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Das byzantinische Kastron von Assos (Westkleinasien)

Blick auf die Burg von Assos von Nordosten
Assos Grabung

Doktorarbeit von Rachel Odenthal M.A. (Beginn im Februar 2024)

Assos, an der türkischen Westküste in der Troas gelegen, gehörte in römischer und byzantinischer Zeit zu den mittelgroßen Provinzstädten Westkleinasiens. Während die frühbyzantinische Phase der Stadt mit ihrer Alltagskultur und ihren Transformationsprozessen von spätantiker bis in frühbyzantinische Zeit in den vergangenen siebzehn Jahren intensiv erforscht wurde, ist der Kenntnisstand zur mittel- und spätbyzantinischen Besiedlung bislang rudimentär. Ein zentrales Areal der späteren byzantinischen und frühosmanischen Siedlungsgeschichte von Assos ist die Akropolis, die sich mit ihrer Befestigungsmauer und Binnenbesiedlung auf dem Stadtberg über der antik-byzantinischen Stadt erhebt. Bisher stand hier mehrheitlich der Athena-Tempel aus dem späten 6. Jh. v. Chr. im Mittelpunkt des Interesses. Ein erster Grundriss der Akropolis stammt von den frühen Ausgräbern von Assos im späten 19. Jahrhundert, auf dem aber nur Teile der byzantinischen Bebauung eingezeichnet wurden. Erwähnung fand die byzantinische Epoche im Text praktisch nicht. Auch in der Folge wurde das byzantinische Kastron vernachlässigt; die „Beseitigung“ späterer Mauern hielt noch bis in die 1980er Jahre an.
Erst im Rahmen von Bauaufnahmen aller Siedlungsspuren auf der Akropolis in den Jahren 2009 und 2010 durch den Bauforscher Klaus Müller wurden auch die nachantiken Überreste aufgenommen und summarisch in einem Aufsatz publiziert. Unter der Leitung von Beate Böhlendorf-Arslan wurden in den Jahren 2010, 2011 und 2020 mehrere mittelalterliche Speicherbauten und Zisternen gereinigt und ausgegraben. Weitere Mauerzüge und Gebäudereste kamen in den letzten Jahren im Zuge von Reinigungs- und Sicherungsarbeiten ans Tageslicht. All diese Funde und Befunde warten bislang auf ihre Auswertung und Datierung. 
Die Burg von Assos und weitere mittel- und spätbyzantinische Befestigungen der Troas sind bis auf wenige Ausnahmen (Pegai und Kızkalesi) fast gänzlich unerforscht. Dies trifft aber nicht nur auf diese Gegend zu, auch für den Rest Westkleinasiens fehlen Studien zu byzantinischen Festungen fast vollständig. Der Fokus der beiden Überblickswerke zum byzantinischen Festungsbau liegt im Wesentlichen auf der Architektur der Anlagen[8]. Eine Einordnung der Festungen, die über rein militär-technologische Belange hinausgeht und die Binnenbebauung mit ihrem Zusammenspiel aus Wohnen, Handwerk, wirtschaftlicher Nutzung und Religion in den Blick nimmt, fehlt gänzlich. Diese Aspekte sind aber von großer Wichtigkeit, um die Anlagen in ihrer vollen Funktion verstehen zu können.
Das Dissertationsprojekt zielt daher darauf ab, die spätere byzantinische und frühosmanische Geschichte des Kastrons von Assos auf archäologisch-architektonischer Grundlage zu erforschen. Hierbei sind drei Hauptfragestellungen von Relevanz: Wann wurde die Akropolis von Assos zu einer Burg ausgebaut? Wie und von wem wurde die Burg von Assos genutzt? Was geschah mit der Burg von Assos nach der türkischen Eroberung in frühosmanischer Zeit?
Die Erforschung der byzantinischen Burg von Assos geschieht in erster Linie auf archäologisch-architektonischer Grundlage, wobei historisch-topographische Quellen zur wissenschaftlichen Einordnung in den Kontext byzantinischer Befestigungssysteme ebenfalls herangezogen werden. Die archäologisch-architektonische Materialbasis setzt sich aus bereits erhobenen Forschungsdaten früherer Grabungen (Auswertung der Grabungsdokumentation, Katalogisierung und Kartierung der Funde und Befunde) und neu aufzunehmenden Befunden (Bauaufnahmen, Sondagen) zusammen, wodurch eine breite und stratigraphisch belastbare Materialbasis zur Beantwortung der eingangs gestellten Forschungsfragen zur Verfügung steht.
Die Dissertation liefert sowohl die Grundlage für das Verständnis der Besiedlung Assos‘ von antiker bis in frühosmanische Zeit als auch für die Einordnung des Kastrons in das historische Gesamtbild byzantinischer Festungen der Troas und des westlichen Kleinasiens. Sie kann damit zum Referenzwerk für weitere Forschungen auf diesen Gebieten werden. Gleichzeitig soll sie einen Baustein zum noch wenig erforschten Übergang von der spätbyzantinischen zur frühosmanischen Zeit in Kleinasien auf archäologischer Grundlage bilden.

Förderung durch das Doktorandenstipendium der Universität Marburg seit Februar 2024