03.09.2019 Bilder-Dialog – Museumspädagogische Einblicke

Museumspädagogin Samira Idrisu vor der Kunstwerk "Blumenstrauß am Fenster" von Oskar Moll.
Foto: Marie Winter

Bei der Abendveranstaltung „Bilder-Dialog“ am 27. Juni 2019 gab Samira Idrisu Einblick in das am Kunstmuseum Marburg vergleichsweise junge Feld der Museumspädagogik. Seit diesem Frühjahr ist sie für den Bereich „Bildung und Vermittlung“ im Museum zuständig. Finanziert wird die dreijährige Projektstelle durch die Förderung der Stadt Marburg, der Sparkasse Marburg-Biedenkopf und der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. In der Rückschau wirft sie einen persönlichen Blick auf das Gespräch.

An der Veranstaltung „Bilder-Dialog – Museumspädagogische Einblicke“ nahmen 20 interessierte Besucher/innen teil; einige selbst im Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung tätig. Im Gespräch mit dem Museumsleiter Dr. Christoph Otterbeck ging es zunächst um das Gemälde „Blumenstrauß am Fenster“ von Oskar Moll, anhand dessen ich praktische Beispiele der Museumspädagogik erläutern wollte. Das großformatige Kunstwerk von Moll hatte ich aufgrund seiner Komposition und seiner farbintensiven Gestaltung ausgesucht. In dem kontrastreichen Bild von 1926 sind ein geöffnetes Fenster und ein Tisch mit einigen Blumen und Notizbüchern zu sehen. Durch das Fenster erblickt man eine weitgehend abstrahierte Landschaft.

Auffällig bei der Betrachtung ist die Ähnlichkeit zum Malstil von Henri Matisse. Erklären lässt sich die Affinität durch die persönliche Beziehung der Künstler. Matisse wirkte auf Moll als Vorbild und Lehrer und beeinflusste sein künstlerisches Schaffen nachhaltig. So ist es nicht verwunderlich, dass Moll das bei Matisse oftmals verwendete Fenstermotiv in seinem Gemälde aufgreift. Das geöffnete Fenster im Bild fungiert meiner Meinung nach als überzeugendes Symbolbild für die Aufgaben des Kunstvermittlers. Es drückt die Kommunikation und die wechselseitige Beziehung zwischen innen und außen aus. Zwischen den Kunstwerken, Museum und den Besuchern zu vermitteln, ist elementarer Bestandteil meiner Tätigkeit.

Gesprochen wurde des Weiteren über die programmatischen Entwicklungen des Museums. Mittlerweile treten Ansätze des Museums als Bildungs- und Lernort und/oder als Erlebnisort im Zuge einer stärkeren Besucherorientierung in den Vordergrund. (Noschka-Roos, Annette; Teichmann, Jürgen: Besucherorientierung – Historische Bedingungen und Ausgangslage, S. 21 – 24; in: Ernst Wagner, Monika Dreykorn (Hgg.): Museum Schule Bildung; aktuelle Diskurse – innovative Modelle – erprobte Methoden, München 2007.) Antiquiert wirkt die Vorstellung des Museums als „Musentempel“, also als Experten- und Andachtsort, der nur einer kleinen Gruppe zugänglich ist. Denn Museum kann so viel mehr sein! So ist mir viel daran gelegen Kreativität zu fördern, besucherorientiert zu agieren sowie Möglichkeiten des Dialogs und der Kommunikation zu eröffnen.

Für die Zukunft sind ausstellungsbezogene Workshops und Projekte geplant. Abwechslungsreiche Führungen und Bildungsprojekte für verschiedene Altersstufen ergänzen das Programm. Dazu zählt auch die Inklusion von Menschen mit Lernbeeinträchtigungen oder Menschen mit Seheinschränkungen. Erste Ideen aus inklusiven Workshops mit betroffenen Personen, wie sie in den letzten Monaten im Museum stattgefunden haben, sollen weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Zurück zum Bild: Wie lässt sich Kunst und hier im Konkreten das Gemälde von Oskar Moll für unterschiedliche Zielgruppen vermitteln? Nach Möglichkeit sollen die verschiedenen Personen und Besuchergruppen – unterstützt durch die Tätigkeit des Kunstvermittlers – einen Zugang zu einem Exponat gewinnen und dabei erkennen, verstehen, erleben und begreifen. Dies kann beispielsweise durch einen Perspektivwechsel, eine Verlangsamung der Betrachtung, provozierte Irritation, eine Rückführung auf die eigene Lebenswelt, die Einbeziehung mehrerer Sinne oder eigenes praktisches Ausprobieren geschehen. Am konkreten Beispiel des „Blumenstrauß am Fenster“ kann beispielsweise die offene Fragestellung „Welchen Geruch hat das Kunstwerk?“ einen emotionalen Zugang zum Bild zu eröffnen.

Im Rahmen der Veranstaltung verfasste eine Besucherin folgendes Gedicht, angeregt durch Oskar Molls Gemälde „Blumenstrauß am Fenster“:

Fenster

weit geöffnet

vor blauem Wasser

Gefühl von sommerlicher Stimmung

Ruhe

Entstanden sind die Zeilen gegen Ende der Veranstaltung. Die Besucher/innen wurden dazu aufgefordert, ein „Elfchen“ zu schreiben und fanden schnell Gefallen an der ungewöhnlichen Aufgabe. Mit Hilfe weniger Vorgaben entstanden vielfältige Perspektiven auf das Kunstwerk in literarischer Form. Eine Besonderheit des Elfchens: Die einzelnen Wörter müssen sich nicht Reimen, der Rhythmus entsteht durch die Anordnung von elf Wörtern in einer vorgegebenen Struktur, die sich über fünf Zeilen erstreckt

  • Für das eigene Gedicht

    Gerne können Sie es selbst ausprobieren. Suchen Sie sich ein Gemälde, eine Skulptur oder eine Fotografie aus dem Kunstmuseum Marburg aus. Sie benötigen lediglich einen Stift und ein kleines Stück Papier. Beim Verfassen folgen Sie dem gegliederten Aufbau des Gedichts und beantworten knapp diese Fragen:

    Was ist zu sehen? (1 Wort)

    Wie ist dies dargestellt? (2 Worte)

    Wo ist es zu sehen? / Oder was passiert im Bild? (3 Worte)

    Was denken Sie? Was sind Ihre Empfindungen? (4 Worte)

    Fazit/Schluss (1 Wort)

Samira Idrisu

Bildnachweis: Oskar Moll, Blumenstrauß am Fenster, um 1926, Öl auf Leinwand, 120 x 100,5 cm, Kunstmuseum Marburg © Foto Marburg