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Der Altar als Leitmedium einer ganzen Epoche –
Das bewegte Bild

Altäre waren im Mittelalter Orte, an denen die zentralen liturgischen Handlungen durchgeführt wurden, durch die sich Menschen aller Stände erhofften, am Erlösungswerk Jesu Christi Anteil zu haben. Es wurden angesehene Künstler verpflichtet und man scheute keine Ausgaben, sie in ästhetischer und materieller Hinsicht so kostbar wie möglich auszustatten. Das Retabel mit beweglichen Drehflügeln ist das künstlerische Leitmedium einer ganzen Epoche, ähnlich dem Film heute. Bei seiner Herstellung suchten die Künstler gestalterische Herausforderung, Anerkennung durch das Publikum sowie kommerziellen Erfolg. Dem Malpinsel und Schnitzmesser entsprechen heute digitale Bilder und Schnitttechnik. Das Ziel ist geblieben: Den Menschen als visuell ausgerichtetes Wesen durch die Wirkung der Bilder zu erreichen und in den Bann zu ziehen. Lässt man sich auf diesen Vergleich mit dem heutigen Filmformat ein, sind Flügelaltäre als Medienformen zum Zweck der Glaubensverkündigung und der Andacht zu verstehen, wobei das wandelbare Retabel eine langsame Bilderfolge zu festgelegten Tagen präsentiert. Flügelaltar und Film sind Zeugnisse einer ähnlichen Erzähltechnik, bei der Bildsequenzen in chronologischer Reihenfolge hintereinander gezeigt werden. Dabei entfaltet der Flügelaltar sein ikonographisches Programm in einer wohldurchdachten Abfolge von außen nach innen. Sie geht einher mit einer Abfolge der Gattungen: Gemälde, Relief, Skulptur und geht somit von der zweidimensionalen zur dreidimensionalen Darstellung über.

Die Altarbilder galten jedem Gläubigen, vom König und Bischof über Kaufleute und Handwerker. So stehen mittelalterliche Altäre nicht nur im Mittelpunkt herausgehobener gesellschaftlicher und politischer Ereignisse wie Krönungen, Tagfahrten oder Amtseinführungen, sondern begleiten die existentiellen Wegmarken im Leben jedes christlichen Menschen, angefangen mit der Taufe über die Kommunion und Hochzeit bis hin zur Totenmesse. (vgl. Habenicht, S. 20-21)