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Daniel Parello

Kriegsbergungsaufnahmen von gefährdetem Kulturgut – Die Fotosammlung mittelalterlicher Glasmalereien am Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland/Freiburg im Breisgau

Der Ausbruch des Krieges schuf günstige Voraussetzungen für eine fotografische Dokumentation der mittelalterlichen Glasmalereien. Zum Schutz des wertvollen deutschen Kulturguts wurden damals nahezu sämtliche kriegsgefährdete Glasmalereien innerhalb der Reichsgrenzen ausgebaut und an einem sicheren Ort verwahrt. Diese Gelegenheit rief den Deutschen Verein für Kunstwissenschaft auf den Plan, der Ende 1940 Hans Wentzel mit der Koordinierung und Durchführung der Fotodokumentation dieser Objekte betraute. Mit Hilfe der Kunsthistoriker Elisabeth von Witzleben, Eberhard Wiegand und Martin Kautzsch konnten so bis Kriegsende mehr als 50.ooo Aufnahmen von Kirchenfenstern angefertigt werden, die neben Deutschland auch Bestände in Österreich, Polen, das Elsass und Lothringen umfassen. Als Trägermaterial fanden Planfilme und Glasplatten Verwendung. Zusätzlich wurden von jedem Fensterfeld Farbaufnahmen im Kleinbildformat angefertigt.

Für Hans Wentzel arbeiteten damals mehrere Fotografen (Dorothea Isserstedt, Martin Hamacher, Johann Mutter, Bothner, Thormann, Urban). Bis März 1943 waren auf diese Weise bereits 74 Standorte erfasst, darunter auch die 1940 von der Wehrmacht besetzten Gebiete in Elsass und Lothringen. Letztere wurden unter der Leitung von Kurt Martin durch Elisabeth Schulze-Battmann und Helma Konow bearbeitet. Darüber hinaus wurden auch große Teile Österreichs erschlossen, das seit 1938 an das Reich angegliedert war. Auf Veranlassung des Vereins ließen auch andere Dienststellen Aufnahmen von Glasmalereien anfertigten. Große Teile der hessischen Bestände etwa wurden vom Denkmalamt erfasst, weshalb sich die Negative dieser Kampagnen heute bei Foto Marburg befinden.

Das Fotomaterial ist heute auf verschiedene Institutionen verstreut.

  • Der Großteil der Negative, die im Berliner Schloss deponiert waren, gingen beide der Bombardierung Berlins zugrunde.
  • Die in den Kellern des Kaiser-Friedrich-Museums deponierten Negative blieben hiervon verschont.
  • Teile blieben im Besitz der Denkmalämter, die auf Veranlassung des Vereins eigene Fotokampagnen in die Wege geleitet hatten
  • Im Jahr 1959 hat man circa 1000 Negative österreichischer Objekte an das Bundesdenkmalamt und die Nationalbibliothek in Wien abgegeben.
  • Der Rest befindet sich heute in der Freiburger Arbeitsstelle des Corpus Vitrearum.

Umfang
Im Einzelnen handelt es sich um:

  • circa 20.ooo Kleinbilddias, überwiegend deutsche Glasmalereien. Darunter circa 3000 Dias aus Elsass, 1800 aus Metz und 1500 aus Österreich, sowie 50 aus Polen.
  • Von den circa 6500 Schwarzweiß-Negativen und zahlreichen Abzügen sind wiederum 4200 Aufnahmen mit elsässischen und lothringischen Kirchen zu verbinden.

Erhaltungszustand
Glas- und Planfilmnegative sowie Abzüge sind überwiegend gut erhalten; gefährdete Negative wurden in den 1990er Jahren dupliziert. Dagegen haben de Kleinbilddias je nach Filmqualität ihre ursprüngliche Farbigkeit mehr oder weniger eingebüßt. Eine zeitnahe umfassende Digitalisierung dieser Bestände wäre äußerst wünschenswert.

Folgen der Fotokampagnen
Auch auf französischer und belgischer Seite wurden während und unmittelbar nach dem Krieg weiträumig angelegte Bilddokumentationen in die Wege durchgeführt. Zusammen mit der vom Deutschen Verein angelegten Fotokampagne waren diese Initiativen der Anstoß zur Gründung des ersten international organisierten Forschungsprojektes der Kunstgeschichte, des 1952 gegründeten Corpus Vitrearum, das sich die Erfassung und Edition sämtlicher mittelalterlicher Glasmalereien zum Ziel gesetzt hat.

Weiterführende Literatur
Hans Wentzel, Die Deutschen Glasmalereien von historischem Wert, in: Kunstpflege 1, 1984 Stephan Waetzold, Glasmalereien des Mittelalters, in: Vitrea Dedicate. Das Stifterbild in der deutschen Glasmalerei des Mittelalters, Berlin 1975, S. 11-19
Rainer Kahsnitz, Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft im Nationalsozialismus. Versuch einer Spurenlese, in: Zs. des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 62, 2008, S. 77-182.