. April 2024, 19:00 Uhr
Ort: Neues Museum Nürnberg, Klarissenplatz, 90402 Nürnberg
Wozu sammeln wir eigentlich all die Sachen, die sich in Archiven befinden? All die Bilder und Objekte, Handschriften und Dokumente, Geschichten und Gedichte? Und was bedeuten sie für uns 2024, in einer Zeit, in der in vielen Weltgegenden Kriege und totalitäre Strömungen soziale Strukturen aus dem Gleichgewicht bringen und ökologische Krisen sich häufen?
Das Berliner Künstlerduo Böhler & Orendt zeigt in seiner Einzelausstellung „Memory Movers“ im Neuen Museum Nürnberg eine raumgreifende Installation mit über hundert Archivalien aus mehr als 50 Archiven. Mit multimedialen technischen Mitteln und ästhetischen Bezügen auf Videogames, Hollywood-Blockbuster und die griechische Mythologie haben die beiden Künstler eine Art interaktive räumliche Erzählung entwickelt, in der sie die aktuelle Relevanz von Kultur-Archiven reflektieren.
Das Szenario, durch das sich die Besucher:innen dabei bewegen, erinnert an ein Stand-bild aus einem surrealen Film: Vor drei dunklen Tunneleinfahrten schlängeln und stauen sich aktuelle und historische Autos, Fahrräder, Handkarren, Mopeds, Eiswagen und andere Vehikel quer durch den Ausstellungssaal des Neuen Museums. Sie sind schwer beladen mit Kisten, in denen sich Archivobjekte aus unterschiedlichsten Zeiten und Kontexten befinden, die Böhler & Orendt für die Ausstellung ausgewählt haben.
Beim Erkunden dieser Umgebung können sich die Besucher:innen von digitalen Leit-Geistern führen lassen, die in hohen, halbtransparenten Hüten wohnen. Diese im Narrativ der Ausstellung „Daimons“ genannten, speziellen Audio-Guides flüstern den Menschen, die sie begleiten, komische, rührende, poetische und philosophische Gedanken zu den sie umgebenden Dingen ein – ähnlich ihren gleichnamigen mythologischen Vorfahren. Von außen betrachtet werden die Besucher:innen durch diese sprechende Kopfbedeckungen selbst zu Performer:innen, zu aktiven Mitspieler:innen in „Memory Movers“. So sind am Ende sie auch diejenigen, die den Sinn der gesammelten Gegenstände bestimmen, indem sie – angeregt durch die Einflüsterungen der Daimons – beginnen, über die archivierten Dinge und deren historische Hintergründe nachzudenken.
Kultur erscheint in Böhler & Orendts Auswahl von Archivobjekten als ein komplexes Phänomen, das sich allmählich aus einer Vielzahl von teils gegensätzlichen, teils parallel verlaufenden Motivlinien menschlichen Denkens und Handelns entwickelt, und nie im Sinne einer einzigen, sinnstiftenden Bedeutung gelesen werden kann.
So eröffnet „Memory Movers“ spielerisch einen Diskurs über die Bedeutung eines vielfältigen und diversen Archivierens von Kulturgütern: Was haben all diese Objekte mit unserer heutigen Lebenswelt zu tun? Und wie können wir unsere jungen und alten Sammlungen neu betrachten und interpretieren, und dadurch vielleicht auch Unerwartetes lernen?
Wenn die Menschheit 2024 in der Lage ist, den immensen Wert historischer Kulturgüter zu erkennen und sich um deren Bewahrung zu bemühen, warum verändert und gestaltet sie die Welt dann weiterhin so, dass die vollständige Vernichtung dieses kulturellen Erbes zunehmend möglich erscheint?
Durch ihre Auswahl schaffen Böhler & Orendt eine einzigartige simultane Präsenz von äußerst heterogenen Archivalien. So finden sich etwa fotografische Zeugnisse der Anti-Atommüll-Proteste in Gorleben neben bekannten Werken von Hannah Höch, Kurt Schwitters und Marcel Duchamp wieder oder die historische Aufnahme eines Tanzstücks von Sigurd Leeder neben einem Circus Roncalli-Playmobil-Set. So „sprechen“ in dieser Ausstellung die Objekte nicht nur (durch die Daimon-Guides) zu den Besucher:innen, sondern treten auch zeit- und raumübergreifend miteinander in Kommunikation: Sie kommentieren und erschließen sich gewissermaßen gegenseitig durch ihre Verschiedenartigkeit.
Die Ausstellung „Memory Movers“ wird nur im Neuen Museum Nürnberg zu sehen sein. Sie wurde von den Künstlern im Auftrag des Neuen Museums und des Instituts für moderne Kunst entwickelt. Für die Zusammenarbeit haben Böhler & Orendt Institutionen eingeladen, die seit Jahrzehnten in ihren jeweiligen Bereichen eine je eigene, teils hoch spezialisierte Erinnerungskultur pflegen. Aus dem Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg wird das Glasnegativ 33.654 mit einer Ansicht der Kathedrale Notre-Dame in Paris und eine historische Plattenkamera der Firma Globus für Negative bis 18 x 24 cm gezeigt, zudem verschiedene Erschließungslisten und Findmittel.