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Forschung in der AE Psychologische Diagnostik

Forschungsschwerpunkte

Unsere Forschung lässt sich folgenden sechs Schwerpunkten zuordnen:

1. Conditional Reasoning

Conditional Reasoning ist ein innovatives Testverfahren zur indirekten Erfassung von Aggression. Eine solche indirekte Erfassung ist wichtig, da Menschen bei sozial sensitiven Themen wie Aggression häufig keine ehrlichen Antworten geben wollen oder können, wenn sie direkt (z.B. mithilfe von Fragebögen) befragt werden. Die indirekte Erfassung von Aggression bei Conditional Reasoning Tests erfolgt über spezielle Aufgaben, mit denen man implizite kognitive Biases (d.h. Verzerrungen im Denkmuster, die den Personen nicht bewusst sind) messen kann. Im Rahmen von Abschlussarbeiten und Forschungspraktika ist es möglich, sich inhaltlich und/oder methodisch mit bestehenden Conditional Reasoning Tests zu beschäftigen oder diese für zusätzliche Aspekte von Aggression oder anderen Konstrukten weiterzuentwickeln.

Literatur:

James, L. R., & LeBreton, J. M. (2010). Assessing aggression using conditional reasoning. Current Directions in Psychological Science, 19(1), 30-35.

Projektleitung:

2. Die Rolle von Kontextfaktoren bei der Aufrechterhaltung politischer Stereotype

Dieses Forschungsprojekt ist Teil des GRK 2271 „Breaking Expectations“ und erforscht die sozialkognitiven Mechanismen, die der Persistenz stereotypbasierter Erwartungen angesichts von Erwartungsverletzungen zugrunde liegen.

Erwartungen über soziale Gruppen werden oft dazu genutzt, das Verhalten anderer vorherzusagen und zu interpretieren. Interessanterweise ändert die Beobachtung von erwartungsverletzendem (d. h. Stereotyp-inkongruentem) Verhalten nur selten die zugrundeliegenden Erwartungen. Stattdessen werden diese aufrechterhalten, indem beispielsweise das inkongruente Ereignis auf die Besonderheiten des Kontexts zurückgeführt wird, in dem es auftrat. Dieses Projekt beschäftigt sich näher mit der Rolle solcher Kontextfaktoren. Bisherige Forschung legt nahe, dass erwartungsverletzende Informationen den Verarbeitungsfluss stören und, bei ausreichend kognitiven Ressourcen, die Aufmerksamkeit auf den Kontext lenken (Huang & Sherman, 2018; Sherman et al., 2005). Dadurch werden kontextbezogene Informationen eher in die Informationsverarbeitung integriert, wenn sie im Zusammenhang mit Stereotyp-inkongruenten statt Stereotyp-kongruenten Ereignissen auftreten. Darüber hinaus werden inkongruente Informationen mit größerer Wahrscheinlichkeit external attribuiert als kongruente Informationen, die eher internal und dispositional attribuiert werden (Sherman et al., 2005; Sekaquaptewa et al., 2003), was zur Aufrechterhaltung von Stereotypen beiträgt. Eine Verallgemeinerung auf die soziale Gruppe und damit eine Veränderung des Stereotyps könnte hingegen durch Dekontextualisierung der inkongruenten Informationen erreicht werden (Gawronski et al., 2018).

Insbesondere im Intergruppenkontext, beispielsweise bei der Wahrnehmung und Bewertung politischer Gruppen, können auch motivationale Einflussfaktoren zur Aufrechterhaltung von Gruppenbildern beitragen. Die eigene politische Meinung beispielsweise kann das Bedürfnis nach positiver Abgrenzung der eigenen Gruppe weiter fördern und sich dadurch zusätzlich auf die Kontextualisierung inkongruenter Informationen auswirken. Das Ziel dieses Projekts ist es daher, das Verständnis von Kontextualisierungsmechanismen zu erweitern und motivationale und kognitive Einflussfaktoren zu identifizieren, die den Grad der kontextuellen Verarbeitung von Stereotyp-inkongruenten Informationen moderieren.

Literatur:

Gawronski, B., Rydell, R. J., De Houwer, J., Brannon, S. M., Ye, Y., Vervliet, B., & Hu, X. (2018). Contextualized Attitude Change. In Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 57, pp. 1–52). Elsevier. https://doi.org/10.1016/bs.aesp.2017.06.001

Huang, L. M., & Sherman, J. W. (2018). Attentional Processes in Social Perception. In Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 58, pp. 199–241). Elsevier. 

Sekaquaptewa, D., Espinoza, P., Thompson, M., Vargas, P., & von Hippel, W. (2003). Stereotypic explanatory bias: Implicit stereotyping as a predictor of discrimination. Journal of Experimental Social Psychology, 39(1), 75-82. https://doi.org/10.1016/S0022-1031(02)00512-7 

Sherman, J. W., Stroessner, S. J., Conrey, F. R., & Azam, O. A. (2005). Prejudice and Stereotype Maintenance Processes: Attention, Attribution, and Individuation. Journal of Personality and Social Psychology, 89(4), 607–622. https://doi.org/10.1037/0022-3514.89.4.607

Projektleitung:

3. Indirekte Messverfahren für Vorurteile

Die generelle Bevorzugung der Eigengruppe gegenüber Fremdgruppen (z.B. Menschen der eigenen Ethnizität gegenüber Menschen anderer Ethnizitäten) ist ein etabliertes psychologisches Phänomen. Da Vorurteile gegenüber Fremdgruppen gravierende individuelle und gesellschaftliche Konsequenzen haben können, gibt es eine reiche Forschungstradition zur Messung negative Fremdgruppenevaluationen. Aus dieser Tradition sind eine Vielzahl unterschiedlicher Messzugänge entstanden (s. Gawronski & Hahn, 2019). 

Aufgrund der Erkenntnis, dass Menschen ihre eigenen Vorurteile unter bestimmten Bedingungen entweder nicht zugeben wollen oder sie ihnen möglicherweise gar nicht bewusst werden, haben Forscher:innen eine Reihe von indirekten Messverfahren entwickelt, deren Messergebnis nicht an dem Selbstbericht der Proband:innen hängt. Selbstverständlich muss auch für diese Messverfahren empirisch überprüft werden, ob sie ihrem Anspruch, eine sinnvolle Messalternative zur Ergänzung von Selbstberichtsverfahren darzustellen, gerecht werden können. In unseren Untersuchungen fokussieren wir momentan auf zwei Messverfahren, den Evaluative Priming Task (EPT; Fazio et al., 1995) und die Affect Misattribution Procedure (AMP; Payne et al., 2005). Im EPT wird ein auf dem Computerbildschirm dargestellter sogenannter Prime-Stimulus (bspw. das Portraitbild einer türkischen oder deutschen Person) rasch durch einen evaluativ polarisierten sogenannten Target-Stimulus ersetzt (bspw. durch ein positives oder negatives Wort). Im AMP wird der Prime stattdessen durch ein neutrales Target ersetzt (traditionellerweise durch ein chinesisches Schriftzeichen). Beide Messverfahren beruhen auf der Annahme, dass die Bewertung des Primes einen Einfluss auf die Reaktion der Proband:innen auf das Target hat, wodurch die beiden Messverfahren indirekt die Einstellung gegenüber dem Prime erfassen können. 

In unserer Erfassung der Eignung dieser Messverfahren untersuchen wir diese hinsichtlich einer breiten Reihe an Validitätsdimensionen: Wir prüfen die theoretischen Annahmen dieser Messverfahren (bspw.: Wie viel Kontrolle haben die Proband:innen über das Messergebnis? Wie wirken basale kognitive Prozesse -wie z.B. die soziale Kategorisierung- auf das Messergebnis ein?), ihre Reagibilität hinsichtlich Änderungen in der Experimentalprozedur (bspw.: In welchem Ausmaß ist das Messergebnis von den Primes abhängig, die die Zielkategorie repräsentieren sollen? In welchem Ausmaß ist es davon abhängig, wie die Targets genau ausgestaltet sind oder wie lange diese präsentiert werden?) und ihre generellen psychometrischen Eigenschaften (z.B.: Wie reliabel ist ihr Messergebnis? Wie viel Evidenz gibt es dafür, dass sie Vorurteile valide erfassen können?).

Literatur:

Fazio, R. H., Jackson, J. R., Dunton, B. C., & Williams, C. J. (1995). Variability in automatic activation as an unobtrusive measure of racial attitudes: A bona fide pipeline? Journal of Personality and Social Psychology, 69, 1013–1027.

Gawronski, B., & Hahn, A. (2019). Implicit measures: Procedures, use, and interpretation. In H. Blanton, J. M. LaCroix, & G. D. Webster (Eds.), Measurement in social psychology (pp.29–55). Routledge/Taylor & Francis Group.

Payne, B. K., Cheng, C. M., Govorun, O., & Stewart, B. (2005). An inkblot for attitudes: Affect misattribution as implicit measurement. Journal of Personality and Social Psychology, 89, 277-293.

Projektleitung:

4. Testentwicklung

Ein Forschungsschwerpunkt der AE Psychologische Diagnostik ist die Entwicklung von Testverfahren. Aktuell werden drei Konzentrationstests entwickelt, überarbeitet bzw. validiert. Hierbei handelt es sich um

(1)  einen computergestützten Konzentrationstest für das Kindesalter, angelehnt an den Konzentrationstest für Kinder (KoKi, Schmidt-Atzert & Funsch, unter Mitarbeit von Arias Martín, 2023). Dieser erfasst in Anlehnung an den d2-R die kurzfristige Konzentrationsleistung, wobei bei diesem Verfahren im Unterschied zu anderen Verfahren auch die Ablenkbarkeit erfasst wird.

(2)  einen computergestützten Konzentrationstest für das Erwachsenenalter, angelehnt an den Differentiellen Konzentrationstest für Kinder (DKT-K, Funsch & Arias Martín, 2017), welcher die längerfristige Konzentrationsleistung über vier verschiedene Skalen erfasst. Diese Skalen stellen unterschiedliche Anforderungen an den Wahrnehmungs- und Weiterverarbeitungsprozess von Informationen, wodurch differenzierte Aussagen über die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung getroffen werden können.

(3)  Den Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest (d2-R, Brickenkamp, R., Schmidt-Atzert, L., Liepmann, D. 2010), welcher aktuell überarbeitet und neunormiert wird (Schmidt-Atzert, Arias Martín & Brickenkamp, in Bearbeitung).

Literatur:

Schmidt-Atzert, L. & Funsch, K., unter Mitarbeit: Arias Martín, B. (2023) Konzentrationstest für Kinder (KOKI). Göttingen: Hogrefe.

Funsch, K. & Arias Martín, B. (2017). Differentieller Konzentrationstest für Kinder (DKT-K). Göttingen: Hogrefe.

Brickenkamp, R., Schmidt-Atzert, L., Liepmann, D. (2010). Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest d2-R (9. überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Schmidt-Atzert, L., Krumm, S. & Bühner, M. (2008). Aufmerksamkeitsdiagnostik – Ableitung eines Strukturmodells und systematische Einordnung von Tests. Zeitschrift für Neuropsychologie, 19(2), 59-82.

Projektleitung:

5. Wie Normalität, Moral und Defensivität Rassismusurteile formen

Menschen, die sich beruflich mit Rassismus beschäftigen, sind sich genauso uneins wie der Rest der Bevölkerung darüber, welche Verhaltensweisen man nun als rassistisch oder eben nicht rassistisch bezeichnen soll. Historisch lag der Fokus von Rassismusdebatten häufig in der Prävention besonders schädlicher Intergruppenverhaltensweisen. Heutzutage ist eine weitere Perspektive in den Mittelpunkt dieser Debatte geraten, die den Schwerpunkt eher auf subtilere Verhaltensweisen lenkt, die im Aggregat aber möglicherweise eine ähnlich schwerwiegende schädliche Wirkung erzielen. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass unterschiedliche Individuen oder soziale Gruppen möglicherweise in Diskussionen über Rassismus nicht an die gleichen Verhaltensweisen denken (vgl. Sommers & Norton, 2006). Gleichzeitig wird weißen Menschen attestiert, defensiv zu reagieren, wenn ihre Verhaltensweisen im Intergruppenkontext kritisiert werden.

Diese Debatten könnten möglicherweise vom Einbezug klassischer Normalitätstheorien profitieren, welche eine Beziehung zwischen der wahrgenommenen Allgegenwärtigkeit einer Verhaltensweise und derer moralischer Bewertung postulieren (z.B. Monroe et al., 2018). In diesem Projekt untersuchen wir das Verhältnis von moralischen Urteilen, Rassismusurteilen und Allgegenwärtigkeitsurteilen, um in einem zweiten Schritt die Beziehung zwischen der Breite des Rassismuskonzepts von Proband:innen und deren Gewilltheit, sich eigener rassistischer Tendenzen zu stellen zu verstehen. Im angewandteren Teil dieses Projekts über die normativen Grundlagen von Rassismsurteilen überprüfen wir deren Kontextualisierung: Beziehen Proband:innen in ihren Urteilen bspw. mit ein, dass ältere Menschen mit ganz anderen Normen hinsichtlich des Intergruppenverhaltens aufgewachsen sind?

Im besten Fall versetzen uns die im Projekt gesammelten Befunde in die Lage, Interventionen zur Verbesserung von Intergruppenkommunikation und zur Reduktion defensiver Reaktionen auf Kritik am eigenen Intergruppenverhalten zu entwickeln.

Literatur:

Monroe, A. E., Dillon, K. D., Guglielmo, S., & Baumeister, R. F. (2018). It’s not what you do, but what everyone else does: On the role of descriptive norms and subjectivism in moral judgment. Journal of Experimental Social Psychology, 77, 1–10.

Sommers, S. R., & Norton, M. I. (2006). Lay Theories About White Racists: What Constitutes Racism (and What Doesn’t). Group Processes & Intergroup Relations, 9, 117–138.

Projektleitung:

Unsere Labore

Für die Durchführung unserer Studien stehen Labore an zwei zentralen Standorten in Marburg zur Verfügung.