19.10.2013 Das gesamte Spektrum der Bildenden Kunst im Blick

Pressestelle Philipps-Universität Marburg, 19.Oktober 2013

Zwei große Jubiläen und eine Preisverleihung standen am 19. Oktober an der Philipps-Universität Marburg auf dem Programm. Das Kunstgeschichtliche Institut und das Bildarchiv Foto Marburg feierten in der Aula der Alten Universität ihr 100-jähriges Bestehen. Bei diesem Anlass wurde auch der nun bereits zum dritten Mal vergebene Richard-Hamann-Preis für Kunstgeschichte an den Hamburger Kunsthistoriker Professor Dr. Wolfgang Kemp verliehen.

Der 15. Oktober 1913, an dem der Kunsthistoriker Richard Hamann offiziell seine Arbeit als erster Ordinarius für Kunstgeschichte an der Philipps-Universität Marburg aufnahm, gilt als Geburtsstunde des Kunstgeschichtlichen Instituts sowie des Bildarchivs Foto Marburg. Das Bildarchiv wurde von Hamann unter dem Namen „Photographische Gesellschaft“ gegründet und ist heute das weltweit größte Bildarchiv zur europäischen Kunst. Seit 2009 heißt es offiziell „Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg“.

In ihrer Eröffnungsrede charakterisierte Professorin Dr. Katharina Krause, Präsidentin der Philipps-Universität, den Neubeginn in der Marburger Kunstgeschichte im Gründungsjahr 1913, der von Anfang an insbesondere über die Person Richard Hamanns mit der Fotografie verbunden war. „Hamann schuf mit ungeheurem Tempo die Anfänge zu dem, was ihm und seinen Nachfolgern mit großer Hartnäckigkeit gelang, die ja nur möglich ist, wenn man von seiner Sache vollkommen überzeugt ist, - nämlich zu Foto Marburg“, erklärte die Präsidentin. Anhand einiger Zitate des Philosophen Hans-Georg Gadamer, der bei Hamann ebenfalls Kunstgeschichte studierte, schilderte sie die Mythenbildung um den Kunsthistoriker: Die kühnsten und freiesten Ideen seien im Kreise um Richard Hamann diskutiert worden, den Gadamer als „zutiefst unbürgerlichen Geist“ erlebte. In einer Stadt mit 20.000 Einwohnern und rund 2.300 Studierenden sei er, der weder aus akademischen noch großbürgerlichen Verhältnissen stammte, sicher eine markante Figur gewesen.

Professor Dr. Joachim Herrgen, Dekan des Fachbereichs Germanistik und Kunstwissenschaften, gratulierte den beiden Institutionen

zum Jubiläum: „Das Marburger Kunstgeschichtliche Institut ist neben dem der Goethe-Universität das größte in Hessen; hier hat sich die Verzahnung mit der Praxis, insbesondere im Bereich Museum, die enge, auch personelle Verbundenheit mit Foto Marburg und der interdisziplinäre Ansatz bewährt, so dass man an der Lahn das Fach in voller Bandbreite studieren kann“. Das Bildarchiv verbinde zudem integral anspruchsvolle Forschung und Service für die scientific community.

„Ein Institut funktioniert nur, wenn alle – Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, technisch-administrative Mitglieder, Studierende und die zahllosen studentischen Hilfskräfte begeistert bei der Sache sind“, sagte der Dekan. In diesem Punkt könne er den beiden Hundertjährigen volle körperliche und geistige Frische bescheinigen.

Als „Hülsenfrüchte“ – so der Titel der zum Jubiläum neu aufgelegten Fachschaftszeitschrift des im Ernst-von-Hülsen-Haus residierenden Instituts – würdigte Studierendenvertreterin Josefin Borns den Marburger Kunstgeschichtlernachwuchs: „Wir sind energiereich, bereichern jede Mahlzeit, und unsere Gegenwart kann vitalisierend wirken“. Nach dem Studium gingen die jungen Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen hinaus in die Welt und trügen letzten Endes die Früchte ihrer Ausbildung weit über Marburg hinaus.

Kunstwissenschaft in Marburg: Rückblicke

In seinem Festvortrag „Richard Krautheimer in Marburg (1928-1933). Aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere“ stellte Professor  Dr. Ingo Herklotz, geschäftsführender Direktor des kunstgeschichtlichen Instituts, den jüdischen Studenten und späteren Habilitanden Hamanns vor: Er sei „im Hinblick auf sein wissenschaftliches Gesamtwerk die imposanteste Gestalt, von der die Annalen der Marburger Kunstgeschichte zu berichten weiß“. Der „Manager-Ordinarius“ Hamann bescheinigte seinem Schüler im Habilitationsgutachten „scharfsinnige Denk- und emsige Forschungsarbeit“. Herklotz habe inzwischen den ersten Teil der aufgrund der politischen Zustände der 1930er Jahre unveröffentlicht gebliebenen Geschichte der deutschen Architektur wiederentdeckt. Krautheimers 180 Manuskriptseiten zur Baukunst des Mittelalters skizzierten die Architektur als eine wechselweise von syrisch-östlichen, frühchristlichen, byzantinischen, französischen und italienischen Einflüssen geprägte Entwicklung, erklärte Herklotz. Krautheimer rücke so in die Nähe der „Marburger Schule“, die Richard Hamann und Hermann Deckert vertraten.

Der Direktor des Bildarchivs Foto Marburg, Professor  Dr. Hubert Locher, stellte in seinem Beitrag  „DU, die Kunst und die Fotografie“ ein Beispiel vor, wie Funktion und Struktur eines Archivs Veränderungen unterworfen seien. Bei Foto Marburg lagern seit 1976 unter anderem mehrere tausend fotografische Vorlagen mit Kunstwerken aus Museen und Privatsammlungen, die in der seit 1941 vom Zürcher Verlag Conzett & Huber publizierten Zeitschrift DU im aufwändigen Vierfarbendruck veröffentlicht wurden. „Der praktische Nutzen dieser Bestände für das Marburger Bildarchiv ist heute nur noch bedingt gegeben, doch sind sie von hohem historischen und symbolischen Wert“, sagte Locher. Zwar lieferten diese Altbestände immer noch Vorlagen zur Herstellung von Bildern für die Wissenschaft, doch sei das Bildarchiv heute auch insbesondere bestrebt, solche Bestände auch als Sammlungen von Objekten im eigenen Recht zu behandeln. „Fotografien im Bildarchiv werden nun als Materialien mit eigenem Erinnerungswert aufbewahrt und erforscht“, führte Locher aus.

Im Zentrum der fotografischen Sammlung des Bildarchivs stehen Kunst und Architektur aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und dem übrigen Europa. In den Beständen, die rund 2 Millionen historische und aktuelle Fotografien umfassen, befinden sich aber auch seltene Aufnahmen aus Ägypten und Armenien. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der historischen Erforschung von Geschichte, Praxis und Theorie der Überlieferung von visuellem Kulturgut.

„Richard-Hamann-Preisträger Wolfgang Kemp ist mehr als einer“

Ein Höhepunkt der Jubiläumsfeier war die Verleihung des Richard Hamann-Preises 2013 an Professor Dr. Wolfgang Kemp. Mit ihm würdige die Philipps-Universität einen herausragenden Kunsthistoriker, der die methodischen und inhaltlichen Diskussionen der Disziplin Kunstgeschichte international entscheidend mit geprägt habe, begründete die Jury ihre Wahl. Kemp habe das gesamte Spektrum der Bildmedien im Blick – von der hochmittelalterlichen Glasmalerei bis zur Fotografie und dem digitalen Bild. Zudem seien mit seinem Namen die Ansätze von Rezeptionsästhetik und Betrachterforschung, die historische Erforschung der theoretischen Grundlagen der Fotografie, die Analyse der Möglichkeiten und Mittel eigenständiger Bilderzählung und des architektonischen Raums als Bildraum verbunden. Katharina Krause betonte daher den „Aha-Effekt“, den Kemps Bücher auf sie während ihrer Münchner Doktorandenzeit gehabt hätten. „Ein echter Augenöffner“ seien sie gewesen.

 „Von welchem Kemp soll hier eigentlich die Rede sein?“ fragte dann auch sinnigerweise Professor Dr. Felix Thürlemann zu Beginn seiner Laudatio – und antwortete gleich selbst: „Wolfgang Kemp ist mehr als einer. Er ist Kunsthistoriker, dies ganz unbestritten. Er ist aber auch Essayist und Schriftsteller, Kolumnist und begabter Polemiker, wenn es sein muss.“ Es sei nicht nur die schiere Anzahl der Publikationen, die beeindrucke, wenn man Kemps Schaffen betrachte, sondern vor allem auch die thematische Vielfalt und ihr methodisches und inhaltliches Gewicht, sagte Thürlemann und charakterisierte den Geehrten als einen „Kunsthistoriker alter Schule mit einer beeindruckenden historischen Bildung, der zugleich einer der ganz großen Erneuerer des Fachs in Deutschland – und darüber hinaus ist“. Er sei ein akademischer Lehrer, der seinen Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten eher vorlebe als vorschreibe. Daneben habe der „scharfzüngige Kolumnist“ dem Kunstbetrieb, aber auch seinem eigenen Fach und dem Wissenschaftsbetrieb mit seinen eleganten, ironisch gebrochenen Texten regelmäßig den Spiegel vorgehalten.

„Ohne Marburg hätte die Jury nicht so viel Preiswürdiges an mir gefunden“, leitete Wolfgang Kemp seine Rede ein. Das Ernst-von-Hülsen-Haus habe benachbarte Fächer in offener Raumordnung verbunden und so eine Art Werkgemeinschaft geschaffen, wie sie ihm vorher und nachher nie wieder begegnet sei.

Das in der Laudatio erwähnte essayistische Talent spürten auch die Zuhörer, als Kemp sie in seiner Festrede gemeinsam mit Alfred Döblin „weiter stromabwärts“ hinter Koblenz spazieren ließ um sich dort einem „großen Ereignis“ zu nähern, diesem, laut Kurt Tucholsky, „Faustschlag aus Stein“: dem Monument Kaiser Wilhelms I.

„Wie man Denkmäler ersetzt“, überschrieb Kemp seine Rede, in der er die Erinnerungskultur der Weimarer Republik beleuchtete: Das „Erbgut, das die Weimarer Zeit mit den Denkmälern der Epoche vor 1914 übernommen hatte“, sei „Ablehnung, Aversion, fast schockhaftes Zurückschrecken einerseits und die Frage nach dem geistigen Erbe, dem Fortleben andererseits“. Daneben habe es in der Weimarer Zeit aber auch pragmatische Akte der Denkmalkritik und des Denkmalsturzes gegeben, erläuterte Kemp: Der Selbstabbau durch Korrosionsprozesse, der Abbau durch Anbau von Gegendenkmälern, der Abbau und Ersatz und schließlich der Abbau ohne Ersatz. Kemp schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass gerade Monumente, die für die Ewigkeit geschaffen würden, in der hier behandelten Zeit zu den kurzfristigsten Kunstschöpfungen überhaupt gehören.

Die Uni-Präsidentin bedankte sich bei den Marburger Kaufleuten Peter und Karin Ahrens, die als Stifter des Richard-Hamann-Preises seit Jahren der Universität in selbstloser Freundschaft verbunden seien. Peter Ahrens erklärte, dass der Preis Ausdruck des Dankes dafür sei, dass der jeweilige Geehrte die Welt durch seine Gedanken, seine Forschung und auch durch seine Persönlichkeit bereichere.

Weitere Informationen:

Der Richard Hamann-Preis für Kunstgeschichte ist dem Gedächtnis an den bedeutenden Kunsthistoriker und Begründer des Bildarchivs Foto Marburg geschuldet und wird in Würdigung seines wissenschaftlichen Gesamtwerkes und seines Wirkens an der Philipps-Universität vergeben: Richard Hamann (1879-1961) lehrte Kunstgeschichte in Marburg von 1913 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1949 und gründete das Bildarchiv Foto Marburg. Das heutige, von der Philipps-Universität Marburg getragene Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, das mit derzeit 1,7 Millionen Bildern eines der größten Bildarchive zur europäischen Kunst und Architektur ist, agiert international als Forschungs- und Serviceeinrichtung

Der Preis würdigt hervorragende wissenschaftliche Leistungen in der Kunstgeschichte oder in der Förderung der kunstgeschichtlichen Forschung. Die Auszeichnung wurde im Jahr 2009 erstmals und seitdem alle zwei Jahre verliehen, sie besteht aus einer Urkunde und einem Geldbetrag von 5.000  Euro. Die Stifter des Richard-Hamann-Preises, die Marburger Kaufleute Peter und Karin Ahrens, engagieren sich seit Jahren aktiv als Freunde und Förderer der Philipps-Universität im Universitätsbund und unterstützen ausgewählte kulturelle Veranstaltungen.

Der diesjährige Preisträger Wolfgang Kemp wurde nach dem Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik in Tübingen promoviert. Nach Stationen in Bonn und Kassel war er von 1983 an Professor für Kunstgeschichte an der Philipps-Universität und folgte 1995 einem Ruf an die Universität Hamburg, wo er bis heute lehrt. Derzeit ist er Gastprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg, zuvor hatte er bereits Gastprofessuren an der Harvard University, der UCLA, am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Getty Research Center in Los Angeles. Neben seinem wissenschaftlichen Werk hat Kemp zahlreiche Artikel für das Feuilleton sowie Essays und belletristische Arbeiten vorgelegt. Zuletzt erschien 2010 das Buch „Foreign affairs. Die Abenteuer einiger Engländer in Deutschland 1900–1947“ – ein "kulturhistorisches Glanzstück" konstatierte die ZEIT.

Der Veranstaltungsort hat einen besonderen Bezug zu den Feierlichkeiten, hatte Richard Hamann doch sein Büro zu Beginn seiner Marburger Tätigkeit in der heutigen Alten Universität. Erst seit 1928 standen dem Kunstgeschichtlichen Seminar und der Photographischen Abteilung dann großzügige Räumlichkeiten im Kunstinstitut, dem heutigen Ernst-von-Hülsen-Haus zur Verfügung. Das Gebäude wurde 1927 als Jubiläumsbau zum 400-jährigen Bestehen der Universität eingeweiht. Dort haben beide Institutionen, wie auch das Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, heute noch ihren Sitz. 

 Weiterführende Links:

Kontakt:


Direktor Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg
Tel.: 06421-28-23604


Kunstgeschichtliches Institut und Bildarchiv Foto Marburg
Tel.: 06421-28-24324


Kunstgeschichtliches Institut
Tel.: 06421-28-26966

Für die Preisverleihung:

Pressestelle der Philipps-Universität