Hauptinhalt

Die Fotografie – ein neues Medium verändert die Kunst

von Silvia Popa

© Foto: Bildarchiv - Foto Marburg
Kamera um 1900

Plattenkamera um 1900, Bildarchiv - Foto Marburg

Das Jahr 1839, in dem das erste erfolgreiche fotografische Verfahren vorgestellt wurde, sollte eine Wende für die Kunst einläuten. Es waren vor allem Maler, welche die grafischen Qualitäten der Fotografie als besondere Eigenschaft des Mediums schätzen lernten. Eine ambivalente Haltung der Künstler blieb aber trotzdem bestehen. Sie zollten der Fotografie als Hilfsmittel höchste Anerkennung und fürchteten sie gleichzeitig als Konkurrenz.

  • Die Fotografie als Hilfsmittel der Künste

    © Foto: Kunsthistorisches Institut Florenz - MPI
    Allegorie der Malerei

    Luigi Mussini, Allegorie der Landschaftsmalerei, Öl auf Leinwand, letztes Drittel 19. Jahrhundert, unbekannter Standort

    Lichtbilder als Vorlagenstudien fanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts Eingang in die Ateliers der Maler. Fotografische Vorlagen waren einfach und schnell hergestellt und Künstler, die sie nutzten, verkürzten ihren Arbeitsprozess erheblich. Den Malern wurde bald das Sammeln von fotografischen Materialstudien – etwa ethnologische Bildnisse oder Aufnahmen von Naturerscheinungen und Wetterphänomenen – zur Gedächtnisstütze und als Modellersatz empfohlen.

    Seitdem entwickelte sich ein Markt für fotografische Vorlagenstudien, die über den Kunst- und Buchhandel erfolgreich vertrieben wurden und in ihrer Zusammenstellung den Mappen grafischer Vorlagenwerke nachempfunden waren. Diese fanden auch in den Unterrichtsklassen der Kunstakademien Verwendung. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten systematisch aufgebauten Fotografiearchive für den akademischen Unterricht der Künste an großen Akademien.

  • Die Fotografie als Kunstreproduktion

    © Foto: Bildarchiv - Foto Marburg
    Kunstreproduktion einer Zeichnung Michelangelos

    Adolphe Braun, Kunstreproduktionsfotografie nach einer Zeichnung von Michelangelo, Pigmentdruck, um 1890, Bildarchiv Foto Marburg

    Die reproduktiven Qualitäten des neuen Mediums führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Etablierung professioneller Fotografen und Bildverleger, die mit der Vervielfältigung abgelichteter Gegenstände einen wachsenden Markt belieferten. Fotografisch reproduziert wurden Werke der Architektur und der Bildenden Künste sowie des Kunstgewerbes. Heute steht außer Frage, dass die Fotografie damit die Entwicklung der modernen Kunstgeschichte weitgehend geprägt hat.

    Ab 1860 entstanden Kataloge, Alben und Mappenwerke mit Lichtbildern von Architekturen, später von Kunstwerken wie Gemälden, Grafiken und Skulpturen umfassender historischer Sammlungen, worauf sich große Verlage erfolgreich spezialisierten, wie von den Brüdern Alinari (Italien), von Adolphe Braun (Frankreich) oder der Kunstverlag Franz Hanfstaengl (Deutschland).

    Auch die Künstler erkannten bald die lukrativen Möglichkeiten des neuen Mediums. Sie arbeiteten mit den hierauf spezialisierten Bildverlagen zusammen, um ihre Werke als erschwingliche Kunstreproduktionen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Durch das Abtreten der Bildrechte ihrer Werke an spezialisierte Ateliers entstand den Künstlern ein Zusatzeinkommen. Damit hatte sich das neue Medium auch als reproduzierende Kunst in der Kulturindustrie des 19. Jahrhunderts etabliert und stand auf einer Linie neben den tradierten Reproduktionskünsten wie dem Kupferstich oder der Xilografie.

  • Maler als Fotografen

    © Foto: Kunsthistorisches Institut Florenz - MPI
    Allegorie der Fotografie (Ausschnitt)

    Luigi Mussini, Allegorie der Landschaftsmalerei, Öl auf Leinwand (Ausschnitt), letztes Drittel 19. Jahrhundert, unbekannter Standort

    Im 19. Jahrhundert konnte nur eine kleine Zahl der Absolventen der Kunstakademien ihr Auskommen im Bereich der „Hochkunst“ als Maler oder Bildhauer bestreiten. Für die meisten Künstler, die als Illustratoren oder Gebrauchsgrafiker tätig waren, bot es sich an, die Fotografie als Handwerk zu beherrschen, um einerseits die fotografischen Vorlagenstudien für den Eigenbedarf herzustellen und sich andererseits finanziell ein zweites Standbein zu sichern. Somit ließen sich schon die Studenten der Kunstakademien im Fotografieren ausbilden. Es waren nur wenige Jahrzehnte seit der Erfindung der Fotografie vergangen und doch stand dieses Medium bereits in vielfacher Welchselwirkung mit allen Bereichen des Malermetiers. Nicht nur die Historienmaler oder jene, die religiöse oder allegorische Werke im Atelier herstellten, auch die Freilichtmaler griffen zur Fotokamera, wie zahlreiche Artikel in der Tages- und Fachpresse belegen.