03.12.2010 Pädagogische Diagnosekompetenz in der Lehrer/-innenausbildung

Im Rahmen eines Symposiums wurden am Freitag, den 19.11.2011, in der Forschungswerkstatt des Instituts für Schulpädagogik erste Untersuchungsergebnisse der Forschungsgruppe vorgestellt.

Das Hessische Kultusministerium fördert derzeit am Institut für Schulpädagogik der Philipps-Universität Marburg ein Projekt, das die Vermittlung und Aneignung Pädagogischer Diagnosekompetenz in der ersten Lehrerbildungsphase erforscht.

Drei Mitglieder der Forschungsgruppe – PD Dr. Wilfried Hansmann, Hendrik Baumbach und Prof. Dr. Una Dirks (Universität Hildesheim) – informierten, wie Lehramtsstudierende anhand von audio- bzw. videographierten Unterrichtsszenen (Fallvignetten) lernen, Geschehnisse in schulischen und unterrichtlichen Kontexten zu beschreiben und zu analysieren: Mithilfe des Hessischen Referenzrahmens Schulqualität werden bspw. die Voraussetzungen und Bedingungen einer Unterrichtsstunde erfasst, um daran anschließend das eigentliche unterrichtliche Handeln sowie seine Wirkungen zu untersuchen. Ziel ist, die komplexen Wechselwirkungen schulischer und unterrichtlicher Handlungs-/Struktureffekte evidenzbasiert zu verstehen, um dann Erklärungen für den unterrichtlichen „Output“, d.h. für die jeweilige Kompetenzentwicklung der Schüler/-innen zu finden.





Pädagogische Diagnostik wird im Anschluss an Max Webers Modell des Verstehens und Erklärens als ein Verfahren verstanden, das alle Einflussfaktoren sowohl auf der Ebene des situationsspezifischen Kontextes als auch auf der des eigentlichen unterrichtlichen Prozesses berücksichtigt und miteinander in Beziehung setzt.

Erste Ergebnisse des Forschungsprojektes unterstützten die Vermutung, dass bessere Diagnoseleistungen erzielt werden, wenn Studierende algorithmische evidenzbasierte Verfahren (detaillierte Untersuchung zu Kontext, Prozess und Wirkungen einer Unterrichtsstunde) anwenden, anstelle von lediglich heuristisch motivierten Daumenregeln – ein Befund, der kognitionspsychologische Ergebnisse zu positiven Lerneffekten aufgrund von Angeboten zur systematischen Wissensstrukturierung bestätigt. Welche Rolle dabei die Arbeit in den Seminarveranstaltungen, die individuelle Rückmeldung nach absolvierten Tests oder andere Bedingungsfaktoren spielen, versucht die Forschungsgruppe derzeit mithilfe weiterer Untersuchungen zu klären.

Auf dem Symposium informierte des weiteren Prof. Dr. Hermann J. Abs (Justus-Liebig Universität Gießen) über Forschungsergebnisse bzgl. der Diagnosekompetenz von Lehrerinnen und Lehrern im Vorbereitungsdienst (LiV). Hier wurde ein hoher Ausbildungsbedarf ermittelt, der nach Auskunft des anwesenden Ministerialrates Andreas Lenz vom Hessischen Kultusministerium u.a. im Neuzuschnitt der bisherigen Ausbildungsmodule im Hessischen Lehrerbildungsgesetz Berücksichtigung finden soll.

Die für Diagnostik einschlägig ausgewiesene Psychologin, Prof. Dr. Claudia Mähler (Universität Hildesheim) referierte im Anschluss über Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die Lernenden durch eine neue Aufgabenkultur zu ganz unterschiedlichen Transfers des einmal erlernten Wissens in neue Anwendungsfelder zu veranlassen. Aus welchen Wissenstransfers letztendlich welche Rückschlüsse auf die Bildungsqualität der jeweils angewandten Diagnosekompetenzen gezogen werden können, ist eine auch für die Forschungsgruppe virulente Fragestellung.

Der Beitrag von Prof. Dr. Angelika Kubanek über „Diagnosen zwischen Intuition und Evidenzbasiertheit“ verhalf der Tagung zu einem runden Abschluss, der auch die Situation der Hochschullehrenden mit einschloss. In ihren Ausführungen stützte sich Frau Kubanek auf neuere Forschungen in den fremdsprachlichen Schulfächern: Die häufigsten Diagnoseaktivitäten von Lehrer/-innen umfassen demnach die Durchführung und Besprechung von Tests, das Befragen einzelner Schüler/-innen und deren Beobachtung bei der Bearbeitung von Aufgaben. Evidenzbasierte Diagnosen hätten einen vergleichsweise geringen Anteil am gesamten Unterrichtsgeschehen, Fehleinschätzungen schülerspezifischer Kompetenzstände gehörten zum Unterrichtsalltag, der sehr häufig durch hohe Klassenfrequenzen und sehr heterogene Schülerressourcen bestimmt werde.

Forschergruppe und Symposium wurden organisatorisch und konzeptionell durch das Zentrum für Lehrerbildung der Philipps-Universität Marburg unterstützt, das sich längerfristig positive Effekte der Ergebnisse für die Erst- wie auch für die Fortbildung von Lehrkräften insbesondere in der Berufseingangsphase erhofft. Weitere Auskünfte zum Forschungsprojekt erteilt die „AG Diagnostik“ des Instituts für Schulpädagogik (w.hansmann@staff.uni-marburg.de).



Dipl.Soz. Heidi Holland-Pinter, Zentrum für Lehrerbildung
PD Dr. Wilfried Hansmann, Institut für Schulpädagogik

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