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Der Dreinageltypus

Das hier gezeigte Kruzifix mit dem leidenden Christus wird aufgrund der im Kopf gefundenen Reliquieneinschlüsse zwischen 1326 und 1350 datiert. Dafür spricht ebenso der ab 1200 verbreitete Dreinageltypus: Im Unterschied zu früheren Darstellungen wird Christus hier mit gekreuzten Füßen gezeigt, die durch nur einen Nagel am Kreuz befestigt sind. Jesu Körper wird somit von drei Nägeln am Kreuz gehalten. Dementgegen sind beim sogenannten Viernageltypus die Füße meist parallel angeordnet und wie die Hände jeweils mit einem Nagel durchbohrt, wie in den vorangehenden Exponaten der Ausstellung zu sehen.

Der gemarterte Körper

Kruzifix aus der Siechenkapelle Sankt Jost
© Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Christian Stein
Kruzifix aus der Siechenkapelle Sankt Jost in Marburg, Holz, Leinwand, Tau, farbig gefasst, 166 x 155 cm, 2. Viertel 14. Jahrhundert, Inventar-Nr. 2934
Kruzifix, 2. Viertel 14. Jahrhundert, Holz, Leinwand, farbig gefasst, 166 x 155 cm, Inventar-Nr. 2934, Herkunft: Siechenkapelle Sankt Jost in Marburg

Das Kruzifix war vermutlich ursprünglich in der Siechenkapelle St. Jost in Marburg aufgestellt. Der kleine Sakralraum im heutigen Stadtteil Weidenhausen diente als Gebetsort für das damals außerhalb der Stadt liegende Hospiz. Dort wurden Pilger versorgt und Menschen mit ansteckenden Krankheiten, wie Lepra, behandelt. Besonders in diesem Kontext führte der von Schmerz und Tod gezeichnete Körper des Gekreuzigten den Pilgern das Leid Christi, aber auch die Überwindung des Todes durch Gott vor Augen.

Der fast lebensgroße Körper Christi scheint leblos an den Kreuzbalken zu hängen. Der Kopf des Gekreuzigten ruht mit geschlossenen Augen auf der rechten Schulter. Der geschundene Körper besteht nur noch aus Haut und Knochen, deutlich sind die einzelnen Rippen des Oberkörpers zu erkennen. Die Seitenwunde ist tief eingekerbt, und ein Blutstrom rinnt daraus. Der gesamte Leib ist mit Blutspritzern bedeckt. Die ursprüngliche Farbfassung ist teils abgeplatzt und wurde bei mehreren Restaurierungen übermalt bzw. wieder freigelegt. Auch das Trägerkreuz ist im Laufe der Zeit ersetzt worden.

Haupt Christi mit Dornenkrone
© Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Christian Stein
Kruzifix aus der Siechenkapelle Sankt Jost in Marburg, Detail: Haupt Christi mit Dornenkrone, Holz, Tau, farbig gefasst, 166 x 155 cm, 2. Viertel 14. Jahrhundert, Inventar-Nr. 2934

Die Dornenkrone aus Tauen


Eine Besonderheit des Kruzifixes ist die Gestaltung der Dornenkrone auf dem Haupt des Gekreuzigten. Sie ist aus Tauen gefertigt und mit spitzen Dornen gespickt. Als Symbol eines Leidenswerkzeuges Christi (Arma-Christi) verdeutlicht die Dornenkrone hier die Qualen, die Jesus durch seine Peiniger erfahren hat.

Reliquieneinschluss im Kopf

Bei Restaurierungsarbeiten im Sommer 1977 wurden drei Reliquienpartikel im Kopf der Skulptur gefunden. Sie waren mit Stoffresten umhüllt und durch Pergamentstreifen beschriftet, auf denen zu lesen war: rg sci vincencii… / rg sci Andree Apo(stolis) / rg sci Petri et Pauli Ap(osto)lorum sowie franciscus. Es könnte sich hierbei also um Reliquien der Heiligen Vinzenz (?), Petrus und Paulus, Andreas (?) und möglicherweise Franziskus handeln.

Lendentuch aus Leinwand
© Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Christian Stein
Kruzifix aus der Siechenkapelle Sankt Jost in Marburg, Detail: Lendentuch aus Leinwand auf Holz, farbig gefasst, 166 x 155 cm, 2. Viertel 14. Jahrhundert, Inventar-Nr. 2934




Das Lendentuch aus Leinwand


Das Lendentuch besteht aus Leinwand, was eine weitere Besonderheit des Kruzifixes darstellt. Der Stoff wurde zuvor in Leim getränkt und an die Holzskulptur modelliert. Vermutlich kommt diese Tradition aus Italien. Im 14. Jahrhundert wurden dort ebenso Lendentücher in Gips getaucht und an Plastiken angefügt und geformt.