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VII. Internationaler Kongress der Gesellschaft für antike Philosophie (GANPH)
„Begründen und Erklären im antiken Denken“
Marburg, 04.-07. Oktober 2022

Sachbericht

Das Problem des Begründens und Erklärens zieht sich durch die gesamte Philosophie, ja die ganze Geistesgeschichte: Jede, auch noch so vorläufige, Erkenntnis, will in sich schlüssig rückverfolgt sowie nachvollziehbar dargestellt und vermittelt sein. Dies geschieht einerseits explizit, d.h. gerade da, wo methodische Überlegungen zu Begründen und Erklären angestellt werden, wo, besonders in der Philosophie, diese beiden Vorgänge selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden; anderseits wird in fast jeder literarischen Form, selbst den nicht sachlich erörternden, begründet und erklärt. In diesem Sinne hatte sich der Vorstand der Gesellschaft für antike Philosophie (GANPH) das Begründen und Erklären im antiken Denken zum Thema des VII. internationalen Kongresses der GANPH gewählt. Die Fragestellungen und einzelnen Themen gingen dabei den verschiedenen Richtungen nach: Das Hauptgewicht lag auf der antiken Philosophie, den Hauptvertretern, Denkrichtungen und Epochen und dort jeweils sowohl auf der Nachzeichnung impliziter Begründungsstrategien und Erklärungsmuster als auch der Analyse der jeweiligen methodischen Reflexionen über Begründen und Erklären. Eine Zielsetzung der Tagung war aber auch die Untersuchung und Darstellung dieser Vorgänge in nicht-philosophischer Literatur – einerseits in medizinischer Fachliteratur, Historiographie und Theologie, andererseits in den poetischen Gattungen, namentlich dem Epos und der Tragödie, in welchen Begründungen und Erklärungen auf verschiedenen Ebenen stattfinden und ausgesprochen werden. Schließlich wurde das Programm mit einer Sektion abgerundet, die sich mit der modernen Wissenschaftstheorie beschäftigen und die Diskussion über Begründen und Erklären – im 21. Jhdt. so relevant wie eh und je – also von der Antike her an das Heute anbinden sollte.

Diese Fragestellung, diese sieben Sektionen umfassend – Tragödie, Epos, Historiographie, Medizin, Mythos und Religion, Philosophie sowie Ausblick auf moderne Wissenschaftstheorie –, bildete also das Grundgerüst des internationalen Kongresses, den die GANPH in Kooperation mit der Klassischen Philologie der Philipps-Universität unter meiner Leitung als Vorsitzende der GANPH vom 4. bis 7. Oktober in Marburg organisierte. Die Tagung diente dem deutschlandweiten und internationalen Austausch von Fachwissenschaftler_innen aus dem Bereich der antiken Philosophie und klassischen Philologie sowie den Altertumswissenschaften überhaupt und der Wissenschaftsgeschichte und -theorie.

Das Programm umfasste die sieben genannten Sektionen mit insgesamt 26 Referent_innen, ergänzt um ein Doktorandenforum mit  sechs Doktorand_innen, für die in diesem eigenen Format ein Rahmen für Vorträge und Diskussion gestaltet wurde.

Die Zusammensetzung der Vortragenden erfolgte zum Teil über invited speakers, welche der Vorstand der GANPH explizit als anerkannte Expert_innen auf ihrem jeweiligen Gebiet ausgesucht hatte, teils über eine Auswahl aus Einsendungen auf einen Call for papers hin. So gelang es, sowohl für die zentralen Bereiche der antiken Philosophie als auch für die nicht-philosophischen Sektionen ausgewiesene Fachleute zu gewinnen. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Zielsetzung, Gelegenheit zum internationalen Austausch zu schaffen, der die Einladung diverser Vortragenden aus dem Ausland Rechnung trug.

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gab es, leider, gerade unter den Referent_innen aus dem Ausland einige kurzfristige Absagen, für die aber unmittelbare Lösungen gefunden wurden: Einzelne Beiträge konnten reibungslos im Hybrid-Format stattfinden, also via Zuschaltung der Referent_innen; für andere wurde umgehend Ersatz gefunden. Im Sinne der Praktikabilität bei kurzfristiger Umplanung wurde dadurch zwar, leider, die Zahl der Vortragenden aus dem Ausland gegenüber der ursprünglichen Planung ein wenig verringert, doch blieb so am Ende trotz der Absagen keine Stelle im Programm leer.

Bei der personellen Zusammenstellung des Programms wurden auch explizit Vernetzungsmöglichkeiten für Nachwuchswissenschaftler_innen geschaffen, sowohl untereinander, namentlich in dem erwähnten Forum für Doktorand_innen, bei dem sechs Promovierende ihre Dissertationsprojekte vorstellen konnten und das auch von Promovierenden als Zuhörern besucht und zur Kontaktknüpfung genutzt wurde, als auch innerhalb der wissenschaftlichen Community insgesamt, indem sich Vorträge von etablierten Wissenschaftler_innen und Post-Docs abwechselten und die Möglichkeit zur Diskussion ausgiebig genutzt wurde.

Das Rahmenthema – „Begründen und Erklären im antiken Denken“ –, welches sich sowohl auf genuin philosophische als auch nicht-philosophische Literatur der Antike sowie ausdrücklich auch auf das Potential des antiken Denkens auf die moderne Wissenschaftstheorie hin bezog, spiegelte sich in dieser dreifachen Hinsicht auch gerade in Eröffnungs-, Abend und Abschlussvortrag wider: Den Anfang bildete Prof. Dr. Wolfgang Detel, der unter dem Titel „Weiche Begründungen. Aristoteles über die Zeit und Aristoxenos über den Rhythmus“ die Verschiedenheit von Begründungs- und Schlussfolgerungsmustern analysierte und damit zugleich die spätere, umfangreiche Sektion zu Aristoteles einleitete und außerdem das gesamte Spektrum der Tagung noch um den Bereich der antiken Musik und Musikwissenschaften erweiterte. Prof. Dr. Susanne Gödde brachte mit ihrem Abendvortrag „Mythos – Ritual – Politik: Begründen und Erklären in aitiologischen Mythen“ religionswissenschaftliche und klassisch-philologische Perspektiven zur Geltung – ganz im Sinne der Anlage der Tagung sowie dem Selbstverständnis der GANPH überhaupt, Philologie und Philosophie mit ihren jeweiligen Methoden und Ansätzen in der Diskussion zum antiken Denken zusammenzubringen. Der Abschlussvortrag von Prof. Dr. Niko Strobach, Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Logik und Sprachphilosophie in Münster, zum Thema „Begründen, erklären ... erzählen: Zum Potential des Mythos“ – knüpfte an die Sektion „Ausblick: Moderne Wissenschaftstheorie an“.

Im Bereich der antiken Philosophie gab es Vorträge zu zentralen Denkern und verschiedenen Schulen: zu den „Vorsokratikern“ (z. B. Prof. Christian Vassallo zu Heraklit), zu Platon (z. B. Prof. Dr. Barbara Sattler zu „Platons Verständnis von Notwendigkeit“) und Aristoteles (z. B. Prof. Diana Quarantotto zu „Explaining the growth of scientific knowledge: Aristotle’es view“), zu  Stoa (z. B. Prof. Stefano Maso zu „Secundum scholam disserere“) und Epikureismus (z. B. Prof. Pierre-Marie Morel zu „Epicurus on evidence: Justifying without explaining“) und zum Neuplatonismus (z. B. von Prof. Dr. Benedikt Strobel zur neuplatonischen Prinzipientheorie). Insgesamt waren die einzelnen Bereiche jeweils mit mehreren Vorträgen vertreten. Auf diese Weise gab es für die Fachleute Einblicke in Neuansätze und spezielle Fragen, das allgemeinere Publikum gewann einen Eindruck von den Fachdebatten und den verschiedenen methodischen Ansätze zu diesen Gegenständen. Für die nicht-philosophische Literatur gab es etwa den Vortrag von Prof. Dr. Lutz Käppel zu „Ursache-Wirkungszusammenhängen als Erklärungsmodellen in der griechischen Tragödie“ und von Prof. Dr. Claudia Schindler zum Thema „Causas temptare – causas noscere – causas expromere. Zu einer Poetologie der Ursachenforschung im römischen Epos“ sowie Vorträge zum frühen Christentum (Prof. Dr. Matthias Becker, Heidelberg) und zur christlichen spätantiken Historiographie (Prof. Dr. Hartmut Leppin, Alte Geschichte, Frankfurt).

Die Vielfalt der Sektionen führte so zu einem abwechslungsreichen Tagungsprogramm, welches als solches von den Teilnehmer_innen gerne angenommen wurde. Darunter waren nicht nur die Mitglieder der GANPH und die Referent_innen selbst, sondern auch zahlreiche Gäste aus Marburg und von anderen Orten. Der gute Besuch war nicht zuletzt einer intensiven Werbung im Vorfeld der Tagung, auch über die Zeitung, zu verdanken.

Aus Sicht der Veranstalter_innen und Organisator_innen war es besonders erfreulich, dass die Überlegungen im Vorfeld, wie man neben dem inhaltlichen Ertrag auch den fachlichen und den – gerade nach den Coronazeiten so wesentlichen – persönlichen Austausch fördern könne, erfolgreich waren. Dazu trugen auch ein präzises Zeitmanagement bei gleichzeitig großzügig eingeteilten Diskussionszeiträumen sowie Kaffee- und Mittagspausen, nicht zuletzt auch das Konferenzdinner – bei. Insgesamt war eine besonders lebhafte Austauschfreudigkeit zu beobachten.