Ringvorlesung 2018
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12.04. Inga Nüthen (Politikwissenschaft) Jenseits der Heteronormativität: Queere Theorie und Bewegung Der Begriff „Queer“ begegnet uns im deutschsprachigen Raum seit Ende der 1990er Jahre sowohl in aktivistischen, wie auch in akademischen Kontexten. Doch was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem zuweilen glitzernden Schlagwort? In meinem Vortrag zeichne ich den historisch-politischen Hintergrund und die zentralen politischen Anliegen und Thesen von Queer Theory und Politics nach. Zudem widme ich mich deren deutschsprachiger Rezeption. Dabei gebe ich einen ersten Einblick in interne Auseinandersetzung und aktuelle Diskussionsstränge. Schließlich diskutiere ich einige Implikationen queer-theoretischer Perspektiven für Feminismus und Geschlechterforschung.
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03.05. Tamara-Louise Zeyen (Erziehungswissenschaft) Alter(n) queer zur Heteronormativität „Weiß Gott, ich bin alt. Und weiß Gott, ich bin schwul.“ (Peter Sibley, 71 Jahre)[1] Die Sichtbarkeit von LGBTQ-Personen ist in den letzten Jahren angestiegen. Dies gilt jedoch meist nur für Personen bis zum mittleren Erwachsenenalter. Folglich wird im Allgemeinen nicht beachtet und betrachtet, dass LGBTQ-Personen altern, wie sie altern und wie Alter(n) dabei erlebt wird. Die betreffenden Personen werden dabei durch eine intersektionale Unsichtbarkeit aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe der älteren Menschen sowie zu der Gruppe von Personen aus sexuellen Minderheiten oft nicht wahrgenommen. Derzeit gibt es jedoch Schätzungen zufolge etwa 1,8 Millionen ältere LGBTQ-Personen in Deutschland. Der Vortrag soll aus die Lebenswelten, Erfahrungen und Eindrücke von älteren LGBTQ-Personen in den Fokus rücken. Denn zweifelsohne haben diese „atemberaubende, historisch einmalige Wandlungsprozesse durchlebt: von der extremen Stigmatisierung als Außenseiter[*in] über den erfolgreichen Auftritt der Frauen- und Schwulenbewegungen hin zu einem nahezu mehrheitsverträglichen Dasein.“ (Lautmann 2016: S.15)[2]. So wird der Vortrag sowohl historische Elemente (z.B. den Paragraphen 175), als auch aktuelle Debatten in Bezug auf LGBTQ und Alter(n) aufzeigen sowie auf diversen Ebenen für eine Sensibilisierung in der Thematik plädieren und besondere Aspekte und Bedürfnisse von alternden LGBTQ-Personen vorstellen. [1] Laage, P. (2013): Warum ein Coming-Out mit 60 einsam machen kann. Panorama. Verfügbar unter: https://www.welt.de/vermischtes/article117053941/Warum-ein-Coming-out-mit-60-einsam-machen-kann.html [letzter Zugriff: 21.11.2017] [2] Lautmann, R. (2016): Die soziokulturelle Lebensqualität von Lesben und Schwulen im Alter. In: Lottmann et al. (2016): S.15-50.
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17.05. GENDER LECTURE: Jack Halberstam: "Trans*: Visual Representations of the Transgender Body" [Deutsche Beschreibung unten:] Jack Halberstam is professor of English at Columbia University’s Department of English and Comparative Literature and Institute for Research on Women, Gender, and Sexuality. His work has shaped Queer Theory and Queer Studies since the 1990s. Halberstam’s focus has been on critiquing the binary gender structure, which he illustrated, for instance, with the help of the “bathroom problem.” He has also worked on the exploration of failure as a critical response to the logic of capitalism and heteronormativity, and on readings of popular culture, ranging from James Bond movies to Gothic horror to Lady Gaga to animated films. Halberstam has published widely; his most well-known monographs are Female Masculinity (1998), In a Queer Time and Place: Transgender Bodies, Subcultural Lives (2005), The Queer Art of Failure (2011), and Gaga Feminism (2012). His latest book, Trans*: A Quick and Quirky Account of Gender Variability (2018), addresses the categorization and classification of trans* bodies from a historical perspective, the making and unmaking of trans* bodies, trans* kinship, the relationship of feminisms to trans* activism, and representations of trans* bodies. The lecture will be given in English. [Deutsch:] Jack Halberstam hat seit den 1990er Jahren die Entwicklung der Queer Theory maßgeblich mitgestaltet und anhand popkultureller Beispiele dargestellt. Zu seinen bekanntesten Werken gehört Female Masculinity (1998), The Queer Art of Failure (2011) und Gaga Feminism (2012). Im Januar 2018 erscheint sein neuestes Buch mit dem Titel Trans*: A Quick and Quirky Account of Gender Variability. Halberstams Gender Lecture ist eingebettet in die interdisziplinäre Ringvorlesung „Queer_Verbindungen: Gender Studies jenseits der binären Geschlechterordnung“.
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24.05. Joris A Gregor (Soziologie, Jena) re_constructing intersex. Intergeschlechtliche Körper zwischen Enteignung und Emanzipation. Auch aktuell (und auch trotz der Änderung des §22 PStG im November 2012) setzt sich die Deutungshoheit der Medizin über die Geschlechtszuweisung bei intergeschlechtlichen Menschen fort. Wie eine neuere Studie von Ulrike Klöppel zur Häufigkeit von Genitaloperationen an Kindern zeigt, ist der vorherrschende Duktus des Diskurses weiterhin einer der operativen und/oder medikamentösen Zurichtung der Körper baldmöglichst nach Diagnosestellung. Ob den betreffenden Personen die Option einer Nicht-Behandlung nahegelegt wird, hängt von den behandelnden Mediziner_innen ab. Das Geschlecht-Werden (embodiment) der allermeisten intergeschlechtlichen Menschen ist damit bislang maßgeblich beeinflusst durch Operationen, Medikamentengabe und die Erfahrungen mit medizinischen Behandlungsmethoden (bildgebenden Verfahren, Untersuchungen etc.), die entlang der Norm der Zweigeschlechtlichkeit (immer auch zu verstehen als Zweikörpergeschlechtlichkeit) den intergeschlechtlichen Körper als krisenhaft inszenieren und dessen Zustand vor der Diagnose (und Zurichtung) als krank und defizitär (weil ‚ungeschlechtlich‘) markieren. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich eine Biographieforschung mit intergeschlechtlichen Menschen durchgeführt, in der ich der Frage nachgegangen bin, wie Intergeschlechtlichkeit als Selbstverständnis entwickelt werden kann, wenn die Biographie geprägt ist von der Veranderung und Unsichtbarmachung dieser Identifikationsoption. Der Vortrag stellt destruktive wie konstruktive Momente der Biographien heraus und stellt Strategien des Unterlaufens der Zweigeschlechtlichkeits-Norm vor. Abschließend möchte ich das theoretische Potential intergeschlechtlicher Erzählungen für die Reflexion der Kategorie Geschlecht zur Diskussion stellen.
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07.06. Lisa Wanner (Psychologie, Wien) Ver-rückte Psychologien. Queer-feministische Perspektiven in Psychologie und Psychiatrie Der Vortrag will zunächst der Frage nachspüren, was als queere/feministische Psychologien gelesen werden kann. Bezugnehmend auf das Netzwerk Queere und feministische Perspektiven für die Psychologie schlage ich vor, Strukturierungen sozialer Felder (hier besonders: gender, sexuality, sanity) in den (psychologischen) Fokus zu rücken und somit auf einem gesellschaftstheoretischen Subjektbegriff für Psychologie und Psychiatrie aufzubauen. Es soll eine Annäherung an eine Psychologie stattfinden, die ihre politische(n) Verankerung(en) und Bezugssysteme möglichst zu explizieren versucht, die sich durch eine Zugänglichkeit für Kritik(en) emanzipatorischen Perspektiven offenhält und sich zugleich einer stummen Zitierung der Verhältnisse verweigert. Von hier aus werde ich mich queeren/feministischen Kritiken an psychologischen bzw. psychiatrischen Störungskonstrukten und diesbezüglichen Praktiken zuwenden – oder anders: mich mit Wahnsinnen bzw. sogenannten »psychischen Störungen« befassen; diese (wieder/weiter) zusammendenken mit Normdurchsetzungen. »Psychische Störungen« sollen auf das jeweilige soziohistorische Bedingungsgefüge hin befragt anstatt stillschweigend als Entitäten gesetzt werden. Michel Foucaults psychiatriekritische Arbeiten, Impulse aus den Mad Studies und feministische Psychiatriekritiken werden gestreift, um über queer-feministische Perspektiven bzw. Kritiken in Psychologie und Psychiatrie nachzudenken. Verbindungslinien (oder Punkte, oder Netze) von queer (als radikale Offenheit) hin zu »Ver-rücktheiten« werden gesucht. Die Befassung mit »psychischer Störung« bringt Macht- und Gewaltverhältnisse ins Bild: Zusammenhänge mit Identitäts(politiken) verweisen auf Potentiale queerer Kritik.