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Neue Erkenntnisse zu mittelalterlichem Buchbestand

160 Teilnehmende befassten sich mit der aufgelösten Bibliothek der ehemaligen Reichsabtei Corvey

Am 27. und 28. Mai 2021 diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zwölf Nationen in einer von der Universitätsbibliothek Marburg organisierten Online-Tagung die aktuelle Forschung zur Bibliothek der Reichsabtei Corvey und ihrem einstigen Bestand an mittelalterlichen Buchhandschriften.

Anlässlich der Digitalisierung und virtuellen Zusammenführung von Corveyer Buchhandschriften des 9. bis 16. Jahrhunderts im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts »Buchhandschriften der Klosterbibliothek Corvey digital« veranstaltete die Universitätsbibliothek Marburg in Kooperation mit der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn sowie dem Projekt »Handschriftencensus« der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz einen zweitägigen interdisziplinären Workshop »Die mittelalterliche Bibliothek der Reichsabtei Corvey. Bestände, Forschungsstand, Perspektiven« an der Philipps-Universität Marburg. »Ich bin sehr erfreut und außerordentlich beeindruckt von dem großen internationalen Interesse an den mittelalterlichen Büchern der Corveyer Klosterbibliothek«, so die Leitende Direktorin der Universitätsbibliothek Marburg Dr. Andrea Wolff-Wölk, »das zeigt, dass unser Digitalisierungsprojekt einen echten Mehrwert für die Forschung in den beteiligten Fächern bietet.«

UNESCO-Weltkulturerbe Corvey

Die Geschichte der Bibliothek der Reichsabtei Corvey reicht in das 9. Jahrhundert zurück. Bis in das 12. Jahrhundert hinein zählte sie zu den bedeutendsten Klosterbibliotheken in Mitteleuropa. Doch durch die wechselvolle Geschichte des Klosters erlitt auch die Bibliothek nicht erst während des Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert herbe Verluste. Nach einem Neuaufbau des Buchbestandes in der Folgezeit wurden vor rund 200 Jahren im Zuge der Säkularisation Kloster und Bibliothek aufgelöst, so dass ihre Bestände heute über eine Vielzahl an Einrichtungen weltweit verstreut sind. Das ehemalige Benediktinerkloster in Höxter/Nordrhein-Westfalen mit seinen architekturhistorisch bedeutenden Relikten aus der Karolingerzeit, dem sogenannten Westwerk der Klosterkirche, ist seit 2014 UNESCO-Weltkulturerbestätte.

Digitalisierung und Web-Portal

Die zwei größten noch zusammenhängenden Corveyer Handschriftenkonvolute befinden sich an der Universitätsbibliothek Marburg und an der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek in Paderborn. Beide Einrichtungen haben sich zusammengeschlossen, um in Marburg ihre mittelalterlichen Buchbestände Corveyer Provenienz in einem von der DFG geförderten Projekt zu retrodigitalisieren. »Die Zusammenarbeit mit der Marburger Universitätsbibliothek ist für uns ein Glücksfall. Die Universitätsbibliothek verfügt nicht nur über die erforderliche Expertise bei der Digitalisierung solch wertvollen Kulturguts, sondern auch über neueste buchschonende Scan-Technik, so der Direktor der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek in Paderborn Prof. Dr. Hans-Walter Stork. »Zu den »Schätzen«, die künftig online präsentiert werden, zählt auch das um das Jahr 840 n.Chr. entstandene »Corveyer Evangeliar«, welches das älteste noch vollständig erhaltene Buch der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek darstellt. «

Über die Marburger und Paderborner Bestände hinaus wird der in anderen Sammlungen aufbewahrte Streubesitz sukzessive in einem Corvey-Portal der Universitätsbibliothek Marburg zusammengeführt und damit der Forschung und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Entsprechende Kooperationsvereinbarungen wurden bereits mit über 20 nationalen Einrichtungen abgeschlossen. Das Web-Portal, über das die Handschriften-Digitalisate frei zugänglich sein werden, befindet sich im Aufbau und wird im Herbst 2021 online gehen.

Aktuelle Forschung und Perspektiven

Begleitend zu diesem DFG-Projekt haben die genannten Einrichtungen in einem gemeinsamen Workshop die Bedeutung der Reichsabtei Corvey, ihres Skriptoriums sowie ihrer vielfältigen Handschriften- und Wissensbestände in den Fokus gerückt. Vor diesem Hintergrund war es gelungen, nationale und internationale Expertinnen und Experten zu gewinnen, um einen Überblick über die aktuelle Forschungslage zu erhalten, sowie darauf aufbauend, Perspektiven für virtuelle Rekonstruktionen mittelalterlicher Bibliotheksbestände zu diskutieren. Ziel war es, Impulse in die Forschung zu geben und eine intensive Beschäftigung mit den künftig digital zugänglichen Buchhandschriften der einstigen Reichsabtei Corvey anzuregen. »Wir halten es für außerordentlich wichtig, dass Bibliotheken ihre digitalisierten Kulturerbe-Bestände in die Forschungscommunities hinein tragen und freuen uns auf produktive wissenschaftliche Gespräche und neue gemeinsame Anknüpfungspunkte«, erklärten die Leiter des Akademieprojekts »Handschriftencensus« an der Philipps-Universität Marburg Prof. Dr. Jürgen Wolf und Prof. Dr. Nathanael Busch.

Zum Konzept der Veranstaltung zählte, dass die Beiträge der Referentinnen und Referenten vor dem Workshop als Video-Podcasts aufgezeichnet worden waren, so dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit den einzelnen Beiträgen im Vorfeld vertraut machen konnten. Die beiden Veranstaltungstage dienten daher vor allem dem akademischen Austausch. Dass diese Idee der richtige Weg war, zeigen die vielen fruchtbaren Diskussionen sowie die zahlreichen positiven Rückmeldungen, die es von den Teilnehmenden im Anschluss gegeben hat. Die beteiligten Personen und Institutionen werden nun darüber beraten, welche direkten Auswirkungen die Anregungen des Workshops auf das laufende DFG-Projekt und das zukünftige Portal »Corvey digital« haben, aber auch, wie die einzelnen Beiträge dauerhaft zur Verfügung gestellt werden können.

Weiterführende Informationen

https://corvey.de/

http://wp1.eab-paderborn.de/

https://handschriftencensus.de/

Kontakt

Alexander Maul M.A.
»Die Buchhandschriften der Klosterbibliothek Corvey digital«
Projektkoordination
alexander.maul@ub.uni-marburg.de

Universitätsbibliothek Marburg
Deutschhausstraße 9
35037 Marburg