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Laufende Dissertationsprojekte

Dong Chen (Universität Marburg):

„Neue" Welten in Planetenromanen in der NS-Zeit. Ideologeme und Unterhaltungseffekte

Die Arbeit widmet sich den extraterrestrischen Welten in Planetenromanen der NS-Zeit. Der Planetenroman gilt als ein Subgenre der Science Fiction und schildert meistens eine Planetenreise, Kolonisation eines fernes Planeten oder Invasion aus dem All, wobei eine extraterrestrische Welt dargestellt wird. Diese neue Welt spiegelt oft das Selbstverständnis, die Zukunftshoffnungen und -befürchtungen der jeweils gegenwärtigen Gesellschaft wider. Dies lässt sich besonders an den Planetenromanen der NS-Zeit feststellen. Diese Romane beschreiben z. B. vernichtende Rassenkriege auf anderen Planeten, das „Lebensraum“-Problem der Außerirdischen und deren Lösung, die Herstellung einer neuen Ordnung auf dem Saturn oder auf einem fiktiven Planeten, den Untergang des unterirdischen Reichs der minderwertigen Venusianer unter einer Herrscherin, Begegnungen der irdischen Kulturschöpfer „Arier“ mit Außerirdischen etc. Der Planetenroman ist ein Unterhaltungsgenre mit großem Propagandapotential, gleichzeitig bietet er aber auch einen möglichen Raum für die Selbstreflexion sowie individuelle, alternative Gesellschaftsentwürfe. Meine Arbeit zielt darauf ab, einerseits die dem Nationalsozialismus nahestehenden Ideologeme, die sich in den Planetenromanen von 1933-1945 niederschlagen, sowie die ideologischen Abweichungen dieser Romane zu präsentieren und zu analysieren, andererseits zu erläutern, wie diese Ideologeme von den Unterhaltungseffekten der Texte befördert und an die Leser vermittelt werden.

Kevin Depner (Universität Marburg):

Intersektionalität erzählen – Narrative Strategien der Identitätskonzeption in der jüngsten deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Identität ist eines der zentralsten Motive in der Literatur. Um der Komplexität des Begriffes gerecht werden zu können, kann Identität allerdings nicht aus einer isolierten Perspektive heraus beleuchtet werden, vielmehr gilt es die Wechselwirkungen bzw. Intersektionen einzelner Identitätskategorien zu analysieren um damit einhergehende Exklusionsprozesse sichtbar machen und verstehen zu können. Der Raum des Fiktionalen fungiert dabei als ein medialer Ort der Ermächtigung und Selbstbestimmung, der den gesellschaftlichen Diskurs durch Perspektivverschiebungen, Gedankenexperimente und affektives Involvement bereichern kann.

Ziel der Dissertation ist eine umfassende Analyse der narratologischen Techniken, die zum Erzählen von Intersektionalität verwendet werden. Der dazu verwendete Textkorpus jüngster Gegenwartsliteratur beinhaltet dabei Mithu Sanyals Identitti, Fatma Aydemirs Dschinns, Hengameh Yaghoobifarahs Ministerium der Träume, Sharon Dodua Otoos Adas Raum, Kim de l’Horizons Blutbuch, Olivia Wenzels 1000 Serpentinen Angst, Deniz Ohdes Streulicht, sowie Shida Bazyars Drei Kameradinnen. Während die Erzähltechniken in den jeweiligen Romanen variieren, lassen sich textübergreifende Gemeinsamkeiten abstrahieren, die die Genese eines sich aktuell entwickelnden Subgenre in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nahelegen.

Raja Möller (Universität Marburg):

Materialität(en) der Schreibszene

 In den Texten von Jean Paul wird in zahllosen Variationen von Schreibprozessen gekleckst, Tinte verschüttet und getrunken, mit Urin gedichtet, beim Schreiben geschwitzt und verdaut, Bücher werden gegessen, Federn gefeilt und vergiftet, Text-Kinder geboren, als Ziehkinder aufgenommen oder verschlungen. Dabei wird ein multidimensionales poetologisches Programm der Schreibwerkzeuge und Beschreibmaterialien entworfen, das geistige Dichtungsprozesse vor den Materialitäten der Schreibszene förmlich in den Hintergrund rückt. Die Texte entwickeln komplexe Metaphoriken und weisen eine metonymische Struktur auf, die beispielsweise detaillierte Schreibszenen mit In- und Exkorporations- sowie Reproduktionsprozessen verknüpfen, diese religionssatirisch brechen und mit Gift-, Waffen- und Werkzeugkonfigurationen aufladen, wodurch ein regelrechter Kosmos an Dingen (des Schreibens) entworfen wird. Ziel der Dissertation ist es, eine umfassende Analyse dieses Schreibmaterial-Systems vorzulegen und mithilfe poststrukturalistischer Theorien innerhalb des metaphysischen Denkgerüsts einzuordnen.

Lukas Müller (Universität Marburg):

Polizei-Geschichten. Paradigmen einer Ordnungsmacht in der deutschsprachigen Erzählliteratur (1799-1914)

Ziel des Dissertationsprojekts ist es, den Auftakt zu einer Literaturgeschichte der modernen Polizei vorzulegen. Mithilfe eines am „archivimmanenten Strukturalismus“ (Moritz Baßler) orientierten kulturpoetischen Zugriffs werden polizeiliche Paradigmen in deutschsprachigen Erzähltexten des ,langen‘ 19. Jahrhunderts identifiziert, ausgewertet und intertextuell sowohl mit ausgewählten zeitgenössischen Übersetzungen (z. B. von Charles Dickens, Victor Hugo, Wilkie Collins oder Émile Gaboriau) als auch mit anderen generischen und medialen Repräsentationsformen (z. B. Polizeihandbüchern oder populären Bildmotiven) in Beziehung gesetzt.

Ein besonderes Augenmerk wird auf die Gattungsgeschichte des ,Polizeiromans‘ gerichtet. Dabei handelt es sich um ein Subgenre der Kriminalliteratur, das – zumindest paratextuell explizit – erstmals 1867 mit Friedrich Christian Benedikt Avé-Lallemants Die Mechulle-Leut’ in Erscheinung tritt. Es wird herausgearbeitet, inwieweit sich dieses Genre in Anlehnung an die sensationellen Großstadtromane der 1840er Jahre (z. B. Die Geheimnisse von Berlin. Aus den Papieren eines Berliner Kriminalbeamten) oder auch an seit der Jahrhundertmitte zirkulierende journalliterarische ,Polizeigeschichten‘ konstituiert hat.

Ferner gilt es u. a. zu untersuchen, inwieweit bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs abseits zahlreicher konventionell-affirmativer Darstellungen, in denen die Polizei als zwar mitunter defiziente, letztlich aber gesellschaftlich akzeptierte Ordnungsmacht figuriert, auch kritisch gewandelte „,Bilder‘ der Polizei“ (Alf Lüdtke) literarischen Niederschlag fanden. In diesem Zusammenhang werden z. B. Carl Sternheims Busekow, Salomo Friedlaenders Rosa, die schöne Schutzmannsfrau (beide 1913) sowie Oskar Panizzas Das Verbrechen von Tavistock-Square (1914) behandelt.

Lea Reiff (Universität Marburg):

Huren- und Hiobskörper - Kodierungen der Syphilis in der Literatur der Frühen Neuzeit

Ende des 15. Jahrhunderts als neue Seuche wahrgenommen, erscheint Syphilis in der Literatur der Frühen Neuzeit in verschiedenen Textgattungen vom medizinischen Traktat über Lehrgedichte und Mirakel bis hin zum Schelmenroman. Die Krankheit stellt zeitgenössische Beobachter vor das Problem, ein als neu wahrgenommenes Phänomen in theologisch fundierte Wissensordnungen und kulturelle Deutungsmuster eingliedern zu müssen. Die Schwierigkeit der Einordnung zeigt sich in einer frühen Phase zwischen 1495 und 1520 vor allem daran, dass die Krankheit mehrere hundert Namen erhält, die jeweils verschiedene Deutungsstrategien offenbaren.

Im vorliegenden Dissertationsprojekt soll ‚Syphilis‘ als Haupt- und Nebenmotiv literarischer Drucke der Frühen Neuzeit vor allem aus den deutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches untersucht werden. Der Schwerpunkt liegt auf Texten, die seit der Sammlung früher medizinischer Traktate und literarischer Darstellungen der Krankheit durch Ärzte, Medizinhistoriker und frühe Sexualwissenschaftler um 1900 eine Kanonisierung erfahren haben, jedoch auch in neueren Forschungsarbeiten kaum einem Close Reading unterzogen werden. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit richtet sich darauf, ob und in welcher Weise diese Texte an der Herstellung von Wissen über die Syphilis beteiligt sind und welche Funktionen sie bei der Autorisierung und Vermittlung von Wissen über diese Krankheit einnehmen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf frühen Einblattdrucken wie z. B. Sebastian Brants De pestilentiali scorra […] Eulogium (Basel: Johann Bergmann, 1496).

Ziel ist es, in genauer Textlektüre Prozesse der Politisierung, der Moralisierung und der Poetisierung der Syphilis nachzuvollziehen, bevor sich schließlich im 17. Jahrhundert die Sexualisierung der Syphilis verfestigt, deren literarisches Potenzial einschränkt und das Sprechen über eigene Erkrankungen nur noch Schelmenfiguren wie z. B. Grimmelshausens Courasche erlaubt.

Katharina Scheerer (Universität Münster):

Populäre Avantgarde. Fantastik in der Populärkultur um 1900

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt die deutschsprachige fantastische Literatur einen Höhepunkt. Vor allem in den Medien der Populärkultur, aber auch in den Texten der hochliterarischen Avantgarden zirkulieren Motive, die heute aus der Science-Fiction bekannt sind: Der Kontakt zu Außerirdischen, Planetenreisen und technisch-utopische Fantasien. Dieser Befund allein zeigt, dass die – unter anderem von der Literaturwissenschaft – immer wieder aufgerufene Trennung von ‚high‘ und ‚low‘, von Kunst und Unterhaltung, nicht haltbar ist. Zwar publizieren Autoren wie Hans Dominik, Kurd Laßwitz und Friedrich Wilhelm Mader in anderen Medien (z. B. in Das neue Universum oder der Schlesischen Zeitung) als Autoren wie Georg Heym und Albert Ehrenstein (z. B. Die Aktion). Wenn aber Heym und Ehrenstein über Marsmenschen schreiben, Alfred Döblin mit Giganten (1932) ein „Abenteuerbuch“ vorlegt, das eine leicht verdauliche Fassung seines Epos Berge Meere und Giganten (1924) sein soll und Paul Scheerbart über technische Großprojekte schreibt, wie sie auch in Bernhard Kellermanns Der Tunnel (1913) titelgebend sind, wird schnell deutlich, dass sich Populärkultur und Avantgarde nicht in voneinander getrennten Sphären bewegen.

Die Dissertation untersucht, welche Energien im Greenblatt’schen Sinne zwischen den Texten zirkulieren, und nimmt Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Texte (z. B. auf Verfahrensebene) in den Blick. Publikationskontexte spielen dabei ebenso eine Rolle wie Kanonisierungspraxen. Theoretisch fundiert und analytisch abgesichert wird so das Feld der Fantastik um 1900 ausgelotet und neue Beschreibungskategorien entwickelt, die sich nicht mehr am Antagonismus von ‚high‘ und ‚low‘ abarbeiten.

Antje Schmidt (Zweitbetreuung, Universität Hamburg):

Alles Windhauch? Neufigurationen des barocken Vanitas-Topos in der Gegenwartslyrik

Abgeschlossene Dissertationsprojekte

Luisa Menzel (Universität Greifswald, Erstbetreuung: Prof. Dr. Sebastian Domsch):

Body | Mind | Soul -- A scholartistic analysis of Martin Rowson’s »Life and Opinions of Tristram Shandy Gentleman«

(2022 abgeschlossen)

Mateusz Cwik (Universität Zürich, Erstbetreuung: Prof. Dr. PhilipTheisohn):

»Mediale Deformationen. Die Medien des Universums von Swedenborg bis Laßwitz«

(2020 abgeschlossen)

Constanze Bartsch (Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Erstbetreuung: Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf):

Inszenierungen des Dokumentarischen. Dokumentarische Verfahren in Literatur und Film nach der Jahrtausendwende 

(2018 abgeschlossen)

Katja Reetz (Universität Greifswald):

Andreas Gryphius‘ »Mumiae Wratislaviensis« – Edition, Übersetzung, Kommentar 

(2017 abgeschlossen)

Stefanie Retzlaff (Humbold-Universität zu Berlin, Erstbetreuung: Prof. Dr. Ethel Matala-de Mazza):

Poetologien der Fallgeschichte (1660-1770) 

(2017 abgeschlossen)

Stefan Tetzlaff (Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Erstbetreuung: Prof. Dr. Moritz Baßler):

Heterotopie. Zur Konstruktion anderer Räume als Textverfahren in Romantik und Realismus« 

(2014 abgeschlossen)